Analyse NRW kann mehr - neue Jobs in Handel, Pflege und Logistik

Düsseldorf · Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey belegt, das Nordrhein-Westfalen deutlich unter seinen Möglichkeiten bleibt. Mit einer gezielten Wirtschaftspolitik könnte es zu den Top-Ländern aufschließen.

Es ist kein gutes Zeugnis, das die Unternehmensberatung McKinsey dem Land Nordrhein-Westfalen ausstellt: 1980 lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, also die in einem Jahr hergestellten Güter und Dienstleistungen, noch über dem Durchschnitt der Flächenländer in der damaligen Bundesrepublik. "Seitdem hat hat NRW kontinuierlich an Boden verloren", heißt es in der Studie "NRW 2020 - unser Land, unsere Zukunft."

Sie machen für die Rückständigkeit des Landes nicht allein Zechensterben und Stahlkrisen verantwortlich. "Der Strukturwandel früherer Jahre ist nicht hauptverantwortlich für die derzeitige Wachstumsschwäche", heißt es. Auch habe NRW nicht den falschen Branchenmix. "Jedoch schneiden einzelne Sektoren und Regionen weit unterdurchschnittlich ab." Das zeigt sich vor allem im Vergleich zu Bayern,

Die Arbeitsproduktivität (ein Maß für die Effizienz der Arbeit) liegt im verarbeitenden Gewerbe um sieben Prozent niedriger als in Bayern. Verkürzt gesagt: Bayern hat BMW, NRW hat Opel. Noch schlechter schneidet die NRW-Finanzbranche ab: Die Arbeitsproduktivität der Banken und Versicherungen liegt gar um 16 Prozent unter der im Freistaat. WestLB, IKB, Sal. Oppenheim — in der Tat hat der Finanzplatz NRW einen kräftigen Niedergang erlebt.

Zu wenig für Forschung und Entwicklung

Ein Grund dafür, dass bei der Arbeit der NRW-Bürger weniger herauskommt, liegt in der großen Investitionslücke, die das Land hat. Unternehmen und Land geben zu wenig für Forschung und Entwicklung sowie für Investitionen aus. Die Forschungsausgaben von NRW liegen laut McKinsey deutlich (um 41 Prozent) unter dem Bundesdurchschnitt. Doch wer heute nicht forscht, kann morgen keine innovativen Produkte herstellen. Ähnliches gilt für Investitionen. Während NRW nur 18 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung in neue Anlagen investiert, sind es in Bayern fast 24 Prozent. Mit anderen Worten: NRW tut zu wenig für seine Zukunft.

Doch die Lage ist nicht aussichtslos. Wenn die Wirtschaftsleistung von Nordrhein-Westfalen in den kommenden Jahren dauerhaft um 0,5 Prozentpunkte stärker wächst als im Schnitt der bisherigen Top-Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, kann das Land bis zum Jahr 2037 aufschließen. Allein bis 2020 lassen sich 300 000 neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und ein zusätzliches Sozialprodukt von 27 Milliarden Euro schaffen. Entsprechend würden die Steuereinnahmen um 6,1 Milliarden Euro wachsen, mehr als die Hälfte kämen Land und den Kommunen zugute.

Dazu haben die Autoren der Studie vier Wachstumfelder identifiziert, auf denen jeweils tausende Arbeitsplätze und Milliarden an zusätzlicher Wirtschaftsleistung geschaffen werden könnten (siehe Grafik).

Kreislaufwirtschaft — NRW wird Recyclingzentrum Europa

Die weltweit wachsende Nachfrage nach Rohstoffen und steigende Preise befeuern den Trend zu Wiederverwertung. In Europa werden jährlich allein 160 Millionen Handys weggeworfen, Rohstoffe wie Gold und seltene Erden im Wert von 400 Millionen Euro gehen dadurch verloren. Es lohnt sich, diese Rohstoffe zurückzugewinnen. Und NRW hat gute Voraussetzungen, das zentrale Recycling-Zentrum Europas zu werden. Die Lage entlang des Rheins und der Nord-Süd-Bahntrassen ermöglicht einen günstigen Transport der Schrottmengen. Unternehmen wie ThyssenKrupp, Aurubis und Trimet sind bereits auf Metallschmelzen spezialisiert und haben entsprechendes Know how. Das ließe sich für den Umbau eines Recycling-Zentrums nutzen. Denkbare Standorte sind laut Studie Duisburg (in der Nähe des Güterbahnhofs) oder stillgelegte Industrieflächen wie die ehemalige Westfalenhütte bei Dortmund.

