Interview mit Netzagentur-Chef Kurth "Stromanbieter geben Vorteile nicht weiter“

Berlin · Im Interview mit unserer Redaktion spricht der scheidende Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, über Strompreiserhöhungen durch die Energiewende. Viele Faktoren, etwa der zunehmende Wettbewerb im europäischen Strommarkt, wirkten künftig auch preisdämpfend. Zudem würden notwendige Netze und Kraftwerke erst schrittweise ausgebaut, die Milliarden-Kosten dafür fielen nicht auf einmal an.

 Bundesnetzagentur-Chef Matthias Kurth spricht mit unserer Redaktion über die Zukunft des Strommarktes.

Bundesnetzagentur-Chef Matthias Kurth spricht mit unserer Redaktion über die Zukunft des Strommarktes.

Foto: ddp, ddp

Die Bundesnetzagentur verlässt der 59-Jährige mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach zwölf Jahren im Amt. Sein Nachfolger Jochen Homann, der bisherige Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium, steht ab Februar mit der Energiewende vor einer Herkulesaufgabe.

Die Stromverbraucher fürchten sich vor stark steigenden Strompreisen durch die Energiewende der Bundesregierung. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Kurth Es gibt auch Faktoren, die die Preise eher dämpfen werden, etwa der zunehmende Wettbewerb im europäischen Strommarkt oder effiziente Netzentgelte, für die die Bundesnetzagentur sorgt. Durch die Regulierung in den vergangenen Jahren machen die Netzentgelte heute nur noch ein Fünftel des Strompreises aus, vor sechs Jahren war es noch ein Drittel. Der Ökostrom-Ausbau und die nötigen Milliarden-Investitionen in neue Stromleitungen und Kraftwerke werden zwar eher Kosten erhöhend wirken. Aber was immer vergessen wird: Diese Kosten gehen erst dann in die Stromrechnung ein, wenn die Dinge auch wirklich gebaut sind. Die Kostenbelastung wird also in den nächsten Jahren erst mal sehr moderat ausfallen. Und wenn die Netze gebaut sind, werden sie ja nicht in einem Jahr vom Kunden bezahlt, sondern über viele Jahrzehnte in kleinen Raten. Alles in allem rechne ich nicht mit sprunghaften Strompreiserhöhungen durch die Energiewende.

Warum steigen denn jedes Jahr die Strompreise vor allem für die privaten Endverbraucher?

Kurth Die Preiskomponenten Beschaffung und Vertrieb haben sich sind in den letzten sechs Jahren für Privatkunden fast verdoppelt, obwohl die Strombörsenpreise nicht immer gestiegen, sondern zeitweise auch wieder deutlich gesunken sind. Viele Stromanbieter kaufen den Strom ein bis zwei Jahre im Vorhinein ein. Oft haben sie den Strom günstiger eingekauft, diesen Vorteil aber nicht an die Kunden weitergegeben. Hier gibt es noch zu wenig Druck durch den Wettbewerb.

Und das würde sich ändern, wenn mehr Kunden den Anbieter wechseln würden?

Kurth Mit Sicherheit! Je häufiger und je mehr Endkunden ihre Anbieter wechseln, desto mehr werden die Anbieter ihre Preispolitik flexibilisieren. Das ist im Luftverkehr, bei Telefongesellschaften und Lebensmitteldiscountern doch gelebte Praxis. Viele Verbraucher haben allerdings zu Unrecht Vorbehalte vor einem Wechsel: Niemand wird im Dunkeln sitzen, weil er seinen Stromanbieter wechselt.

Welche Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Energiewende sehen Sie?

Kurth Das Problem liegt eher bei den Genehmigungen und den schleppenden Planungen und weniger bei der Kostenbelastung. Unser Hauptproblem ist, dass wir mit den Genehmigungen für neue Netze und Kraftwerke in der Vergangenheit nicht so vorangekommen sind, wie das nötig wäre. Wir haben als Netzagentur jetzt 240 neue Stellen bekommen, um dies durchgreifend zu verbessern, Wir bauen gerade eine komplett neue Abteilung auf. Wir haben schon 40 Leute eingestellt, die für die Beschleunigung des Netzausbaus sorgen werden. Wir arbeiten mit den Netzbetreibern mit Hochdruck an dem Bundesnetzentwicklungsplan. Wir legen den Grundstein dafür, dass der Netzausbau nicht mehr zehn bis 15 Jahre und mehr dauert, sondern künftig nur noch rund fünf Jahre die Regel sein werden.

