Interview mit BDEW-Chefin Hildegard Müller "Solarförderung noch schneller senken"

Die Chefin des größten Verbands der Energiewirtschaft warnt vor dem Kollaps des Systems, sollten die Bundesländer ihren gnadenlosen Ausbau-Wettlauf beim Ökostrom fortsetzen. Das Fracking würde die BDEW-Chefin in Deutschland erlauben, wenn sie allein das Sagen hätte.

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Foto: dpa-tmn/Andrea Warnecke

Die Energiewende wurde vor zwei Jahren ausgerufen. Wo stehen wir heute?

Müller Die Energiewende ist ein Projekt für eine ganze Generation. Wäre sie ein Marathonlauf, hätten wir gerade mal zehn Prozent oder vier Kilometer hinter uns. Als Industrieland müssen wir der Welt zeigen, dass die Energiewende nicht nur ökologisch richtig ist, sondern auch ökonomisch effizient gesteuert wird. Wir machen derzeit aber manches viel zu schnell, zum Beispiel beim Ausbau der Photovoltaik.

Alle erwarten, dass die Vergütungssätze nach der Bundestagswahl gekürzt werden — und deshalb versuchen jetzt viele, so schnell wie möglich neue Windräder und Solar-Anlagen zu installieren — egal, ob diese Anlagen an sinnvollen Standorten stehen oder ein zügiger Netzanschluss möglich ist. Wir brauchen deshalb unbedingt ein kontinuierliches Projekt-Management bei der Energiewende. Es gibt immer mehr Unwuchten, die mir Sorgen bereiten.

Vieles läuft nicht rund bei der Energiewende. Was sorgt Sie am meisten?

Müller Die Balance zwischen Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit gerät aus dem Lot. Die Abstimmung zwischen Bund und Ländern lässt zu wünschen übrig. Jedes Bundesland verfolgt seine eigenen Interessen beim Ausbau der erneuerbaren Energien, hier tobt ein heftiger Verteilungskampf. Der Energiewende und vor allem ihrer Bezahlbarkeit dient das nicht.

Würde ein Energieministerium helfen, diese Unwuchten zu beseitigen?

Müller Wir müssen sicher die Zuständigkeiten in der Bundesregierung für die Energiewende nach der Wahl neu bündeln. Es kann nicht sein, dass ein Teil der Stromerzeugung, nämlich der Teil der konventionellen Gas- und Kohlekraftwerke, im Wirtschaftsministerium ressortiert, und die erneuerbaren Energien im Umweltministerium. Das muss zusammengeführt werden.

Aber das Bund-Länder-Gerangel wird auch kein Bundesenergieminister auflösen können. Wir brauchen eine richtige Bund-Länder-Plattform. Die Bundeskanzlerin trifft sich zwar alle sechs Monate mit den Ministerpräsidenten. Mir fehlt aber die dazu gehörige Selbstverständlichkeit der Kooperation auf Arbeitsebene.

Der BDEW und die Umweltschutzorganisation WWF haben deshalb gemeinsam vorgeschlagen, ein Nationales Forum Energiewende einzurichten. Die Länder müssen zum Beispiel ihre Ausbauziele für die erneuerbaren Energien unbedingt auf ein Maß reduzieren, mit dem das Gesamtsystem der Energieversorgung nicht überfordert wird. Ich setze darauf, dass Bund und Länder zeitnah in Verhandlungen treten, um diesen Wettlauf zu beenden, der zu einem völlig ungesteuerten Ausbau der erneuerbaren Energien führt.

Wie muss eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aussehen?

Müller Heute ist es auch schon ohne Förderung attraktiv, Solarzellen auf dem Dach zu installieren. Es muss deshalb geprüft werden, ob nicht die derzeitigen Fördersätze für Solarenergie noch schneller als geplant gesenkt werden können. Wichtig ist mir: Die Energiewende muss auch von denen akzeptiert werden, die sich selbst keine Solar-Anlage aufs Dach setzen können, die aber die EEG-Umlage bezahlen müssen, also zum Beispiel die Mieter. Und: An den Küsten haben wir so viel Wind, dass auch die Fördersätze für Windanlagen dort verringert werden können.

