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Willich · Am Niederrhein probt eine Bank die Zukunft: In Willich kann man in rund 100 Geschäften Pizza und Brötchen per Smartphone bezahlen. Ein Besuch.

Mit knorrigen Fingern durchsucht die alte Dame ihr Portemonnaie. "Ich habe es passend", sagt sie und kramt hektisch nach Kupfermünzen. Kleinen Augenblick noch, sagen ihre Augen entschuldigend. Natürlich dauert es länger. Hinter dem Tresen schlägt Claudia Greis den Stuten in Papier ein und wartet. Ihre Kolleginnen schieben sich an ihr vorbei und verpacken Grau- und Körnerbrot. Den Monitor mit dem grün-weißen Logo beachtet niemand. Dabei ist er die Zukunft.

Deutschland ist ein Bargeld-Land. Privatpersonen haben laut Bundesbank im Schnitt 103 Euro im Portemonnaie, jeden zweiten Einkauf bezahlen sie bar. Bäckerei, Kino, Supermarkt - überall müssen abends die Einnahmen zur Bank gebracht oder weggeschlossen werden. Überall müssen die Inhaber Wechselgeld bereit halten. Obwohl es von den Deutschen so geschätzt wird, ist Bargeld im Grunde eine Plage.

Doch "Kesh" könnte sie beenden - erst in Willich, dann in Deutschland.

Vor zwei Jahren hat die Biw Bank in Willich die Zukunft eingeführt. Seitdem kann man in der Bäckerei Greis per Smartphone bezahlen. Genauso wie in mehr als 100 anderen Geschäften. Die Stadt ist Testregion für die App "Kesh". "In Willich kann man gut zwei Wochen ohne Bargeld auskommen", sagt Martin Seufert, der bei der Biw Bank den Bereich Mobile Payment leitet. Keine andere Stadt dürfte so eine hohe Dichte an Smartphone-Bezahlstellen haben.

Dabei hat der 50.000-Einwohner-Ort eigentlich so gar nichts von einem Digitalzentrum. Statt einer Skyline mit Wolkenkratzern wie in Frankfurt gibt es Windräder und Felder. Es finden auch keine Netzwerktreffen statt, bei denen digitale Köpfe Club Mate trinken wie in Berlin. Dafür ein Schützenfest, bei dem tagelang das öffentliche Leben zusammenbricht.

So schräg es klingen mag: Im Grunde ist die Stadt gerade deshalb prädestiniert dafür, als Versuchsfläche für mobiles Bezahlen zu dienen: Frei nach dem Motto "Wenn du es hier schaffst, schaffst du es überall".

Wer durch Willich läuft, sieht überall das "Kesh"-Schild: Es klebt außen an der Scheibe des "Willicher Eishimmels", leuchtet hinter dem Tresen mit Sauerkraut und Frikadellen in der Metzgerei Forgber und steht neben dem Telefon, auf dem Dimitros Panagiotou in seiner Pizzeria Bestellungen für den Kreta-Teller oder den Antistress-Salat annimmt.

Hier hat alles angefangen. Vor knapp zwei Jahren war "Jianni's Grill" der erste Laden, in dem Kesh aufgebaut wurde. "Man muss neue Sachen einfach ausprobieren, sonst weiß man nie, ob es nicht vielleicht klappt", sagt Panagiotou, während er mit einem elektrischen Messer das Gyros vom Spieß schneidet. Rund 50 Kunden bezahlen bei ihm pro Monat per Smartphone. Alt, jung - das spiele keine Rolle, sagt er. Er selbst bleibt lieber beim Bargeld: "Ich zahle auch nicht mit Karte."

Für Martin Seufert ist Dimitrios Panagiotou ein Paradebeispiel. "Unser Ziel war immer, auch den Besitzer der Pommesbude zu überzeugen, der bislang für seinen Laden vielleicht nicht mal eine E-Mail-Adresse hatte", sagt Seufert. Er sitzt in der Zentrale der Biw Bank, etwas außerhalb von Willich. Das majestätische Gebäude mit Zwiebeltürmchen liegt versteckt zwischen Bäumen am Ende eines Feldwegs. Es entspricht damit dem Geschäftsmodell der Bank, die auch eher im Hintergrund arbeitet. Sie hilft etwa Firmen ohne Banklizenz, Zahlungen abzuwickeln. Kesh könnte für viele junge Startups, die an Lösungen zum mobilen Bezahlen arbeiten, eine ähnliche Rolle einnehmen.

Das System hat sich dabei ständig entwickelt. "Angefangen hat es mit einem SMS-basierten System", sagt Seufert. Daraus wurde die App. Heute genügen vor Ort drei Schritte: QR-Code im Laden scannen, Betrag eintippen und Geld überweisen.

Das schätzen auch die Kunden von Claudia Greis, die mittags ihre Brötchen per Kesh in der Bäckerei bezahlen. "Die Beträge liegen meist unter zehn Euro", sagt Greis. Sie führt den Betrieb mit ihrem Bruder in der fünften Generation. "Für uns ist das eine gute Möglichkeit", sagt sie: "Die Beträge sind in der Regel so niedrig, dass die EC-Kartenzahlung für uns zu kostenaufwendig wäre."

Vielleicht ist es genau dieses über Generationen ausgeprägte unternehmerische Denken, dass in der Stadt für solch eine Offenheit gegenüber neuen Methoden sorgt. Immerhin wissen die Leute genau: Wenn du den Leuten in Willich nicht mehr bietest, fahren sie eben noch häufiger nach Mönchengladbach oder Düsseldorf. Kesh ist eine Möglichkeit und im Grunde eine Win-Win-Situation - niedrige Gebühren für Händler, Service für den Kunden. Das müsste doch jeder kapieren, oder?

Sylvia Forgber schüttelt den Kopf: "Wir haben einen Kunden, der regelmäßig mit Kesh bezahlt." Der Rest zahlt Rindergulasch und Hackfleisch lieber bar. Liegt es an der App? "Nein, das System ist top", sagt Ehemann Uwe Forgber. Viel besser als die EC-Karten-Zahlung, die auch er aufgrund der hohen Gebühren wieder abgeschafft hat. Was ist es dann?

Mobile Payment sei eben ein schwieriges Thema, heißt es bei der Biw Bank: "Viele Leute haben Sicherheitsbedenken." Dabei ist es viel unsicherer mit durchschnittlich 103 Euro Bargeld in der Tasche durch die Stadt zu laufen. Dass es schwer wird, wissen sie bei der Bank. Obwohl seit dem Start vor rund zwei Jahren Waren im Wert von mehr als einer Million Euro mit Kesh bezahlt wurden. Doch das ist natürlich nichts im Vergleich zu den Summen, die täglich in Deutschland ausgegeben werden. Und auch die Expansion kommt zu langsam voran. Außerhalb von Willich gibt es nur rund 50 weitere Bezahlstellen.

Bei der Bank setzt man auf den Faktor Zeit: "Auch die Verbreitung der EC-Karte hat gedauert." Also werben sie weiter für ihre App. Damit selbst Stuten per Smartphone bezahlt werden und die Kleingeld-Suche in der Bäckerei Greis der Vergangenheit angehört.

(frin)
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