Essen Thyssenkrupps Schwachstellen

Essen · Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit "an zu vielen Stellen", niedrige Gewinnmargen und Ineffizienz. Auch sechs Jahre nach dem Desaster um die Stahlwerke in Brasilien kommt der Konzern nicht richtig in Schwung.

Einmal im Jahr lädt Thyssenkrupp-Chef Heinrich Hiesinger die Altvorderen ein. Dann kommen ehemalige Konzernvorstände der ersten und zweiten Ebene zusammen und lassen sich von ihren Nachfolgern und Nach-Nachfolgern die neue Thyssenkrupp-Welt erklären. Mitte Mai war es wieder soweit. Doch dieses Mal, da trauten die Geladenen ihren Ohren kaum. Denn neben vielen Erfolgsmeldungen wie gestiegenen Jahresüberschüssen oder sinkenden Schulden bekamen sie auch weniger Beruhigendes zu hören: Thyssenkrupp leide "noch an zu vielen Stellen" unter mangelnder Wettbewerbsfähigkeit.

Ausgerechnet die Vorzeige-Sparte "Aufzüge" musste dafür als Beispiel herhalten, wie aus den Präsentationsunterlagen hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegen. Nach wie vor stehe die Aufzugsparte im Konkurrenzvergleich hinsichtlich Profitabilität nur auf Platz drei oder vier, heißt es dort. Der Schweizer Rivale Schindler habe zuletzt wieder aufgeholt: Bei der Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern (Ebit) liege Schindler mit 11,5 Prozent wieder gleichauf mit der Thyssenkrupp-Tochter und beide zusammen damit an letzter Stelle im Ranking der vier großen Hersteller. Die Ziel-Marge, die der Thyssenkrupp-Vorstand erwartet, liegt demnach aber bei 15 Prozent.

Ähnlich sieht es den Unterlagen zufolge in der Anlagenbau- und Werftensparte (Industrial Solutions) aus. Um ein Projekt zu gewinnen, mussten dort im Februar 2017 durchschnittlich vier Angebote geschrieben werden. Dabei war es noch vor Kurzem zeitweise so, dass fast die Hälfte der Angebote zum Erfolg führte.

Bei Thyssenkrupp hieß es dazu, jede Sparte habe Programme zur Leistungssteigerung entwickelt, an deren Umsetzung gearbeitet werde. Gerade die Geschäfte mit Aufzügen und Autoteilen wiesen hier gute Fortschritte auf, wie sich an den jüngsten Quartalszahlen zeige.

Doch die ehemaligen Vorstände erfuhren noch mehr. Denn auch der Stahlsparte bescheinigte Hiesinger in dem Meeting mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Zwar habe sich die Kostenposition verbessert. Auch sei das Produktangebot neu ausgerichtet und die Kundenorientierung gewachsen. Doch das reicht offenbar nicht: "Die anderen europäischen Hersteller haben gegenüber BA SE (Anm. d. Red.: Business Area Steel Europe) wieder deutlich aufgeholt/überholt", heißt es in den Unterlagen. In einer offiziellen Präsentation für Analysten Mitte Mai klang das ein wenig optimistischer: Ziel sei es, Thyssenkrupp zum führenden europäischen Stahlhersteller zu machen und zu einem bevorzugten Partner der Kunden. Aber ausgerechnet der Wunsch-Fusionspartner Tata hat demzufolge eine noch schlechtere Gewinnmarge als Thyssenkrupp.

Die Gespräche mit Tata über eine Zusammenlegung der Stahlsparten waren nach der Abstimmung über den Brexit vorübergehend ins Stocken geraten. Nachdem sich aber bei Tata eine Lösung für die milliardenschweren Pensionsverpflichtungen abzeichnet, kommt wieder Bewegung in die Verhandlungen. Dagegen liegen bei Thyssenkrupp die Gespräche über das 500-Millionen-Sparprogramm in der Stahl-sparte zurzeit auf Eis.

"Das Thema 'Fusion mit Tata' wird von Herrn Hiesinger vorangetrieben, weil der Konzern angesichts seiner niedrigen Eigenkapitalquote dringend Bilanzkosmetik betreiben will", meint Gesamtbetriebsratschef Günter Back. Thyssenkrupp hingegen versucht zu beruhigen: "Wir werden bei diesem Prozess Sorgfalt walten lassen, da aus unserer Sicht bestimmte Mindestkriterien erfüllt sein müssen." Bei Tata gehöre dazu eine tragfähige Lösung für die hohen Pensionsverpflichtungen in Großbritannien. Und ein überzeugendes industrielles Konzept mit Einsparungen.

Wie das genau aussehen könnte, das erfuhren auch die altgedienten Vorstände an jenem Mai-Tag nicht. Nur eines gab ihnen Konzernchef Hiesinger noch mit auf den Weg: "Unser größter Schwachpunkt ist und bleibt unser ungenügender Mittelzufluss."

(RP)
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