Urbane Mobilität — NRW baut eine neue City-Logistik auf

NRW ist das Stauland Nummer eins. Das bremst das Wachstum, viel Stunden stehen auch Handwerker und Monteure unproduktiv im Stau. Zentrale Verkehrssteuersysteme und die zeitweilige Freigabe des Standstreifens können hier helfen. Um die Belastung innerstädtisch zu senken, haben die McKinsey-Experten einen pfiffigen Vorschlag: Nach dem Vorbild der Stadt Utrecht könnte auch in NRW eine koordinierte City-Logistik entstehen, um die Zahl der vielen halbleeren Fahrten auf der "letzten Meile" zu senken. Dazu liefern die Großhändler erst an neue "Umpackzentren", die am Rand von Städten entstehen, von dort geht es gebündelt an Einzelhändler, Hotels und Büro-Komplexe. Allein in Düsseldorf finden täglich 120 000 Lkw-Fahrten statt, bis zu 6000 Fahrten könnten eingespart werden.

Neuer Handel — NRW als Wegbereiter der bargeldlosen Welt.

NRW ist der Standort für Telekommunikation, drei große Konzerne (Telekom, Vodafone und E-Plus) haben ihren Sitz hier. Der Vorschlag von McKinsey: Diesen Standortvorteil nutzen, um das Land zum Vorreiter für mobilen Zahlungsverkehr zu machen. Die Mobilfunkkonzerne könnten eine Banklizenz beantragen oder mit lokalen Banken und Sparkassen kooperieren. Das Handy wird umso leichter zur Geldbörse, an je mehr Stellen es dazu genutzt werden kann. Land und Kommunen können einen Beitrag leisten, indem öffentliche Einrichtungen den Anfang machen und Bürgern einen Anreiz (reduzierte Fahr- oder Eintrittspreise für Zahler mit Handy) bieten. Als Pilotstandort schlagen die Autoren Köln vor — mit seinen jährlich 274 Millionen Straßenbahn-Fahrgästen und 2,1 Millionen Schwimmbad-Besuchern.

Neue Wege der Pflege — NRW als Vorreiter für effiziente Pflege

NRW hat derzeit mit 2200 bis 3300 Euro pro Pflegeplatz die höchsten monatlichen Kosten, ohne dass es den Senioren hier besser gehen dürfte als in Bayern. Zudem wächst mit der Zahl der Pflegebedürftigen der Bedarf an Pflegekräften in den nächsten Jahren um bis zu 45 000 Vollzeitkräfte. Daher schlägt McKinsey vor, die Produktivität der Pfleger deutlich zu erhöhen. Mobile Health, heißt das Zauberwort. Pflegepläne auf dem Handy, Apps, die Senioren automatisch an die Arznei-Einnahme erinnern, elektronische Armbänder für Alzheimer-Patienten sind Beispiele für solche Anwendungen.

Investitionen und Rahmenbedingungen

Vor allem kann das Land die Rahmenbedingungen für Unternehmen deutlich verbessern. Damit die Steigerung der Produktivität gelingt, muss mehr in Forschung und Entwicklung investiert werden und der Transfer von Instituten zu Unternehmen verbessert werden. Der Bedarf an Fachkräften kann vor allem durch eine erhöhte Frauenerwerbstätigkeit gedeckt werden.

Dass das Land kein Geld für neue Förderprogramme hat, weiß auch McKinsey. Zudem ist deren Wirkung oft zweifelhaft. Daher mahnen die Experten die Landesregierung, ihre Förderung auf zukunftsträchtige Branchen zu konzentrieren. 44 Prozent aller Ausgaben des Wirtschaftsministers fließen noch immer in die Kohle-Förderung, wo nur noch 11 000 Arbeitsplätze bestehen.

"Nordrhein-Westfalen hat alle Möglichkeiten, langfristig ökonomisch zu wachsen und den Wohlstand seiner Bürger zu mehren", heißt es abschließend in der Studie. Die Zukunft des Landes hänge davon ab, inwieweit es gelänge, die Stärken des Landes zu erkennen und weiterzuentwickeln.

(RP/gre)
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