Düsseldorf Stille Wasser sind attraktiv

Düsseldorf · Der Mineralwasser-Markt hat sich verändert. Wasser mit wenig Kohlensäure hat den Sprudel von der Spitzeverdrängt. Am stärksten aber wächst der Anteil von stillem Wasser. Warum hat sich der Markt so verändert?

Wer keinen Hunger mehr hat, ist satt. Wer keinen Durst mehr hat, ist... ja, was eigentlich? 1999 wollte die Dudenredaktion diese Lücke in der deutschen Sprache schließen und rief auf, ein Wort für "nicht mehr durstig" zu finden. Zwar gewann ein Schüler mit dem Vorschlag "sitt", doch durchgesetzt hat sich dieses Kunstwort nicht.

Das könnte auch damit zu tun haben, dass der Deutsche immer Durst zu haben scheint. Jedenfalls trinkt und trinkt er. Gegen den Durst am liebsten Mineralwasser, 143,5 Liter pro Kopf. Bis in die 90er hinein war damit vor allem Mineralwasser mit viel Kohlensäure gemeint. Seit 2011 ist Wasser mit reduzierter Kohlensäure ("Medium") der Marktführer mit 41,4 Prozent Marktanteil, Sprudel hat noch 38,3 Prozent. Auf Platz drei liegt stilles Wasser (19,5 Prozent). Dessen Anteil hat sich in zehn Jahren verdoppelt.

Die Deutschen haben es nicht mehr so mit Kohlensäure. Der vermutlich wichtigste Grund lässt sich an den Absatzzahlen ablesen: Die Deutschen trinken immer mehr Mineralwasser. 1970 waren es noch 12,5 Liter pro Kopf, heute sind es mehr als elfmal so viel. Mineralwasser ist kein bloßer Durstlöscher mehr, sondern etwas, das wir ständig zu uns nehmen. Und wer mehr trinkt, der möchte sich nicht unbedingt bei jedem Schluck die volle Dosis Kohlensäure verpassen. Zumal unsere Ernährung dazu führt, dass unser Magen ohnehin schon gereizt ist. "Der Erfolg von kohlensäurearmem beziehungsweise -freiem Mineralwasser lässt sich auch dadurch erklären, dass immer mehr Menschen aufgrund ungesunder Ernährung zu einem empfindlichen Magen neigen und daher die Bekömmlichkeit schützen", erklärt die Ernährungsberaterin Marion Wüstefeld-Würfel.

Warum trinken die Deutschen mittlerweile überhaupt so viel abgefülltes Wasser? Die MineralwasserProduzenten haben nicht nur vom steigenden Wohlstand nach dem Krieg profitiert, von der Luxusfress- und der Gesundheitswelle, sondern auch von zwei Eingriffen in den Markt, wie Arno Dopychai, Mineralwasserexperte beim Verband Deutscher Mineralbrunnen, erklärt: In den 80er Jahren regelte eine europaweite Richtlinie die Anforderungen ans Mineralwasser neu. Zuvor hatte Deutschland eigene, strengere Vorschriften gehabt. Mit den Richtlinien durfte nun auch Wasser als Mineralwasser verkauft werden, das sich vorher nicht so nennen durfte - weil der Mineralgehalt zu niedrig war. Darunter waren auch viele stille Wasser. Damit war das Angebot plötzlich größer.

Der zweite große Schub sorgte dafür, dass der Verbrauch von 2000 bis 2003 um 30 Liter pro Kopf stieg. Verantwortlich war die Einführung der PET-Flasche, vor allem in der Einweg-Variante. Diese war bis 2003 pfandfrei, was dazu führte, dass auch Discounter Mineralwasser ins Programm nahmen. Vorher war ihnen das wegen des Pfandsystems zu aufwändig gewesen. Außerdem war die Flasche leichter, größer und stabiler. Die Folge: steigender Konsum.

Und noch ein Argument: Eigentlich ist Deutschland in Sachen Kohlensäure eine Ausnahme. "Deutschland nimmt eine Sonderstellung ein, weil es durch seine Geologie über sehr viele kohlensäurehaltige Mineralwasserquellen verfügt", sagt Marcus Macioszek, Marketing-Chef von Gerolsteiner. Aber als die Deutschen mit steigendem Wohlstand nach Italien, Frankreich und Spanien fuhren, lernten sie dort auch Mineralwasser mit wenig oder keiner Kohlensäure kennen.

Bis deutsche Anbieter den Trend zu stillem Wasser erkannten und gegen Volvic, Evian und Vittel antraten, dauerte es. Erst 2008 sah sich Gerolsteiner veranlasst, sein Medium-Wasser nicht mehr als "Stille Quelle" zu führen, weil das mittlerweile nicht mehr für kohlensäurearm, sondern für kohlensäurefrei stand. Ende der 90er war Gerolsteiner mit der Einführung eines stillen Wassers gescheitert. Das schmeckte offenbar nicht, und der Name "Excelsis" ließ nicht an stilles Wasser denken. Das Unternehmen wechselte Quelle und Namen. Heute macht "Gerolsteiner naturell" 13 Prozent beim Mineralwasser-Absatz der Firma aus.

Und warum trinken die Menschen nicht einfach Leitungswasser? Am Mineraliengehalt kann es kaum liegen. Um Mineralien aus dem Gestein zu lösen und im Wasser gelöst zu halten, braucht es Kohlensäure. Deshalb hat stilles Wasser tendenziell wenig Calcium und Magnesium. Je nach Region kann Trinkwasser locker mithalten. Deshalb werben die Anbieter von stillem Wasser mit einem anderen Punkt: "Wir beobachten in Deutschland seit einigen Jahren einen Trend zur Natürlichkeit", sagt Frederich Haas, Marketingchef von Danone Waters Deutschland, zu dem Evian und Volvic gehören. Einfacher ausgedrückt: Leitungswasser hat keinen guten Ruf - und das obwohl es stärker kontrolliert wird.

(RP)
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