Tengelmann, Vorwerk und Co. Altes Geld für neue Märkte

Mülheim/Wuppertal · Familienunternehmen haben Generationen überlebt, weil sie sich immer wieder angepasst haben - nun investieren immer mehr in Start-ups.

 Begonnen hat Tengelmann mit dem Handel von Kolonialwaren, heute ist die Unternehmensgruppe auch an Digital-Startups wie Zalando, Uber und Lieferheld beteiligt.

Begonnen hat Tengelmann mit dem Handel von Kolonialwaren, heute ist die Unternehmensgruppe auch an Digital-Startups wie Zalando, Uber und Lieferheld beteiligt.

Foto: FOTO: DPA, LIEFERHELD, WIKIPEDIA/M 93 | MONTAGE: C. SCHNETTLER

148 Jahre ist es her, dass Wilhelm Schmitz-Scholl einen kleinen Kolonialwarenhandel gründete und damit den Grundstein für eines der ältesten Familienunternehmen in NRW legte. Aus dem Geschäft wurde die Unternehmensgruppe Tengelmann, zu der heute die Obi-Baumärkte und der Kleidungsdiscounter Kik gehören. Es ist eine Geschichte der Veränderungen, aber wenn man Christian Winter zuhört, hat man das Gefühl, dass sein Job eigentlich nur die logische Konsequenz all dieser Entscheidungen ist. "Tengelmann ist immer anorganisch gewachsen", sagt er: "Auch Obi war in den 1980er Jahren mal eine Start-up-Beteiligung. KiK, das wir 1994 gegründet haben, würde man heute wohl als Seed-Investment bezeichnen."

Winter, das merkt man schon am Vokabular, leitet Tengelmann Ventures, den Digitalzweig der Unternehmensgruppe. Gemeinsam mit seinem Team investiert er in aufstrebende Start-ups, um die Anteile später gewinnbringend zu verkaufen. Es ist der Versuch, Tengelmann so auszurichten, dass es weitere 148 Jahre bestehen kann.

Die Digitalisierung verändert die Gesellschaft rasant. Wer sich nicht schnell genug anpasst, könnte das nächste Opfer des Wandels sein. Kaum jemand weiß das so gut wie Familienunternehmen. Sie haben Weltkriege überdauert, Wirtschaftskrisen und Generationswechsel gemeistert. Während andere scheiterten, haben sie ihre Geschäftsmodelle stets angepasst. Nun versuchen sie es erneut. Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang - und unterschiedlichen Zielen.

In der Szene tummeln sich inzwischen das Wuppertaler Familienunternehmen Vorwerk, das 1883 als Teppichfabrik begann, oder Reinhold Zimmermann, dessen Familie das Bochumer Wurstwarenunternehmen Zimbo in den 1950ern gründete. Und natürlich die Tengelmänner aus Mülheim.

Sie gehen neben stark von den Gründerfamilien geprägten Verlagen wie Holtzbrinck und Springer am radikalsten vor. Denn Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub ist überzeugt, dass es in einem gesättigten Markt wie dem Einzelhandel künftig schwerer wird, profitabel zu sein. Nach dem Verkauf des Discounters Plus fing Tengelmann daher ab 2010 an, in den Online-Handel zu investieren, wo zweistellige Wachstumsraten noch die Regel sind. Dabei schrecken Christian Winter und seine Kollegen auch nicht vor zweistelligen Millionen-Investitionen zurück, wenn sie ein Start-up überzeugt. Längst sind sie nicht nur am Online-Händler Zalando, sondern auch beim Essensvermittler Lieferheld und der Mobilitätsplattform Uber beteiligt, die jeweils mit deutlich mehr als einer Milliarde Dollar bewertet werden.

In Wuppertal geht man weniger aggressiv vor. Zwar gehört auch hier mit dem Kochkisten-Versand Hello Fresh ein so genanntes Einhorn zum Portfolio, also ein Start-up, das mehr als eine Milliarde Dollar wert sein soll. Doch grundsätzlich investiert Vorwerk mit seiner Venture-Capital-Tochter zurückhaltender - und mit anderem Ziel. "Wir wollen Kapital in Unternehmen investieren, die Sachen vielleicht ganz anders machen als wir", sagt Norbert Muschong, der den Bereich leitet. Das könne für Anregungen sorgen, die dann wiederum auch dem eigenen Betrieb helfen. Denn Vorwerk, dessen Produkte wie das Küchengerät Thermomix fast ausschließlich im Direktvertrieb verkauft werden, stellte schon zu Beginn des Jahrtausends fest, dass sich die Vertriebswege durch das Internet veränderten. "Wir konnten und wollten aber nicht alle Ideen selber bearbeiten und nachverfolgen." Doch Kapital für Investitionen war vorhanden - also entschloss man sich, das Geld in junge Gründer zu investieren.

Nicht jedes Investment zahlt sich aus, viele Start-ups müssen wieder aufgeben. Tengelmann nimmt auf der Jagd nach dem nächsten großen Ding in Kauf, dass im Schnitt jedes vierte Investment scheitert. Es ist ein Geschäft, bei dem Geld verbrannt wird, aber auch schnell hohe Werte entstehen können.

Das musste erstmal erklärt werden. Bei den Gesellschaftern sei ein Umdenkprozess erforderlich gewesen, räumt Christian Winter ein: "Der Aufbau von Digitalunternehmen funktioniert einfach anders als die klassische Unternehmensgründung." Es brauche Kapital und Ausdauer. Bis ein Geschäftsmodell laufe, könnten schnell fünf bis sieben Jahre vergehen.

Für den Kölner Wirtschaftshistoriker Klemens Skibicki sind Familienunternehmen daher im Vergleich zu Konzernen die besseren Treiber des digitalen Wandels. "Sie denken in langfristigen Zyklen und Zielen statt Quartalszahlen", sagt Skibicki: "Das hilft beim Ausprobieren neuer Geschäftsmodelle, die nicht immer sofort funktionieren."

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