Sozialreport Deutschland Mehr Armut trotz Jobwunder

Berlin · Statistiker haben am Dienstag neue Zahlen zur sozialen Lage in Deutschland vorgestellt. Das Ergebnis ist ernüchternd. Zwar gibt es immer mehr Jobs, doch die können immer weniger Menschen ernähren. Vor allem Deutsche im Alter zwischen 54 und 64 werden abgehängt. Mit fatalen Folgen für Gesundheit und Lebenserwartung.

 In Deutschland wächst der Anteil der Menschen an der Schwelle zur Armut.

In Deutschland wächst der Anteil der Menschen an der Schwelle zur Armut.

Foto: dpa, Arne Dedert

Trotz steigender Beschäftigtenzahlen hat sich die Zahl der armutsbedrohten Menschen in Deutschland in den vergangenen Jahren erhöht. So lautet eine zentrale Erkenntnis aus dem am Dienstag in Berlin vorgestellten Datenreport 2013 (PDF) des Statistischen Bundesamts, der Bundeszentrale für politische Bildung, des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung (WZB) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP).

Mehr Jobs, aber weniger Arbeit

Die Entwicklung erscheint paradox, ist aber nicht mehr als Ausdruck der Zunahme von Minijobs und teilzeit-Beschäftigungen. Zwar gab es in Deutschland im Jahr 2012 mit 41,5 Millionen Erwerbstätigen so viele Beschäftigte wie noch nie, die Zahl der von diesen jeweils geleisteten Arbeitsstunden nahm in den vergangenen 20 Jahren aber ständig ab. Arbeitete ein Erwerbstätiger 1992 im Schnitt 1564,4 Stunden pro Jahr, waren es 2012 nur noch 1393,3 Stunden.

Der Grund für diese Entwicklung ist den Angaben zufolge, dass immer mehr Menschen gewollt oder ungewollt in Teilzeit arbeiteten und sich zudem die Zahl atypisch Beschäftigter erhöht habe. 2012 seit bereits gut jeder fünfte Kernerwerbstätige auf diese Weise beschäftigt gewesen.

Das schlägt sich bei Tausenden auch im Einkommen nieder.

Demnach erhöhte sich der Anteil der armutsgefährdeten Menschen von 15,2 Prozent im Jahr 2007 auf 16,1 Prozent im Jahr 2011. Das Armutsrisiko trifft dabei Frauen häufiger als Männer. Den Daten zufolge ist vor allem das Armutsrisiko der 55- bis 64-Jährigen deutlich gestiegen. Eine Folge sei, dass die Lebenserwartung bei sozial Bedürftigen niedriger sei als bei Menschen mit gutem Einkommen.

Dabei galt 2011 derjenige als arm, der weniger als 980 Euro im Monat zur Verfügung hatte.

Bei den 55- bis 64-Jährigen erhöhte sich danach das Armutsrisiko von 17,7 (2007) auf 20,5 Prozent (2011). Ähnlich hoch ist das Niveau der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen, bei denen ebenfalls etwa jeder Fünfte als armutsgefährdet gilt. Diese Zahl ist seit 2007 allerdings nur minimal um 0,5 Prozentpunkte auf 20,7 Prozent angestiegen.

"Arme sterben früher"

Laut Studie haben auch die sozial bedingten Gesundheitsunterschiede in den vergangenen 20 Jahren zugenommen. So beurteilten mehr Frauen und Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe ihren Gesundheitszustand als "weniger gut" oder "schlecht". Bei Besserverdienenden gebe es dagegen die gegenläufige Entwicklung.

Zudem wirke sich Armut unmittelbar auf die Lebenserwartung aus. Die mittlere Lebenserwartung von Männern der niedrigsten Einkommensgruppe liege bei der Geburt fast elf Jahr unter der von Männern der hohen Einkommensgruppe. Bei Frauen betrage der Unterschied acht Jahre.

Überspitzt könne man sagen, dass "Arme früher sterben", erklärte Roland Habich vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Das liege nicht an der Einkommenslage an sich, sondern daran, dass mit steigenden Einkommen in aller Regel auch steigende materielle, kulturelle und soziale Ressourcen verbunden seien. Solche Ressourcen seien als Mechanismen zu verstehen, mit physischen und psychischen Belastungen im Lebensverlauf besser "umzugehen".

Hoffnungsschimmer bei Kindern

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, betonte, mit 21,5 Prozent seien Menschen mit Migrationshintergrund nahezu doppelt so häufig von Armut betroffen wie jene ohne Migrationshintergrund. Aufgrund von Zuwanderung würden die Zahlen mittelfristig sicher steigen, prognostizierte Krüger.

Auffällig sei auch, so Krüger weiter, dass in Bundesländern mit überproportional vielen Armen weniger Menschen zur Wahl gingen. So sei die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013 in Baden-Württemberg von 74,3 Prozent am höchsten gewesen und in Sachsen-Anhalt mit 62,1 Prozent am niedrigsten.

Eine positive Entwicklung gebe es, so Krüger, bei der Kinderarmut. Entgegen dem Trend sei diese in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Sie sei von 14 Prozent zwischen 2000 bis 2002 auf 12,8 Prozent zwischen 2009 und 2011 gesunken.

Einmal arm, immer arm

Auch die sogenannte dauerhafte Armut stieg den Auswertungen der Statistiker zufolge. 2011 waren demnach 40 Prozent der von Armut gefährdeten Menschen bereits in den vorangegangenen fünf Jahren arm. 2000 lag der Anteil der dauerhaft Armen bei 27 Prozent.

Der Datenreport wird vom Statistischen Bundesamt, der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und dem Sozio-oekonomischen Panel am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

(AFP/KNA)
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