Düsseldorf "Ton in den Tarifverhandlungen extrem scharf"

Düsseldorf · Die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern werden immer erbitterter geführt. Das zeigt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, brüstete sich jüngst damit, dass seine Organisation allein in diesem Jahr für 1,5 Millionen Streiktage verantwortlich sei. Weitere könnten im Herbst folgen, wenn die Gewerkschaft die 240 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst - vor allem die Erzieherinnen der städtischen Kitas - wieder zum Arbeitskampf aufruft. Hinzu kommen Lufthansa-, Bahn- und Poststreiks. Dass diffuse Gefühl, die Gewerkschaften seien deutlich mehr auf Krawall gebürstet als in der Vergangenheit, bekommt jetzt mit einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) neue Nahrung.

Die Tarifexperten Hagen Lesch und Paula Hellmich haben sich die Auseinandersetzungen der vergangenen zehn Jahre genauer angeschaut und kommen zu dem Schluss: Die Konfliktintensität liegt in diesem Jahr am höchsten. "Sehr viele Verhandlungen sind extrem eskaliert", sagt Lesch. "Der Ton war so scharf, wie lange nicht mehr."

Doch was ist der Grund dafür, dass Verdi und Co. derart stark auf Drohungen und Arbeitskämpfe setzen? Die gute Konjunktur und damit höhere Lohnvorstellungen sind es Lesch zufolge nicht. Eskaliert seien die Konflikte jenseits der klassischen Lohnrunden. Als Beispiel nennt er die Sondertarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst. Abseits der im zweijährigen Turnus abgehaltenen Lohnrunden versucht Verdi dort gerade, die Tabellenstruktur neu auszuhandeln. Hinzu kamen die Organisationsstreiks der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), die bereits im vergangenen Jahr begonnen haben und in diesem Jahr fortgesetzt wurden. "Der GDL und ihrem Chef Claus Weselsky ging es dabei vor allem um den Ausbau ihres Einflusses bei der Bahn kurz vor Inkrafttreten des Tarifeinheitsgesetzes", erklärt Lesch. Und es kam eine Reihe von Abwehrstreiks hinzu. Bestes Beispiel dafür ist der Arbeitskampf bei der Deutschen Post: Unter dem Deckmantel, niedrigere Arbeitszeiten und höherer Löhne durchzusetzen, hat Verdi in Wahrheit gegen die Ausgründung in mehrere regionale Paketzusteller-Firmen gestreikt. Durchsetzen konnte sich Verdi am Ende übrigens nicht.

"Allgemein lässt sich festhalten, dass qualitative Forderungen - also alles, was nichts mit einer klassischen Erhöhung der Löhne und Gehälter zu tun hat - immer konfliktbeladener sind", sagt Tarifexperte Lesch. "Eine einfache Lohnrunde ist schnell verhandelt. Wenn es dagegen um strukturelle Fragen geht, etwa um die Umgestaltung ganzer Entgelttabellen, dann sind die Arbeitgeber zu weniger Konzessionen bereit." Dann steigt auch die Gefahr von Streiks.

Auffällig ist, dass es im Dienstleistungssektor inzwischen sehr viel aggressivere Konflikte gibt als in der Industrie. Dafür gibt es nach Ansicht der Tarifexperten mehrere Gründe: "Die Industriegewerkschaften müssen oft aufgrund der eng verzahnten Lieferketten nur wenige Stunde streiken, um ihre Macht zu demonstrieren", sagt Lesch. Die Arbeitgeber hätten ihrerseits die Möglichkeit, mit Verlagerung ins Ausland oder Rationalisierung zu drohen. "Dieses - salopp formulierte - ,Gleichgewicht des Schreckens' hat dazu geführt, dass Arbeitskämpfe seltener geworden sind." Auch die Krise habe ihren Beitrag geleistet. Als die Finanzkrise auf die Realwirtschaft übergriff, da haben die Industriegewerkschaften und die Arbeitgeber Hand in Hand gearbeitet. Dabei ist ein vertrauensvolles Verhältnis entstanden, das bis heute noch anhält.

So etwas gibt es im Dienstleistungssektor nicht. Vielmehr hinken die Löhne dort hinterher. Das führt zu Neideffekten. Wegen der höheren Unzufriedenheit steigt auch die Bereitschaft zum Konflikt. Außerdem sind die Arbeitgeber im Dienstleistungsbereich - etwa bei der Post, im öffentlichen Dienst oder auch bei großen Handelsunternehmen wie der Metro - selbst forscher bei ihren Forderungen geworden. Das stachelt die Gewerkschaften zusätzlich an.

"Ich hoffe, dass das Tarifeinheitsgesetz zu einer Beruhigung führt, weil neuen Spartengewerkschaften der Zugang erschwert wird. Zuletzt ist mit Verdi allerdings auch eine Großgewerkschaft wie eine Spartengewerkschaft aufgetreten", sagt Lesch. "Sollte die Dienstleistungsgewerkschaft im Sozial- und Erziehungsdienst erfolgreich sein und deutlich mehr für die 240 000 Beschäftigten herausschlagen, könnte das die Verdi-Führung zu dem Schluss führen, weitere Spartentarifverträge auszufechten - beispielsweise im Klinikbereich."

Erst einmal sehe es so aus, als würde sich die Lage beruhigen. "Zwar schwelen die Tarifstreitigkeiten bei der Lufthansa und den Kindergärten weiter. Allerdings rechne ich nicht damit, dass es ähnlich heftige Arbeitskämpfe wie in den vergangenen Monaten gibt. Die Luft ist da jetzt etwas raus", so Lesch. Natürlich sind Streiks nicht ausgeschlossen, sie werden aber nicht flächendeckend und langfristig stattfinden.

(maxi)
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