TTIP Skepsis gegen Freihandelsabkommen wächst

Hannover/Washington · US-Präsident Obama ist am Sonntag in Hannover, um für Freihandel zu werben. Eine Großdemonstration findet am Tag davor statt.

TTIP - Fragen und Antworten zum Handelsabkommen
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Foto: dpa, Stringer

Zehntausende Bürger werden - so die Erwartung - am Samstag in Hannover gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen Europa und den USA demonstrieren. Zu der Aktion haben mehr als 130 Umwelt- und Verbraucherorganisationen aufgerufen, darunter auch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Anlass der Kundgebung ist der Besuch von US-Präsident Barack Obama am Sonntag in Hannover. Der vom linken Flügel der Demokraten kommende Politiker will auf der Eröffnungsfeier der Hannover Messe für einen schnellen Abschluss des Freihandelsabkommen werben - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) oder auch fast alle Verbände der Wirtschaft teilen seine Position, ebenso Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der auch vor einem Scheitern warnt.

Wie sehr die Skepsis gegenüber TTIP gewachsen ist, zeigt eine gestern veröffentlichte Umfrage der Bertelsmann Stiftung: Jeder dritte Deutsche lehnt das Abkommen inzwischen ab, und nur weniger als ein Fünftel halten das Projekt für gut. 2014 unterstützten dagegen noch 55 Prozent der befragten Bürger das Vorhaben. Auch die Idee des Freihandels insgesamt findet weniger Anhänger als früher: Nur noch 56 Prozent der Bundesbürger hielten offene Märkte für eine gute Idee - ein sehr schlechter Wert gemessen daran, dass Deutschland mehr als fast jedes andere Land von Exporten profitiert.

Damit ist klar, mit welchen Argumenten Obama und Merkel für einen Abschluss von TTIP werben werden: USA und EU wollen einen Binnenmarkt mit 800 Millionen Konsumenten und einem Handelsvolumen von einer halben Billion Euro schaffen, der fast die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung umfasst.

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Ein Vorteil des gemeinsamen Wirtschaftsraumes wäre ein neuer Wachstumsschub: 400.000 neue Jobs werden als möglich angesehen, die Wirtschaftskraft könnte um ein halbes Prozent zusätzlich zulegen - dies ist ein Grund, warum Gabriel das Projekt unterstützt. Als mindestens ebenso wichtig wird aber gesehen, dass EU und USA gemeinsam die Regeln des Welthandels bestimmen können, wenn sie sich auf eine Wirtschaftszone einigen.

Für die alte Welt wäre gerade dies eine Chance: Nachdem die USA bei der Entwicklung des Internets für Privatkunden praktisch alle globalen Standards einseitig durchsetzten, könnten die Europäer beim Mobilfunk der nächsten Generation sowie beim "Internet der Dinge" gemeinsam mit den Amerikanern die wichtigsten Standards verabreden - und sie damit anderen Ländern wie China oder Japan vorgeben.

Für einen Erfolg von TTIP hängt nun viel von den Details ab. "Freihandel muss fair geregelt werden, europäische Verbraucher dürfen keine Nachteile haben", fordert beispielsweise Klaus Müller, Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen. Er weist auch darauf hin, dass die TTIP-Verhandlungen nach scharfer Kritik nicht mehr so geheim geführt werden wie anfangs - der Vertrag muss sowieso vom Europaparlament abgesegnet werden.

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Auch die Idee von undurchschaubaren Schiedsgerichten, mit denen die Unternehmen sich über nationale Gerichte hinwegsetzen, wurde deutlich abgeschwächt: Jetzt schlägt die EU-Kommission internationale Investitionsgerichte vor, deren Richter öffentlich ernannt werden sollen und die eine Berufung zulassen. Zumindest der CDU-Europaparlamentarier Daniel Caspary findet die Idee sinnvoll: "Wir müssen deutsche Unternehmen im Ausland vor Willkür schützen."

Die größte Sorge gibt es wegen möglicherweise bedrohter Standards. Es wird über viele Einzelheiten gestritten - so zum Beispiel über Vorgaben für Textilien, Auto-Crashtests oder für die Zulassung von Kosmetika. Wer denkt, dass die EU dabei nur dafür kämpfen muss, dass europäische Standards nicht gesenkt werden, liegt jedoch falsch. In manchen Bereichen sind Bürger in den USA besser geschützt als in Europa. Als Beispiel gelten die amerikanischen Verbraucherschutzrechte bei Finanzdienstleistungen oder die viel strengeren Abgasgrenzwerte für Dieselfahrzeuge, die auch konsequenter überwacht werden. Der Chef der Bertelsmann-Stiftung, Aart de Geus, macht für Kompromisse einen einfachen Vorschlag: Man solle aus beiden Wirtschaftsregionen jeweils die höchsten Standards wählen - die wären dann auch weltweites Vorbild.

(RP)
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