Die erneuerbaren Energien sind jetzt aus den Kinderschuhen heraus. Sie müssen sich genauso dem Markt stellen wie andere auch. Deshalb muss die Förderung grundsätzlich umgestellt werden: Wir brauchen eine Pflicht zur Direktvermarktung für Ökostrom-Produzenten. Künftig sollte der größere Teil ihrer Einnahmen aus am Markt erzielten Erlösen bestehen und nur der kleinere Teil aus einer zusätzlichen staatlichen Prämie.

Welche Betriebe sollen ihren Rabatt bei der Ökostrom-Umlage verlieren?

Müller Man muss natürlich noch einmal genau hinschauen, welche Ausnahmen gerechtfertigt sind und welche nicht. Natürlich stellt sich die Frage, ob zum Beispiel Verkehrsbetriebe ausgenommen werden sollten. Diese Betriebe stehen ja nicht im internationalen Wettbewerb. Aber: Verkehrsbetriebe hätten natürlich stark steigende Stromkosten, wenn hier die Ausnahmeregelungen fallen. Das kann dann zu höheren Preisen ausgerechnet im umweltfreundlichen Nahverkehr führen. Hier sind politische Abwägungen über die jeweiligen Notwendigkeiten und ihre Finanzierung zu treffen.

Umweltminister Altmaier möchte die EEG-Umlage einfrieren, bis eine EEG-Reform beschlossen ist. Unterstützen Sie ihn?

Müller Das klingt auf den ersten Blick zwar gut, aber:. An den weiterhin entstehenden Kosten durch den Ausbau der Erneuerbaren Energien würde sich ja nichts ändern.. Irgendjemand muss diese Kosten tragen. Ein Einfrieren wäre nur eine Art "Umleitung" der Kosten, da ja jemand die weiter auflaufenden Kosten bezahlen muss. Egal durch welche Umverteilung: Am Ende würde also weiterhin der Bürger zahlen.

Verbraucherverbände beklagen, dass die Energieversorger die gesunkenen Börsenstrompreise nicht an die Verbraucher weitergeben. Warum ist das so?

Müller Das stimmt so nicht. Die Treiber beim Strompreis sind ganz klar die stark gestiegenen Steuern und Abgaben des Staates sowie die Netzentgelte. Diese Entwicklungen haben in diesem Jahr dazu geführt, dass die positiven Effekte bei der kurzfristigen Beschaffung von Strom aufgehoben wurden und der Strompreis unterm Strich gestiegen ist. Über 50 Prozent des Strompreises sind Steuern und Abgaben. Der von den Versorgern verursachte Preisanteil ist in den letzten fünf Jahren kaum gestiegen. Jetzt mit dem Finger auf die Energieversorger zu zeigen, ist deshalb falsch. Die Verantwortung für den Anstieg der Strompreise liegt eindeutig bei der Politik.

Wie verändert die Schiefergasförderung in den USA, das sogenannte Fracking, die Perspektiven für die deutsche Energiewende und den Klimaschutz in Europa?

Müller Zunächst: Ein apodiktisches Nein zum Fracking in Deutschland halte ich für falsch. Für den BDEW ist klar: Der Trinkwasserschutz muss immer gewährleistet sein. Ich finde es aber schwierig, dass viele diese Technologie schon ausschließen wollen, bevor wir ausreichende wissenschaftliche Erkenntnisse dazu haben. Wir erleben einen dramatischen Preisverfall bei Gas und Kohle durch das Fracking in den USA. Wir brauchen daher auch dringend ein neues EU-Klimaschutzziel für 2030, sonst haben Investoren keine Sicherheit und keine Anreize für die nötigen Investitionen in Klimaschutztechnologien.

Das Gespräch führte Birgit Marschall.

(-mar)
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