Disco-Besuche Nie mehr Verzehrkarten beim Tanzen

Münster · Christian Wattenberg ging mit den Ärzten und Bob Dylan auf Tour. Nach 23 Jahren als Toningenieur hat er hingeschmissen und stattdessen ein Start-up gegründet. Nun will er Discos digitalisieren.

 In Discotheken ist inzwischen vieles digital - nur die Verzehrkarte vielerorts überlebt. Ein Startup hat dafür eine innovative App entwickelt.

In Discotheken ist inzwischen vieles digital - nur die Verzehrkarte vielerorts überlebt. Ein Startup hat dafür eine innovative App entwickelt.

Foto: Stefan Kroeger / VISUM

Disco-Besuche folgen oft dem gleichen Muster: Man kommt an, bekommt eine Verzehrkarte aus Papier in die Hand gedrückt, gibt eventuell seine Jacke ab, für die man einen Bon aus Papier mit einer Nummer bekommt, tanzt, trinkt und feiert, wundert sich, wer so alles freiwillig im Käfig tanzt, sucht die mit Edding abgezeichnete Verzehrkarte, sucht die Marke für die Garderobe, findet nur einen Kassenbon für das Bier vom Vorglühen — und erst dann, kurz vor Toreschluss tauchen die vermissten Papiere wieder auf.

So bekannt, so altmodisch. Es ist doch seltsam, dass ausgerechnet da, wo sich so viele junge, Smartphone-affine Leute aufhalten, oft noch so analog gearbeitet wird. Klar, der DJ hat inzwischen einen Laptop dabei. Aber Musikwünsche werden immer noch häufig auf einen Bierdeckel gekritzelt und über den Tresen gereicht.

Doch nun könnte die digitale Revolution nach Farbfilmen, CDs und Buchläden auch die Verzehrkarte überflüssig machen. Zahlreiche App-Entwickler bringen aktuell Systeme auf den Markt, mit denen per Smartphone bezahlt oder abgerechnet werden kann. Christian Wattenberg geht sogar noch einen Schritt weiter.

Die Entwicklung von ihm und seinen Mitstreitern wird aktuell in der Diskothek "Jovel" in Münster getestet. Das ist kein kleiner Name in der Studentenstadt. Im "Jovel", das in den letzten Jahren allerdings seinen Standort wechselte, haben schon Generationen von Studenten gefeiert — auch mit Verzehrkarten. In Zukunft kommt hier Clublife zum Einsatz. Für Gäste soll sie ein Rundum-Sorglos-Paket bieten. "Ich hatte die Idee, eine App zu entwickeln, mit der man Selfies machen oder Musikwünsche direkt an den DJ schicken kann", sagt Christian Wattenberg. Der Besitzer des Jovel, ein alter Bekannter, riet ihm, eine Bezahlfunktion einzubauen: "So ist Clublife entstanden."

Die App soll Garderobenmarken, Verzehrkarten und SMS oder Zettel für den DJ überflüssig machen. Wer sich das kleine Programm auf sein Smartphone lädt, soll damit bargeldlos bezahlen, Liedwünsche schicken oder ein Taxi rufen können. Und wer mit der App während der Feier ein Selfie macht, kann dieses direkt auf die großen Monitore an den Disco-Wänden schicken.

Christian Wattenberg ist überzeugt, dass sich viele Interessenten für so eine Idee finden lassen. "Unsere App kann überall eingesetzt werden, von Kiosk bis zum Fußballstadion", sagt er. Irgendwann solle die App, die er gemeinsam mit zwei weiteren Gesellschaftern in seiner Firma Clublife GmbH entwickelt, auch genau dort eingesetzt werden: "Vielleicht nicht direkt im Dortmunder Signal Iduna-Park, aber in Zweit- oder Drittligastadien." Theoretisch sei auch der Einsatz in Bowlingcentern, Kletterhallen oder bei temporären Großveranstaltungen wie dem Musikfestival "Rock am Ring" möglich. Die Benutzeroberfläche der App würde sich — nach dem Scannen eines so genannten QR-Codes — einfach dem jeweiligen Event anpassen und die nötigen Informationen anzeigen.

Mit weiteren Veranstaltern gebe es schon Gespräche, verrät Wattenberg, der auf eine Reihe von Geschäftsabschlüssen hofft. Immerhin soll sein Start-up, im Gegensatz zu vielen anderen Beispielen in der Branche, bereits im kommenden Jahr profitabel arbeiten — und parallel ins Ausland expandieren. Unterstützt wird Clublife dabei von der NRW.Bank, die junge Gründungen mit verschiedenen Programmen fördert und dem Unternehmen bei der Finanzierung geholfen hat.

Was Wattenberg außerdem von anderen Start-up-Gründern unterscheidet, ist seine Erfahrung: Der Mann aus dem Kreis Steinfurt im Münsterland ist kein junger Absolvent einer Elite-Hochschule, kein Computerfreak, der Programmieren kann, und auch keiner, der sich im Silicon Valley inspirieren ließ und nun auf der Jagd nach dem schnellen Geld ist.

Stattdessen arbeitete er knapp 23 Jahre als Toningenieur, ging mit Bob Dylan und der Band "Die Ärzte" auf Tour, bis es ihm irgendwann zu viel wurde. Das Geschäft sei härter geworden, speziell der Preiskampf. Und irgendwann stand sein Entschluss fest: Ein Neuanfang. Seine Frau und die beiden Töchter haben sich gefreut — schließlich war der Familienvater nun häufiger zuhause und nicht mehr, so wie 1997 als er mit Supertramp auf Tour war, monatelang für mehr als einhundert Konzerte unterwegs.

Seine Erfahrungen, ist sich Wattenberg sicher, würden ihm beim Neustart genauso weiterhelfen wie seine Kontakte: "In der Veranstaltungsbranche improvisiert man jeden Tag. Das kommt uns heute zugute, wenn wir unkomplizierte Lösungen für ein Problem finden müssen." Da werden die Abdrücke für Neoprenhüllen für das iPhone-Kassensystem auch schon mal mit Hilfe von Fußabdruckmatten aus dem Sanitätshaus genommen. Hauptsache, es funktioniert. Und nebenbei haben die Tüftler sogar noch ein zweites Geschäft entwickelt: Die Halterungen, die sie für die iPad-Kassensysteme entwickelt haben, stoßen auch außerhalb der Diskotheken auf große Nachfrage. Museen, Autohäuser — einige Anfragen gab es bereits. Für das junge Unternehmen eine willkommene Entwicklung: "Das Geschäftsmodell hat sich quasi von alleine entwickelt."

(frin)
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