Raimund Becker im Interview "Wir haben einen eklatanten Mangel in der Altenpflege"

Berlin · Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Raimund Becker, hat unsere Redaktion in Berlin besucht. Wir sprachen mit ihm über die Frage, wie sich Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren lassen und ob sie einen Beitrag dazu leisten können, den Fachkräftemangel in Deutschland zu beseitigen.

 Raimund Becker ist Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.

Raimund Becker ist Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.

Foto: Bu�kamp, Thomas

Flüchtlinge mit Bleibeperspektive sollen nach dem Willen der Bundesregierung möglichst rasch in den Arbeitsmarkt integriert werden. Funktioniert das?

Becker Die größte Hürde für die Integration in den Arbeitsmarkt ist bei den meisten Flüchtlingen die Sprache. Bei den Aus- und Umsiedlern haben wir die Erfahrung gemacht, dass erst nach zehn Jahren die Erwerbstätigenquote bei 55 Prozent liegt. Zum Vergleich: In der deutschen Bevölkerung liegt sie bei 75 Prozent. Es geht also nur Schritt für Schritt. Es wäre naiv zu glauben, dass wir durch die vielen Flüchtlinge unseren Fachkräftemangel rasch beseitigen könnten.

Gibt es für den Spracherwerb genug Angebote?

Becker Es gibt einen Engpass bei den Integrationskursen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Es ist zwar geplant, dass diese ausgeweitet werden und Flüchtlinge mit einer Bleibeperspektive in einen Integrationskurs gehen können. Aber das dauert noch, bis das umgesetzt ist. Für eine berufliche Qualifizierung bedarf es neben dem Spracherwerb im Integrationskurs ergänzend eines Kurses des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der auch Fachsprache vermittelt. Auch da haben wir einen Engpass.

Wie viel Geld mehr müsste eingesetzt werden, um die notwendigen Kurse zu finanzieren?

Becker Wir brauchen pro Jahr etwa 300 bis 400 Millionen Euro mehr, um die notwendigen Sprachkurse für die Integration von Flüchtlingen zu finanzieren. Das wurde nur für diejenigen berechnet, die wahrscheinlich bleiben können.

Wo liegen die bürokratischen Hürden bei der Integration von Flüchtlingen?

Becker Unter den Flüchtlingen finden sich Hochqualifizierte, Ärzte und Ingenieure, die auch über eine Bluecard nach Deutschland als Arbeitskräfte einwandern könnten. Doch um einen solchen Antrag zu stellen, müssten sie nach deutschem Recht zunächst zurück in ihr Heimatland, um dort ein spezielles Visum zu beantragen. Wenn sie vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind, ist das eine absurde Vorstellung. Für diese Fälle benötigen wir die Möglichkeit zum Spurwechsel: Diese Flüchtlinge sollten mit ihren Familien aus dem Asylverfahren herausgehen können und über die Bluecard den Status der zugewanderten Fachkraft erlangen. Ein solcher Spurwechsel hätte für beide Seiten viele Vorteile.

Wie klappt es mit der Anerkennung der Berufsabschlüsse?

Becker Was recht gut läuft, ist die Anerkennung durch die Kammern, allerdings ist die Zahl der Anerkennungen nicht sehr hoch. Sehr schwierig ist die Anerkennung von Berufsabschlüssen wie Altenpfleger. Das kann einen langsam in den Wahnsinn treiben. Selbst in Modellprojekten, in denen wir Altenpfleger aus dem Ausland anwerben, benötigen wir mindestens ein halbes Jahr, bis die Anerkennung durch ist. Es würde die Lage erheblich erleichtern, wenn in Deutschland endlich die drei Berufsausbildungen von Gesundheits- und Krankenpflegern, von Alten- sowie Kinderkrankenpflegern zusammengelegt würden.

Wie reagieren die Arbeitgeber auf die Flüchtlinge?

Becker Die Arbeitgeber sind immer öfter bereit, Flüchtlinge anzustellen, wenn der Aufenthaltsstatus geklärt und sicher ist. Es ist gut, dass wir die Sicherheit des Aufenthaltsstatus für junge Menschen in Ausbildung nun geregelt haben. In unserer Vermittlung konzentrieren wir uns auf die Menschen, die eine hohe Bleiberechtsperspektive haben.

Die Krankenhausreform sieht vor, dass mehr Pflegepersonal eingestellt wird. Gibt es genug Fachkräfte?

Becker Wir haben bundesweit einen eklatanten Mangel in der Altenpflege und in der Mehrheit der Bundesländer auch einen Mangel an Krankenpflegern. In der Altenpflege kommen auf 100 gemeldete Stellen nur 36 Arbeitslose. In der Krankenpflege sind es 73 Arbeitslose auf 100 Stellen.

Was unternehmen Sie gegen den Mangel?

Becker Wir haben in den letzten Jahren 5000 bis 7000 Altenpfleger pro Jahr qualifiziert. Das Problem ist, dass die Fachkräfte oft nicht sehr lang in ihrem Beruf bleiben, weil wegen des Personalmangels und der hohen Dokumentationspflichten die Arbeitsbelastung enorm hoch ist, während die Bezahlung relativ geringe Anreize liefert.

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