Radevormwald Steckdosen-Revoluzzer aus Radevormwald

Radevormwald · Seit 111 Jahren arbeitet der Steckdosen- und Schalterhersteller Gira Giersiepen betont unaufgeregt in der oberbergischen Abgeschiedenheit. Nun sorgte der erste Rückruf der Firmengeschichte für Aufregung zum ungünstigsten Zeitpunkt.

Radevormwald: Steckdosen-Revoluzzer aus Radevormwald
Foto: Gira

Es ist ein rauer Morgen in Radevormwald. Es wirkt, als ob sich das Wetter dem typisch-bergischen Stadtbild mit seinen Schieferhäusern angepasst habe - grauer Himmel, graue Wände. In einer unscheinbaren Nebenstraße ergibt sich aber ein Bild, das so gar nicht in die Schieferfassaden-Szenerie passen möchte: Hochmoderne Produktionshallen und gläserne Bürobauten säumen den Weg.

Radevormwald: Steckdosen-Revoluzzer aus Radevormwald
Foto: Hertgen, Nico

Der Hauptsitz des Steckdosen- und Lichtschalterherstellers Gira Giersiepen erstreckt sich über beide Straßenseiten, eine verglaste Brücke verbindet die Gebäude. Aus der Abgeschiedenheit im Oberbergischen wird weltweit ein Umsatz von 250 Millionen Euro generiert. Gira ist Marktführer, Konsumenten dürfte der Name jedoch wenig sagen. Doch weder das noch die geografisch bedingte eher ruhige Lage im Bergischen Land haben Gira bislang sonderlich gestört. Im Gegenteil: Hier konnte man in Ruhe werkeln und die Expansion vorantreiben.

Doch seit wenigen Wochen ist alles anders. Zum ersten Mal in der Firmengeschichte musste Gira ein Produkt wegen Sicherheitsmängeln zurückrufen. Bei einer Kinderschutz-Steckdose funktionierte in zu vielen Fällen der mechanische Verschluss in der Abdeckung nicht mehr. "Bei unsachgemäßem Gebrauch kann es zu lebensbedrohlichen Stromschlägen kommen", warnte Gira die Verbraucher. Rund eine Million Steckdosen wurden zurückgerufen.

"Der Rückruf kam für uns zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt", sagt ein Sprecher. Denn eigentlich war das Unternehmen schon mitten in der Vorbereitung für die Fachmesse "Light+Building", die gestern in Frankfurt am Main endete. Für Gira ist es der wichtigste Termin des Jahres, hier trifft man Kunden und Konkurrenten, hier tauscht man sich aus und stellt die eigene Innovationskraft zur Schau. Ein riesiger Rückruf ist da natürlich besonders unangenehm. Rückruf und Messevorbereitung parallel zu stemmen, sei natürlich enorm stressig, sagte ein Sprecher: Glücklicherweise sei der Rückruf gut angelaufen. Die eigens eingerichteten Hotlines hätten in den ersten Tagen kaum stillgestanden, mittlerweile ist es wieder deutlich ruhiger. "Die Zahl der potentiell betroffenen Produkte bewegt sich im Promillebereich, das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", heißt es.

Denn der Rückruf gilt natürlich auch für im Ausland verkaufte Kinderschutz-Steckdosen. "Ein immenser logistischer Aufwand. Da werden wir noch ein wenig mit beschäftigt sein", sagte der Sprecher. Wie hoch der finanzielle Schaden ist, will das Unternehmen auf Anfrage nicht sagen. Bloß keine zu große Aufmerksamkeit erregen.

Denn eigentlich brummt das Geschäft in Radevormwald. "Allein seit 2005 haben wir die Mitarbeiterzahl beinahe verdoppelt." Knapp 1200 Menschen arbeiten für das Traditionsunternehmen, das in diesem Jahr bereits sein 111-jähriges Bestehen feiert.

Dabei begann die bergische Erfolgsgeschichte Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem Unglück. Der junge Richard Giersiepen konnte nach einem schweren Fahrradunfall seinem Beruf als Bäcker nicht mehr nachgehen. Er entdeckte seine Begeisterung für Elektrotechnik, entpuppte sich als talentierter Tüftler und sicherte sich im Jahr 1903 das Patent für einen Kippschalter. Gemeinsam mit Bruder Gustav gründete er zwei Jahre später in Wuppertal eine "Fabrik von Apparaten für die elektrische Beleuchtung". Schon 1910 erfolgte der Umzug nach Radevormwald - und der Name wurde schon bald in Gira geändert, eine Zusammensetzung aus den Anfangsbuchstaben des Familiennamens und der Stadt.

Bekanntheit erlangte das Unternehmen in den 1950er Jahren, als es für Steckdosen und Lichtschalter das Baukastensystem erfand. Wurden Steckdosen bislang aus einem Stück gefertigt, gibt es heute Rahmen, die mit verschiedenen Schaltern und Steckdosen kombiniert werden können. Heutzutage dürfte das System, das auch andere Hersteller übernommen haben, in fast jedem Haushalt zu finden sein. Aber wer achtet bei Steckdosen schon auf die Marke?

Als Arbeitgeber ist Gira in der Region trotzdem attraktiv, auch weil es sich Attribute wie Familienfreundlichkeit und Verantwortungsbewusstsein auf die Fahnen geschrieben hat - firmeneigene Kindertagesstätte inklusive. Mittlerweile wird die Firma in vierter Generation von Dirk Giersiepen geführt. Vom regionalen Hersteller von Steckdosen und Schaltern hat sich Gira zum international führenden Anbieter digitaler Gebäudesteuerungen mit 38 Niederlassungen weltweit gemausert. Das Kerngeschäft liegt aber weiter am deutschen Markt. "Hier haben wir einen Marktanteil von rund 25 Prozent, gemeinsam mit einem Mitbewerber sind wir Branchenführer", heißt es. Der Rückruf soll daran nichts ändern.

(p-m)
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