Umstrittenes Abkommen Freihandel — ist TTIP noch zu retten?

Berlin · Die Veröffentlichung geheimer Dokumente zum transatlantischen Freihandelsabkommen durch Greenpeace erschwert den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen. Die Zahl derer, die kein Abkommen mehr wollen, wächst.

TTIP: Ist das Freihandelsabkommen mit den USA noch zu retten?
Foto: Weber

Greenpeace hat für mehr Transparenz gesorgt, nicht nur im Netz, auch im buchstäblichen Sinn. In einem Glaskasten vor dem Brandenburger Tor in Berlin lagert seit Montag ein Haufen Papiere, es ist ein "Leseraum" für jeden Bürger, der aktuelle Dokumente über die Verhandlungen zum umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP lesen, fotografieren oder herunterladen möchte. Zuvor hatte Greenpeace die Texte samt der Losung "Demokratie braucht Transparenz" in der Nacht auf das Reichstagsgebäude projiziert.

Mit der Veröffentlichung der Dokumente, die der Umweltschutzorganisation aus unbekannter Quelle zugespielt wurden, landete Greenpeace einen Coup, denn bisher waren diese Papiere für die breite Öffentlichkeit tatsächlich nicht zugänglich. Sie konnten lediglich eingesehen werden von Mitgliedern der Bundesregierung, des Bundestags und des Bundesrats in einem eigens dafür eingerichteten Leseraum des Bundeswirtschaftsministeriums. Selbst die Dokumente, die dort ausliegen, sind, so glaubt zumindest die Grünen-Politikerin Katharina Dröge, nie ganz vollständig gewesen. Die "TTIP-Leaks-Papers", wie die von Greenpeace veröffentlichten Papiere getauft wurden, legen diesen Schluss jedenfalls nahe.

TTIP, die Abkürzung für "Transatlantic Trade and Investment Partnership", ist ein Reizwort, eine Projektionsfläche für alle, die in den USA eine der Triebkräfte des entfesselten Kapitalismus sehen, die sich gegen Globalisierung und multinationale Konzerne stemmen, die der EU-Kommission ebenso wenig glauben wie der US-Administration. Es sind nicht mehr nur linke Aktivisten, Studenten oder Anhänger der Grünen, die gegen TTIP auf die Straße gehen, sondern breite Bevölkerungsschichten, vor allem in Deutschland. Die TTIP-Dokumente von Greenpeace haben das Potenzial, diese Protestbewegung noch breiter zu machen.

Denn für viele TTIP-Gegner steht fest: Aus den Dokumenten gehe hervor, dass die EU-Kommission im Begriff ist, europäische Umwelt- und Sozialstandards auf dem Altar des schnöden Mammons zu opfern. Längst hat die TTIP-Debatte den Boden des Rationalen verlassen, Befürworter und Gegner diskutieren nur noch emotional. Aus Vorurteilen werden Feststellungen. Wer diese hinterfragt, gerät rasch in die Defensive. Schuld daran tragen vor allem die EU-Kommission und die US-Administration selbst, weil sie die Bevölkerungen eben nicht informieren, sie im Ungewissen lassen über Dinge, die das Leben und Wirtschaften auf beiden Seiten des Atlantiks entscheidend verändern können.

Dabei enthalten die geleakten Dokumente nichts Neues. Sie machen nur deutlich, dass die USA Europa nicht mit Samthandschuhen anfassen, sondern knallharte Forderungen erheben und erheblichen Druck aufbauen. So sind die USA nur bereit, der EU die ersehnten Zugeständnisse auf dem US-Automarkt zu geben, wenn die im Gegenzug bereit ist, das weitgehende Importverbot für genveränderte US-Agrarprodukte und Hormonfleisch aufzugeben.

Unterschiedliche Schutzphilosophien

Die Amerikaner wollen die Europäer zwingen, von ihrem Vorsorgeprinzip abzugehen, das besagt, dass schon solche Agrarprodukte verboten werden, bei denen nur die Sorge besteht, dass sie gesundheitsschädlich sein könnten. In den USA dagegen können die meisten Lebensmittel so lange verkauft werden, bis wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass sie schädlich sind. "Die USA haben ein großes Interesse daran, gentechnisch veränderte Produkte auf dem europäischen Markt zu verkaufen.

Doch auf beiden Seiten des Atlantiks herrschen unterschiedliche Schutzphilosophien. In den USA sind gentechnisch veränderte Produkte oder auch Hormonfleisch Alltag im Supermarkt, in Europa ist die Skepsis dagegen groß", sagt Klaus Müller, Deutschlands oberster Verbraucherschützer. "Das war auch schon vor den Veröffentlichungen klar. Die EU-Kommission muss standhaft bleiben und europäische Standards wie die Kennzeichnung von Gentechnik in den TTIP-Verhandlungen verteidigen", sagt Müller.

Dabei haben die TTIP-Kritiker auch konservative Kräfte wie den Bauernverband an ihrer Seite. "Unsere europäischen Standards zur Lebensmittelsicherheit, zu Tier- und Umweltschutz sowie zu den sozialen Standards dürfen durch TTIP nicht unterlaufen werden", warnt Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes. "Unsere über Jahre gewachsenen Regeln, die Akzeptanz in unserer Gesellschaft finden, müssen bei den Verhandlungen und anschließenden Verträgen zu TTIP uneingeschränkt akzeptiert werden."

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter forderte derweil den Abbruch der TTIP-Verhandlungen. "Es reicht. Die Verhandlungen dürfen so nicht fortgesetzt werden", sagte Hofreiter unserer Redaktion. "Die bekannt gewordenen Dokumente geben all jenen Recht, die vor TTIP warnen", sagte der Grünen-Politiker. "Die Bundesregierung darf das nicht weiter ignorieren. Es geht hier um den Schutz der Verbraucher, der Umwelt und unseres Rechtsstaates", sagte Hofreiter. "Beim TTIP-Deal geht es nicht um bessere Standards, sondern um das knallharte Durchsetzen nationaler Wirtschaftsinteressen. Damit muss jetzt Schluss ein", forderte Hofreiter.

Heftig umstritten sind auch sogenannte Schiedsgerichtsverfahren, weil sie großen Konzernen ermöglichen sollen, Staaten zu verklagen, wenn ihnen deren Regulierungsvorschriften nicht passen. Aus den geleakten Dokumenten geht nun hervor, dass die USA einen EU-Kompromissvorschlag dazu schon abgelehnt haben. Brüssel hatte ein Verfahren wie vor der Welthandelsorganisation WTO vorgeschlagen, bei der jede Seite mehrere öffentlich bestellte Richter bestimmt, die dann entscheiden sollen.

Doch auch dieser EU-Vorschlag ging TTIP-Gegnern schon viel zu weit. Zu Recht, wie Axel Berger vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik meint: "Rechtsstaaten wie die EU-Länder und die USA brauchen keine internationale Schiedsgerichtsbarkeit für Investoren. Dafür spräche einzig, dass in TTIP ein neues Modell für ein Schiedsgericht geschaffen werden könnte, das dann für andere Abkommen mit anderen Regionen Pate stehen könnte. Die Frage ist, ob dieses Argument noch ausreicht. Viele meinen, nein."

Die Dokumente belegen vor allem eines: Die EU-Kommission und die USA liegen in zentralen Fragen noch meilenweit auseinander. "TTIP noch unter der Obama-Regierung abzuschließen, ist unrealistisch", sagt Berger.

(mar)
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