Essen Middelhoff wieder auf der Anklagebank

Essen · Der frühere Arcandor-Chef ist zurück in der Öffentlichkeit - als Beschuldigter. Der Vorwurf: Anstiftung zur Untreue. Sechs Ex-Aufsichtsräte sind ebenfalls angeklagt.

Sieben Männer sitzen an diesem Morgen als Angeklagte im Saal N 001 des Essener Landgerichts, und sie sind wahrlich nicht alle Nobodies. Hans Reischl war mal Rewe-Chef, Friedrich Carl Janssen Gesellschafter beim Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim, Leo Herl ist verheiratet mit der Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz. Und doch richten sich die Kameras nur auf eine Person: Thomas Middelhoff. Der frühere Chef des Handelskonzerns Arcandor, der derzeit in Haft ist und als Freigänger in einer Werkstatt für behinderte Menschen in den Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel arbeitet, steht wieder vor Gericht. Die nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit der Medien gilt ihm, der wegen Anstiftung zur Untreue angeklagt ist.

Bei den anderen sechs (neben Reischl, Janssen und Herl drei weitere frühere Aufsichtsräte von Arcandor) geht es um den Vorwurf der Untreue. Sie sollen Middelhoff und dessen damaligem Vorstandskollegen Peter Diesch (als Abfindung) 2008 Sonderzahlungen in einer Höhe bewilligt haben, auf die die Manager laut Anklage keinen Anspruch hatten. Dafür hätte der Essener Konzern beim Vorsteuergewinn und beim operativen Cashflow mehr liefern müssen. Davon war Arcandor weit entfernt. Im Juni 2009 musste der Handelskonzern Insolvenz anmelden. Die Staatsanwaltschaft beziffert den Schaden für den Konzern auf 3,8 Millionen Euro.

Dass die Hauptverhandlung um die Sonderzahlungen an dem Tag beginnt, an dem Middelhoff 64 Jahre alt wird, verleiht dem Prozessauftakt eine besondere Note. Das weiß auch der Vorsitzende Richter Edgar Loch: "Seien Sie versichert, Ihr Geburtstag wäre einfacher zu verlegen gewesen als dieser Termin." Kann man sich bei sieben Angeklagten, 16 Rechts- und zwei Staatsanwälten, die alle unter einen Hut zu bringen sind, lebhaft vorstellen.

Middelhoff hat vermutlich ohnehin andere Sorgen. Er lächelt freundlich, als er die Mitangeklagten und deren Anwälte begrüßt, aber vom einstigen Strahlemann ist nicht viel geblieben. Er wirkt ernster als früher. Im Saal sitzen zwei Rettungssanitäter, wegen der gesundheitlichen Probleme einiger Angeklagter, vermutlich auch derer von Middelhoff, der "in permanenter kardiologischer und hautärztlicher Behandlung" ist.

Vor zweieinhalb Jahren ist er wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Als derzeitigen Wohnort nennt er die Haftanstalt Bielefeld-Sennestadt, als Familienstand "verheiratet, in Scheidung lebend". Seine Frau hat sich von ihm getrennt, vor zwei Jahren hat er Privatinsolvenz anmelden müssen. Einschließlich Untersuchungshaft hat er zwar bereits fast eineinhalb Jahre seiner Strafe verbüßt und könnte bei guter Führung noch vor Jahresende wieder frei sein. Aber wenn er noch mal verurteilt würde, könnte diese Perspektive dahin sein. Middelhoff kämpft um ein Leben in Freiheit, weniger um seinen Ruf, der ruiniert ist.

Seine Verteidigerin Anne Wehnert bestreitet, dass ihr Mandant über Aufsichtsratschef Janssen 2008 den ständigen Ausschuss des Arcandor-Kontrollgremiums angestiftet habe, ihm Boni von knapp 2,3 Millionen Euro zu gewähren, ohne dass die Voraussetzungen dafür gegeben gewesen seien. Sie bestreitet, dass es einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen und Middelhoffs Demission knapp ein Vierteljahr später gegeben hat. Zu dem Zeitpunkt habe der Manager nichts davon gewusst, dass der Aufsichtsrat ihn auffordern wolle, zu gehen. Der Bonus-Vorschlag, den der Vorstandsvorsitzende auf Bitten des Aufsichtsrats formuliert habe, sei an früheren Bonusregeln orientiert gewesen und habe nichts mit dem gemein gehabt, mit dem später die Boni offiziell begründet worden seien. "An der Anklage ist nichts dran, man rätselt, was Herrn Middelhoff vorgeworfen wird", sagt Wehnert.

Das sehen die Ankläger anders. Nachdem Middelhoff und Janssen Ende November 2008 über die Millionenprämie verhandelt hätten, habe Einigkeit über das Ausscheiden des Konzernchefs drei Monate später geherrscht. Die 2,3 Millionen Euro seien bereits ausgezahlt worden, ehe der ständige Ausschuss den Bonus abgenickt habe. Die Ankläger zitieren aus einem Sitzungsprotokoll von Anfang Dezember 2008, in dem als Grund für die üppige Sonderzahlung Middelhoffs "strategischer Weitblick und seine mutigen Entscheidungen" genannt werden, mit denen der Manager "seit 2005 entscheidend zum Überleben des Unternehmens, zur Sicherung der Arbeitsplätze und zur Neuausrichtung des Konzerns beigetragen" habe. Drei Monate später war er weg, Arcandor fast pleite.

(RP)
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