Dortmund Uni-Startup sagt die Zukunft voraus

Dortmund · Zwei Dortmunder analysieren für große Konzerne wie Paypal und Volkswagen die Datenmengen im Internet.

Das Haus, in dem Ralf Klinkenberg in seinem Büro sitzt und daran arbeitet, Unternehmen wie Lufthansa und Siemens die Zukunft vorauszusagen, grenzt direkt an eine Weide mit Obstbäumen, Pferden und Schafen. Hier, im Dortmunder Stadtteil Eichlinghofen, hat das von Klinkenberg und seinem Studienkollegen Ingo Mierswa 2006 gegründete Unternehmen Rapidminer seinen Firmensitz. So unscheinbar das Gebäude wirken mag, die Liste der Rapidminer-Kunden liest sich wie ein Querschnitt durch den Wirtschaftsteil der Zeitung: Der Raum- und Luftfahrtkonzern EADS gehört ebenso dazu wie die Marktforscher von der GfK, der Getränkehersteller Pepsi, der Autokonzern Volkswagen oder der Online-Bezahldienst Paypal.

Sie alle nutzen das Computerprogramm von Rapidminer, um ihre riesigen Datenmengen nach Zusammenhängen durchsuchen zu lassen, und so ihre Produkte und Angebote zu verbessern. Der Erlös des 2006 gegründeten Unternehmens, das sich genau wie die Softwarekonzerne Oracle und SAP nach seinem Hauptprodukt benannt hat, ist so seit 2011 um insgesamt 300 Prozent gewachsen. Die Mitarbeiterzahl stieg von anfangs zwei auf aktuell 35 Personen.

Neben dem Firmensitz im Ruhrgebiet gibt es inzwischen auch ein kleines Büro im Silicon Valley und die Zentrale in Boston, von wo aus man den amerikanischen Markt erobern will. 2014 soll sich das Wachstum noch einmal beschleunigen. Dabei helfen soll auch der Einzug eines ehemaligen Yahoo-Topmanagers in den Aufsichtsrat. 2014 will Rapidminer den Spagat schaffen: Vom deutschen Startup zum gefragten Anbieter auf dem deutlich größeren US-Markt, wo man mit Anbietern wie Weltmarktführer SAS konkurriert, die bereits seit mehr als 35 Jahren am Markt sind.

Doch die Nachfrage nach Datenanalyse-Instrumenten steigt immer mehr – und damit auch die Chancen für Startups. "Die Datenmengen werden immer größer", sagt Ralf Klinkenberg. Dadurch würden die Probleme komplexer. "Das kann kein Mensch mehr leisten, dafür braucht man zur Unterstützung leistungsfähige Computerprogramme."

Beispiel Paypal: Der Online-Bezahldienst nutzt Rapidminer, um herauszufinden, warum seine Kunden kündigen könnten – bevor diese es überhaupt selbst wissen. Dazu wertet das Programm die E-Mails aus, die den Kundendienst von Paypal in über 60 Sprachen erreichen. "Unser System lernt, Stimmungen zu erkennen und zu filtern", sagt Klinkenberg. Es erkennt, welche Themen in den E-Mails relevant sind, welche Beschwerden besonders häufig zu Kündigungen führen. Paypal kann dadurch seinen Kundendienst verbessern.

Die Möglichkeiten, die sich aus den Datenbergen und ihrer Analyse ergeben, sind gewaltig: Industrieunternehmen wüssten genau, wann sie ihre Techniker zu Reparaturarbeiten losschicken müssen – noch bevor die Geräte überhaupt kaputt sind. Mobilfunkanbieter wiederum könnten anhand des Kundenverhaltens ablesen, wem sie eine Vertragsverlängerung per Prämie schmackhaft machen müssen – und wer sowieso verlängert.

Die Basis-Version seines Programms bietet Rapidminer weiterhin kostenlos an. So hatten es Klinkenberg und Mierswa bereits gehandhabt, als sie beide noch am Lehrstuhl für künstliche Intelligenz der Technischen Universität Dortmund arbeiteten. Damals gab es für ihre Forschungen keine Programme, die den Ansprüchen der beiden gerecht wurden. "Also haben wir selbst eine Software für die Analyse von Daten entwickelt." Das Programm stellten sie damals kostenlos ins Internet, wo sie sich innerhalb kürzester Zeit weltweit verbreitete. Als Unternehmen auch nach Schulungen und Beratungen fragten, beschlossen die beiden, aus ihrer Idee ein Unternehmen zu machen.

Heute bezahlen Kunden Rapidminer für die Firmen-Version der Software, die Einrichtung und die Beratung. Trotzdem gibt es für Klinkenberg moralische Grenzen in seinem Beruf. Die Privatsphäre von Menschen sei wichtig, sagt er: "Der Datenschutz muss immer gewahrt bleiben." Denn wie genau Unternehmen ihre Kunden anhand von Daten identifizieren können, musste eine junge Frau in den USA vor einiger Zeit bitter erfahren: Anhand der Einkäufe konnte die Kaufhauskette Target mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmen, welche Kundin schwanger ist. Target verschickte daraufhin gezielt Hefte mit Rabatt-Marken für Babyprodukte an diese Frauen – unter anderem auch an ein junges Mädchen, das ihrem Vater die Schwangerschaft noch nicht gebeichtet hatte.

(RP)
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