Düsseldorf Schulminister stoppen Amazon-Projekt

Düsseldorf · Mit einem Wettbewerb will Amazon kreatives Schreiben bei Schulkindern fördern. Die Länder werfen dem Online-Händler Werbung an Schulen vor - und die ist verboten.

Wenn man Kinder in eine riesige Halle voller Spielzeug lässt, kann es vorkommen, dass sie den eigentlichen Zweck des Besuches etwas aus den Augen verlieren: "Was ist Amazon Prime?", "Was ist das neuste Produkt, das ihr hier im Lager habt?" - das Interesse an der Arbeit im Amazon-Logistikzentrum in Rheinberg war groß. Eigentlich waren die Schüler der Grundschule Moers-Hülsdonk zwar angereist, um ihren Preis für den Gewinn beim Schreibwettbewerb "Kindle Storyteller Kids" entgegenzunehmen. Doch wo man schon mal da war, konnte man gleich noch ein paar Pakete packen und andere Seiten der Arbeit kennenlernen. "Hinter den Kulissen erfahren die Kinder, was nach dem Klick auf ,Kaufen' in den Amazon-Logistikzentren passiert", schreibt Amazon in seinem Logistik-Blog.

Vielen Schulministern ist diese geballte Ladung Markenbindung etwas zu viel. Während Amazon betont, dass es bei dem Wettbewerb darum gehe, das kreative Schreiben von Kindern im Grundschulalter zu fördern, sieht man das in den Ministerien mehrerer Länder etwas anders. "Aus unserer Sicht liegt es zumindest nahe, dass der Wettbewerb vor allem kommerziellen Zwecken dient", heißt es etwa im Kultusministerium von Baden-Württemberg. An solchen Veranstaltungen dürfen Schulen jedoch nicht teilnehmen, denn Werbung ist im schulischen Kontext (Ausnahme: Sponsoring) verboten.

Mehrere Länder wollen ihren Schulen daher nun die Teilnahme an künftigen Amazon-Wettbewerben verbieten. "Das NRW-Schulministerium hält die Teilnahme von Schulen am Amazon-Wettbewerb für unzulässig", sagt eine Sprecherin des Ministeriums unserer Redaktion. Auch in Hessen wurde den Schulen eine künftige Teilnahme verboten. Im Kultusministerium in Rheinland-Pfalz heißt es: "Sollte Amazon einen entsprechenden Wettbewerb auch im Jahr 2017 starten, werden wir der Schulbehörde unsere erheblichen Bedenken im Hinblick auf die schulrechtliche Zulässigkeit eines solchen Wettbewerbs vorab mitteilen."

Drei Mal hat Amazon den Wettbewerb bereits durchgeführt, die Projekte für 2017 will das Unternehmen demnächst bekanntgeben. Zuletzt beteiligten sich insgesamt 300 Grundschulen an den acht Logistikstandorten von Amazon, zu denen auch die nordrhein-westfälischen Städte Rheinberg (Niederrhein) und Werne (Ruhrgebiet) gehören. Die Kinder sollen kreative Geschichten einschicken, eine Jury wählt anschließend die beste aus. Als Preis winken der Gewinner-Klasse 30 Kindle Paperwhite, die hauseigenen E-Book-Reader von Amazon. Praktischer Vorteil aus Sicht des Unternehmens: Im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten können damit nur elektronische Bücher aus dem Amazon-Angebot wiedergegeben werden. Dafür bekommen die Kinder jedoch direkt noch Gutscheine im Gesamtwert von 1750 Euro beim Besuch im Logistikzentrum übergeben.

"Hier wird offensichtlich, dass es dem Unternehmen ausschließlich um das eigene Image in der Öffentlichkeit geht", kritisiert ein Sprecher des hessischen Kultusministeriums. Der Zweck der Leseförderung trete hingegen sehr deutlich zurück.

Diese enge Verquickung von Kooperation und Kommerz ist zwar in den meisten Bundesländern illegal. An hessischen Schulen, betont der Sprecher etwa, gelte ein umfassendes Werbeverbot, welches sich aus dem Grundsatz der Neutralität des Staates ergebe. Trotzdem versuchen Firmen immer wieder, dieses geschickt zu umgehen. Mal sind es vermeintliche "Lernangebote", mit denen Banken die lukrative Zielgruppe ködern wollen, ein anderes Mal sind es Butterbrotdosen mit Firmenlogo, die ein großer Energieversorger aus NRW an Erstklässler bei der Einschulung verteilt - natürlich inklusive Comic, in dem das neue, intelligente Haussteuerungssystem vorkommt. 16 der 20 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland stellen laut dem Sozialwissenschaftler Tim Engarter von der Goethe-Universität Frankfurt Lernmittel zur Verfügung.

In Zeiten knapper Kassen werden ihre Angebote gerne angenommen. In Sachsen hat das Schulministerium daher auch keine Probleme mit dem Amazon-Wettbewerb. Es gebe keine Hinweise auf eine rein kommerzielle Nutzung, heißt es. Der Wettbewerb verstoße daher nicht gegen geltende Bestimmungen. Viele Bürgermeister und Vertreter der Bundesagentur für Arbeit haben, unabhängig vom Bundesland, offenbar ebenfalls kein Problem mit dem Vorgehen des Unternehmens, das in den jeweiligen Regionen für viele Arbeitsplätze sorgt: Sie haben die Schirmherrschaft für "Kindle Storyteller Kids" übernommen.

(frin)
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