Lohnuntergrenze von 8,50 Euro 100-Tage-Bilanz: So wirkt der Mindestlohn

Düsseldorf · Seit 100 Tagen gilt in Deutschland die gesetzliche Lohnuntergrenze von 8,50 Euro. Dank der guten Konjunktur erwiesen sich Szenarien von einem flächendeckenden Jobverlust bislang als übertrieben.

 Seit 100 Tagen gilt in Deutschland der Mindestlohn.

Seit 100 Tagen gilt in Deutschland der Mindestlohn.

Foto: dpa, abu jhe

Für die einen ist er ein Jobvernichter, für die anderen eine längst überfällige Korrektur von Ungerechtigkeit: der gesetzliche Mindestlohn. Seit 100 Tagen gibt es die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde in Deutschland. Höchste Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen.

Die Einführung sei auf gutem Wege, sagt der Präsident des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller: "Nach allem was wir sehen, gibt es nach Einführung des Mindestlohns aktuell keinen Einbruch bei der normalen Beschäftigung." Allerdings warnt sein Kollege Ronald Bachmann vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, nur weil sich der Arbeitsmarkt derzeit robust zeige, heiße das nicht, dass es keine negativen Auswirkungen des Mindestlohns gebe: "Der Beschäftigungsaufbau und der Rückgang bei der Arbeitslosigkeit hätten unter Umständen deutlich stärker ausfallen können", so Bachmann.

Einen Effekt gibt es allerdings: So teilte die Minijob-Zentrale jüngst mit, dass die Zahl dieser Niedriglohnjobs im Januar um rund 255 470 niedriger ausgefallen war als im Dezember. Auch hier warnt Bachmann vor zu viel Optimismus: "Der starke Rückgang der Minijobs muss nicht zwangsläufig ein gutes Zeichen dafür sein, dass diese Niedriglohn-Jobs in sozialversicherungspflichtige Stellen überführt wurden, sondern könnte vielmehr ein Warnsignal sein: Diese Stellen könnten ersatzlos gestrichen worden sein."

Klar ist aber zum jetzigen Zeitpunkt, dass die vor Einführung des Mindestlohns gezeichneten Horrorszenarien von einem flächendeckenden Jobverlust zwischen einigen Zehntausend und einer Million Stellen unbegründet waren. "Die gute konjunkturelle Lage führt derzeit dazu, dass auch kleinere Unternehmen den Mindestlohn schultern können", sagt der Arbeitsmarkt-Experte des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Hagen Lesch. "Sollte es zu einer konjunkturellen Delle kommen, könnte das schon anders aussehen."

Auch sind die 100 Tage aus Expertensicht eine äußerst kurze Zeitspanne: "Der Mindestlohn führt zu Anpassungsprozessen, die noch Zeit benötigen", erklärt IW-Experte Lesch. "Nehmen Sie das Beispiel Taxi-Gewerbe: Wenn der Lohn dort steigt, dauert es, bis die Preise angepasst werden und die Kunden darauf reagieren. Erst wenn es zu einem Nachfrageeinbruch kommt, kann dies zu Kapazitätsanpassungen führen." Unklar ist derzeit auch noch, wie viele Beschäftigte einen Anspruch auf den Mindestlohn haben - Schätzungen variieren zwischen drei und 4,5 Millionen.

Es sei derzeit schwer abzuschätzen, ob und welche Ausweichreaktionen es vonseiten der Arbeitgeber gibt - ob etwa Wäschereien versuchen werden, Aufgaben an Werkvertragsnehmer auszugliedern oder mit einer Reduzierung der Stundenzahl reagieren, sagt Lesch.

Die Arbeitnehmerorganisationen sind trotzdem vorsorglich in Alarmstimmung. So warnte gestern der Deutsche Gewerkschaftsbund gemeinsam mit dem Bundesverband Güterverkehr Logistik und Entsorgung, es sei keine Seltenheit, dass philippinische Lkw-Fahrer im Auftrag lettischer Speditionen wochenlang in Deutschland unterwegs seien und einen Monatslohn von wenigen Hundert Euro erhielten. Auch für sie solle der Mindestlohn gelten.

Da ist sie wieder, die Diskussion um die Ausnahmen. Denn Schwarz-Rot machte bei der Verabschiedung des Gesetzes gegenüber der Wirtschaft eine Reihe von Zugeständnissen - etwa was die Praktikanten, Saisonarbeiter oder Zeitungszusteller betrifft, aber auch bei der Zahlung des Mindestlohns an ausländische Lkw-Fahrer. Die Koalitionsspitzen wollen am 23. April über mögliche weitere Nachbesserungen beim Mindestlohngesetz beraten. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) sagte jedoch bereits, dass sie keinen Änderungsbedarf am Gesetz sehe.

Die Wirtschaft übte dagegen erneut scharfe Kritik. Der Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, Lutz Goebel, sagte unserer Zeitung: "Der Mindestlohn ist ein Pyrrhussieg für die Sozialdemokratie. Es ging Frau Nahles bei dem Gesetz trotz aller Warnungen um Geschwindigkeit statt Gründlichkeit." Dass ihr Gesetz vollkommen an der Lebenswirklichkeit in Unternehmen vorbeigehe, sei ihr dabei egal gewesen, so Goebel. Nun müssten die Unternehmer die Kastanien aus dem Feuer holen und mit einem Gesetz arbeiten, das nicht bis zu Ende durchgedacht worden sei. "Und die wirklich Leidtragenden sind am Ende des Tages die Arbeitnehmer." Goebel forderte, die Auswirkungen des Mindestlohns noch in diesem Jahr zu untersuchen und dafür zu sorgen, "dass wenigstens die bürokratischen Auswüchse auf ein erträgliches Maß reduziert werden".

(maxi)
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