Nach dem Bürger-Nein zur Münchner Startbahn Sorge um Realisierung von Großprojekten

Das Stoppsignal der Bürger für eine neue Flughafenpiste in München schreckt Wirtschaft und Politik auf. Verhindert Widerstand der Nachbarn immer mehr Großprojekte? Wege zur Akzeptanz sind schwierig.

 In Attaching sind die Einwohner zufrieden mit dem Ergebnis des Volksentscheids.

In Attaching sind die Einwohner zufrieden mit dem Ergebnis des Volksentscheids.

Foto: dpa, Sven Hoppe

Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer stellte am Dienstag in der "Süddeutschen Zeitung" klar, dass er an der geplanten dritten Startbahn für den Münchener Flughafen festhalte. Er akzeptiere zwar das Votum, "es geht aber um ein gesamtbayerisches Anliegen", so Seehofer. Münchens Oberbügrermeister Christian Ude will das Votum aber durchsetzen, auch wenn die Stadt rein rechtlich nur ein Jahr daran gebunden wäre.

Das, was sich zurzeit in München abspielt, erinnert an jene Tage, als in Stuttgart tausende Menschen gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 gewehrt hatten. Dort verlief der Bürgerentscheid anders, dort gab es Massendemonstration und ähnlich wie in der bayerischen Landeshauptstadt stritt die Politik um das Großprojekt.

Angesichts dieser Beispiele fragt sich schon mancher: Haben milliardenteure Großvorhaben im Industriestaat Deutschland keine Chance mehr? Seit der Eskalation um Stuttgart 21 beteuern Politik und Verbände, mehr Anwohnerbeteiligung solle her. Leicht durchschaubar sind Genehmigungsverfahren jedoch nicht. Und manchmal untergraben auch Pannen der Planer die Akzeptanz.

54,3 Prozent der Münchner gegen Ausbaupläne

In der Nachbarschaft des Münchner Flughafens jedenfalls herrschte am Montag, einen Tag nach dem Bürgerentscheid Freude über das Votum in der bayerischen Landeshauptstadt. "So gefällt es uns! Wir sind das Volk", steht auf einem Plakat im Schaufenster des kleinen Supermarktes im Freisinger Ortsteil Attaching. Und auf einem anderen "Danke an Alle". Mit 54,3 Prozent hatten die Münchner am Sonntag die ehrgeizigen Ausbaupläne für das zweitgrößte deutsche Luftfahrtdrehkreuz vorerst gestoppt.

"Wenn die dritte Startbahn kommen würde, müssten die Dachziegel festgeschraubt werden, um dem Druck der in niedrigster Höhe über unsere Häuser fliegenden Maschinen standzuhalten", sagt Attachings Sportvereinsvorsitzender Johann Hölzl am Montag. Dabei donnern schon jetzt Jets im Minutenabstand über die schmucken Einfamilienhäuser.

Von einem lokalen Problem kann nicht die Rede sein. Von Nord nach Süd gibt es Krach um Bauvorhaben — von der Anbindung der geplanten Ostseequerung durch den Fehmarnbelt in Schleswig-Holstein bis zum Steinkohlekraftwerk Datteln in Nordrhein-Westfalen. Der Münchner Entscheid habe einmal mehr gezeigt, wie schwierig es mittlerweile sei, die Bevölkerung von der Notwendigkeit wichtiger Projekte zu überzeugen, klagt der Bundesverband der Tourismuswirtschaft.

"Wenn wir unsere Infrastruktur nicht auf die Zukunft vorbereiten, dann sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen", warnt auch der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch. Dabei argumentiert Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) seit Längerem: "Eine florierende, global vernetzte Volkswirtschaft ist ohne Nebenwirkungen nicht zu haben." Berechtigte Interessen von Anwohnern müssten jedoch auch berücksichtigt werden.

Auch bei Netzausbau gibt es Widerstand

Fragt sich nur wie. Zumal sich das Problem verschärft, weil wegen des Ausstiegs aus der Atomkraft auch die Stromnetze massiv ausgebaut werden sollen — mit allen Konsequenzen für die Lebensqualität von Nachbarn, den Wert von Eigenheimen, knappe Landwirtschaftsflächen. Notwendig sei "eine sehr intensive, aber auch nicht zu lange Diskussionsphase" mit betroffenen Bürgern, formulierte es Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Denn es muss bald Investitionsklarheit sein."

Der Spagat zwischen Beteiligung und Realisierung ist schwierig. Das zeigt sich auch am größten deutschen Flughafen in Frankfurt/Main, wo im Herbst eine neue Landebahn in Betrieb ging und nun immer montags Lärmgegner protestieren. Um gewalttätige Konflikte wie beim Bau der Startbahn West Anfang der 80er Jahre zu vermeiden, war eigens ein Vermittlungsverfahren (Mediation) organisiert worden.

Das Ergebnis: Ja zum Ausbau unter der Bedingung eines Nachtflugverbots. Initiativen sahen sich aber getäuscht, als die Baugenehmigung sieben Jahre später 17 Ausnahmen vorsah. Auch als das Bundesverwaltungsgericht im April die Nachtflugausnahmen wieder kippte, legte sich die Unruhe nicht.

Dass es beim Milliardenprojekt Stuttgart 21 eine Befriedung erst nachträglich über eine Mediation und einen Volksentscheid gab, gilt ebenfalls nicht als ideal. Dabei sind die Interessenlagen regional sehr unterschiedlich. "Man wird es nie allen Recht machen können", meint Ramsauer, der beim langfristigen Bundesverkehrswegeplan mehr Öffentlichkeit will. Es gelte, politische Entscheidungen früher und sorgfältiger zu erklären und für gute Argumente offen zu sein. Damit sollten die späteren formellen Verfahren der Verwaltung von heiklen Diskussionen über das "Ob" eines Vorhabens entlastet werden.

Teils torpediert indes auch die Vorgehensweise von Behörden und Bauherren die Akzeptanz. Rund um den künftigen Hauptstadtflughafen Berlin Brandenburg brachte es viele Anwohner auf, dass sie sich auf frühere Informationen zur Führung der Flugrouten verlassen hatten. Noch mehr Durcheinander entstand, als die für Anfang Juni geplante Airport-Eröffnung wegen Technikproblemen platzte.

(dpa/das)
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