Jörg Hofmann "Massiver Sozialbetrug mit Werkverträgen"

Der Chef der IG Metall über die Reformpläne der großen Koalition, die 35-Stunden-Woche und die Lage bei Volkswagen.

Wie beurteilen Sie den Gesetzentwurf zu Leiharbeit und Werkverträgen, wonach die Überlassungshöchstdauer nur noch 18 Monate betragen darf und eine gleiche Bezahlung nach 12 Monaten erfolgen muss?

Hofmann Der Gesetzgeber ist verpflichtet, einen Rahmen zu bestimmen. Insbesondere für die Fälle, in denen es keinen Tarifvertrag gibt. Das ist bei uns aber nicht der Fall. Nüchtern betrachtet ändert der Referentenentwurf also für uns nur wenig.

Das Gesetz ist also unnötig?

Hofmann Nein. Im Moment bekommen nur etwa 60 Prozent der Leiharbeiter Branchenzuschläge, 40 Prozent bekommen alleine den von den DGB-Gewerkschaften ausgehandelten Mindestlohn. Nur in einer Branche - bei Metall- und Elektro - gibt es Regeln zur Höchstüberlassungsdauer. Insofern macht das Gesetz schon Sinn.

Bleibt der zweite Aspekt des Gesetzes: das Thema Werkverträge. Wo werden die in Ihren Branchen eingesetzt?

Hofmann Vor allem in der Logistik, bei Industriedienstleistungen wie etwa der Maschinenwartung sowie bei Entwicklungsdienstleistern, also in Kernbereichen der industriellen Wertschöpfungskette.

Wie ist das Verhältnis zwischen Werkvertragsnehmern und Stammbelegschaft?

Hofmann Wir sprechen hier über besorgniserregende Ausmaße: Bei Logistikern und Industriedienstleistern ist etwa jeder Dritte per Werkvertrag beschäftigt. Bei Entwicklungsdienstleistern jeder Fünfte. Weil wir die Leiharbeit mit den Branchenzuschlägen unattraktiv gemacht haben, nutzen die Firmen nun Werkverträge, um die Löhne systematisch zu drücken und Stammbelegschaften abzubauen.

Wie groß ist die Lohndifferenz?

Hofmann Ein Logistiker, der nach reinem Metall- und Elektro-Tarif bezahlt wird, bekommt 15,70 Euro pro Stunde. Wer Pech hat und nur zum Mindestlohn von 8,50 Euro beschäftigt wird, bekommt 46 Prozent weniger.

Was muss der Gesetzgeber tun?

Hofmann Wir brauchen klare Kriterien zur Abgrenzung von Leiharbeit und Werkvertrag. Werkvertragsnehmer sind heute günstiger und werden deshalb häufiger eingesetzt. Oft missbräuchlich: Da findet nicht selten massiver Sozialversicherungsbetrug statt. Wo Werkvertrag drauf steht, ist Leiharbeit drin. Kommt doch einmal der Zoll vorbei, wird schnell umdeklariert: Die Arbeitgeber zaubern eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis aus der Schublade. Aus dem Werkvertragsnehmer wird dann ein Leiharbeitnehmer. Damit muss Schluss sein. Zudem müssten die Betriebsräte beim Werkvertrags-Einsatz besser informiert werden, und es muss einen besseren Gesundheitsschutz geben.

Wie wollen Sie die Zunahme bei den Werkverträgen stoppen?

Hofmann Das Gesetz ist nur ein Teil. Die IG Metall versucht daneben, die Werkvertragsnehmer zu organisieren, und Betriebsräte zu gründen und tarifliche Regelungen durchzusetzen. Das gelingt uns zunehmend besser - im Logistikbereich liegt die Zahl der Neuaufnahmen etwa bei 5000. Zudem gibt es jetzt bei BMW und Porsche Regelungen, dass nur noch Fremdvergabe an Firmen stattfindet, die nach IG-Metall-Tarif zahlen. Ähnliche Regeln setzen wir gerade bei Daimler durch.

Die Einigung macht die Schiedsgerichte beim DGB künftig unnötig.

Hofmann Es wird sie weiter geben, aber wir wollen deren Anrufung vermeiden und das bilateral klären.

Sie widmen sich gerade verstärkt der Frage nach der Arbeitszeitgestaltung. Wann werden Sie das Thema in einen Tarifvertrag gießen?

Hofmann In der nächsten Runde noch nicht. Aber möglicherweise in der danach. Im Sommer starten wir eine groß angelegte Kampagne, mit der wir zwei bis drei Jahre lang Druck machen. Wir werden darauf aufmerksam machen, dass es immer noch Stellen gibt, bei denen die Arbeitszeit nicht erfasst wird oder verfällt. Auch die Vergütung für all jene, die von zu Hause aus oder unterwegs arbeiten, wird ein Thema. Da geht es auch um mehr Geld und klare Regeln, wenn jemand mitten in der Nacht E-Mails bearbeiten muss, weil der Kunde in den USA oder in China nicht warten will.