Warum dauern die Genehmigungsverfahren für neue Netze so lange?

Kurth Für die Netzplanung des Höchstspannungsnetzes gibt es jetzt eine zentrale Bundesbehörde, und das sind wir. Insofern ist jetzt eine neue Zeit angebrochen, die auch eine neue Chance zur Beschleunigung eröffnet. Wir können aber nicht die verlorene Zeit der letzten Jahrzehnte wettmachen. Für die Abwicklung der bereits in Planung befindlichen 1800 Kilometer Hochspannungsleitungen bleiben noch die Bundesländer verantwortlich, davon sind aber rund 90 Prozent bis heute noch nicht gebaut. Oft geht vor Ort die Diskussion über den Ausbau immer wieder von vorne los. Nach dem Motto: Unsere Leitung wird im Moment gerade nicht gebraucht. Plant sie doch an anderer Stelle und mit ganz anderer Technik.

Wo klemmt es denn in Nordrhein-Westfalen?

Kurth Zum Beispiel verzögert sich seit Jahren der Ausbau der 166 Kilometer langen Leitung zwischen Diele und Niederrhein. Kritiker beklagen zu viel Planwirtschaft beim Ausbau des Ökostroms.

Teilen Sie diese Bedenken?

Kurth Durch die garantierte Einspeisevergütung, die den Produzenten erneuerbarer Energien Planungssicherheit gegeben hat, baute sich deren Marktanteil auf 20 Prozent aus. Das ist ein großer Erfolg, doch jetzt ändern sich die Verhältnisse: Die Erneuerbaren sind schon jetzt kein Nischenprodukt mehr. Bis 2020 sollen sie auf 35 Prozent Marktanteil steigen, danach auf 50 und ab 2050 sogar auf 80 Prozent. Jetzt muss man diskutieren, wie man ein System der garantierten Vergütung in ein marktwirtschaftliches System überleitet. Die Ökostrom-Anbieter müssen sich auch stärker auf Nachfrageschwankungen einstellen. Wir haben jetzt eine Marktprämie für die Anbieter eingeführt: Wer nicht mehr die garantierte Vergütung nimmt, sondern seinen Strom direkt vermarktet, bekommt dafür eine Prämie. Jetzt werden Erfahrungen gesammelt und in diese Richtung wird sich das Erneuerbare-Energien-Gesetz schrittweise weiterentwickeln müssen.

Nach zwölf Jahren an der Spitze der Netzagentur scheiden Sie jetzt aus. Ihr Nachfolger Jochen Homann hat eine Herkulesaufgabe vor sich: die Energiewende.

Kurth Richtig. Aber die Tatsache, dass die Planung der Energiewende zur Bundesnetzagentur kam, ist eine unumkehrbare Weichenstellung, die meinem Nachfolger die Sache auch erleichtern kann. Unsere Behörde ist jetzt die zentrale Infrastrukturbehörde für Deutschland. Wir können wie keine andere Behörde in Europa sektorübergreifend denken und Investitionsanreize mit Qualität und lebendigem Wettbewerb verbinden. Wir werden den Regulierungsrahmen so anpassen, dass Glasfaserleitungen für Breitbandinternetkommunikation gleichzeitig mit Strom- und Gasleitungen verlegt werden, um Kosten zu sparen

Gehen sie gerne?

Kurth Ich bin jetzt 59 Jahre alt. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende, auf den ich gern zurückblicke. Es war eine einmalige Chance für mich, 12 Jahre an maßgeblicher Stelle gestalten zu können. Die Behörde ist unter meiner Leitung enorm gewachsen und umgebaut worden. Sie war anfangs ja nur für die Regulierung in den Sektoren Post und Telekommunikation zuständig, jetzt wacht sie auch über die Strom- und Gasnetze und über das Bahnnetz. Die entscheidenden Weichen sind in vielen Bereichen jetzt gestellt und ich gehe daher nicht gerne, aber doch im Bewusstsein, ein gut geordnetes und effizient arbeitendes Haus, das sich viel Respekt erworben hat, zu übergeben.

Das Gespräch führte Birgit Marschall

(RP/felt/jre/rai)
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