In Ihrer Beschäftigtenbefragung gaben rund 80 Prozent an, planbare Arbeitszeiten zu haben und selten bis nie außerhalb der regulären Zeit arbeiten zu müssen. Klingt nach unnötiger Problematisierung Ihrerseits.

Hofmann Das Thema gewinnt gerade an Fahrt. Der Druck auf die Beschäftigten wird im Rahmen der Digitalisierung steigen. Auch, weil die Ansprüche der Arbeitgeber stetig zunehmen. Deshalb sollten wir nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, sondern jetzt auch schon die Grenzen aufzeigen.

Wenn wir über Grenzen reden, könnten wir auch über eine Abschaffung der 35-Stunden-Woche sprechen - das goldene Kalb der IG Metall.

Hofmann Die Wochenarbeitszeitregelung hat sich bewährt. Es gibt keinen einzigen triftigen Grund, an der 35-Stunden-Woche zu rütteln. Diesen Konflikt mit uns sollten sich die Arbeitgeber aus eigenem Interesse ersparen.

Wie beurteilen Sie den Schaden durch den VW-Abgasskandal?

Hofmann Die Absatzzahlen bei VW brechen zwar nicht massiv ein, aber es ist schon spürbar. Noch verzeichnet die deutsche Automobilindustrie ein robustes Wachstum, weil sich der europäische Markt erholt.

Ist die Dieseltechnologie am Ende?

Hofmann Die Deutschen glauben ungebrochen an ihren Diesel. Aber wir stehen vor Veränderungen: Im Hochpreissegment werden künftig Hybrid-Systeme stärker eine Rolle spielen, bei den Kleinfahrzeugen läuft es auf Vollelektrifizierung hinaus, bei den übrigen Wagen wird es vorerst weiter Otto-Motoren mit kleiner Zylinderzahl geben. Wie schnell dieser Wandel kommt, hängt vor allem von der gesetzlichen Regulierung ab.

Sie sind in den VW-Aufsichtsrat aufgerückt. Wie erleben Sie den neuen Chef Matthias Müller?

Hofmann Nach sechs Wochen ist das schwierig zu beurteilen. Ich nehme ihm aber ab, dass er eine neue, offenere Kultur etablieren wird. Aber so einen großen Tanker steuern Sie nicht von jetzt auf gleich um. Das benötigt Zeit.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass großflächig bei VW-Leiharbeitern und Werkvertragsnehmern gespart wird?

Hofmann Wir werden versuchen dagegenzuhalten. Man muss da aber klar unterscheiden: Wenn jetzt Leiharbeiter entlassen werden, dann liegt das nicht automatisch am Abgasskandal. In Hannover geht es um einen Modellwechsel. In Zwickau und Dresden wird der Phaeton nicht mehr gebaut. Auch das wird Folgen haben.

Sie starten demnächst in die neue Runde der Metall- und Elektroindustrie. Das Arbeitszeitthema wollen Sie noch nicht auf die Agenda heben. Welche anderen qualitativen Themen wären denkbar?

Hofmann Ich sehe im Moment keines. Darüber wird aber zurzeit in den Betrieben und Regionen noch diskutiert. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es eine reine Lohnrunde werden könnte - vorausgesetzt, wir sind nicht wegen des Gesetzgebungsverfahrens zu Leiharbeit und Werkverträgen doch zum Handeln gezwungen.

Wie beurteilen Sie derzeit die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen?

Hofmann Die Institute korrigieren ihre Prognosen gerade nach oben. Volkswirtschaftlich haben wir also stabile Rahmenbedingungen. Das liegt aber vor allem an der Binnennachfrage, also am privaten Konsum und an gestiegenen Staatsausgaben etwa wegen der Flüchtlingskrise. In unserer Branche gibt es ein heterogenes Bild. Bei Automobil und anderen Branchen läuft es rund, bei allem, was etwa mit Gas- und Ölförderung zu tun hat, ist es schon deutlich schwieriger.

Wie steht es um die Konfliktbereitschaft? Die Arbeitgeber waren ziemlich sauer, dass Sie beim letzten Mal so massiv zu Warnstreiks aufgerufen haben.

Hofmann Warnstreiks gehören nun mal dazu. Wenn die Arbeitgeber das kritisieren, macht mich das nicht nervös. Wir werden mit dem notwendigen Druck unsere realistische Forderung durchsetzen.

MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

(RP)
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