Analyse Absturz der Wirtschaftswunder-Marken

Düsseldorf · Der Fernseh-Hersteller Loewe hat Insolvenz angemeldet. Damit droht ein weiteres Unternehmen von der Bildfläche zu verschwinden, das einst ein Symbol des Nachkriegs-Aufschwungs war. Ein Katalog des Scheiterns.

Es gibt viele Bilder, die für das deutsche Wirtschaftswunder stehen. Ludwig Erhard, der Minister und spätere Kanzler mit der unvermeidlichen Zigarre zwischen den Lippen, oder die D-Mark als Inbegriff geldpolitischer Stabilität, der ewig rollende VW Käfer, die Versandhaus-Kataloge von Quelle und Neckermann als Abbild des Mainstream-Geschmacks der 60er und 70er Jahre in Sachen Mode, Einrichtung, Hobby.

Der Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg war die Basis für viele (Wieder-)Aufsteiger. Aber das Wirtschaftswunder ist Vergangenheit. Und nicht erst seit dem Aufstieg der Apples, Googles, Facebooks, Amazons und Twitters verschwinden immer mehr Stars von einst von der Bildfläche.

Missmangement und Konkurrenz

Das jüngste Opfer droht der Fernseh-Hersteller Loewe zu werden, der Mitte der Woche Insolvenzantrag beim Amtsgericht Coburg gestellt hat. Damit geht Loewe nicht zwangsläufig unter, weil das Unternehmen auch in der Insolvenz saniert werden kann. Aber es steht am Rande des Abgrunds — wie andere vor ihm: Quelle und Neckermann sind dem Missmanagement bei Karstadt und Arcandor sowie der Konkurrenz des Internet-Handels zum Opfer gefallen. So mancher große Name in der Riege prominenter Hersteller von Unterhaltungselektronik kollabierte unter dem Tempo der technischen Veränderung.

Loewe gibt es schon seit 90 Jahren. Doch in der Wahrnehmung der allermeisten noch lebenden Konsumenten taucht der Konzern nach dem Krieg auf — als der große Pionier. Im fränkischen Kronach entstand kurz nach dem Krieg das erste Kassetten-Tonbandgerät, hier ging Anfang der 60er Jahre der erste Videorecorder in Serienproduktion. Loewe entwickelte den ersten tragbaren Fernseher mit einer Bildschirm-Diagonale von 25 Zentimetern und vor kaum mehr als 30 Jahren den ersten Stereo-Fernseher in Europa. Gerade mal eineinhalb Jahrzehnte liegt die Präsentation des ersten TV-Gerätes mit Internet-Zugang zurück.

Es geht ums nackte Überleben

Alles Meilensteine im Zeitalter der Tele-Geschichte. All das hat Loewe nicht geholfen, weil der Konzern am Ende unter dem Preisdruck beispielsweise asiatischer Konkurrenten wie LG und Samsung nicht mehr wettbewerbsfähig war. Loewe-Fenseher kosteten teils ein Mehrfaches dessen, was andere Anbieter verlangten. Das akzeptierten die Kunden nur, solange das Design von Loewe-Fernsehern für sie etwas Besonderes war. Doch für kreatives Design stehen heute andere.

Jetzt gibt es angeblich sechs Interessenten für Loewe. Aber auch wenn der Konzern überlebt — der Name steht aktuell für den Kampf ums nackte Überleben. So wie vor Jahren Quelle, wie Neckermann (noch als Internet-Anbieter präsent), wie der Fernsehproduzent Grundig (dessen Nachfolgerübernahm die türkische Koc-Gruppe), die Autofirma Borgward, der Computerkonzern Nixdorf, der Elektroriese AEG, der 1996 mit Daimler-Benz fusionierte und dessen Markenname heute der schwedischen Electrolux gehört.

Manche sind Opfer ihrer Selbstgefälligkeit

Dass Oldies in Not geraten, gerettet werden müssen oder am Ende untergehen, ist indes kein Automatismus. Dass es anders geht, zeigen Beispiele wie Miele und Dr. Oetker. Was die anders gemacht haben? Der Düsseldorfer Marken-Experte Frank Dopheide beantwortet die Frage umgekehrt: "Erstens haben viele von denen, die untergingen, die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der sie Veränderungen unterworfen sind. Zweitens gab es mitunter ein Übermaß an Selbstgefälligkeit und Selbstüberschätzung. Und drittens haben manche die Illoyalität der Verbraucher unterschätzt."

Für all das, was Dopheide sagt, gibt es illustre Beispiele. Über Fernseh- und Radiokonzerne wie Loewe, Grundig, Telefunken und Blaupunkt rollten gleichermaßen die technologische Innovation und der Preisverfall hinweg; der ökonomische Größenwahn des Drogeriemarkt-Betreibers Anton Schlecker ist ein treffendes Exempel dafür, wie einer an der Vorstellung scheitert, er könne nur mit Wachstum den Markt beherrschen. Und Quelle und Neckermann sind auch daran gescheitert, dass sie nicht oder zu spät erkannten, dass der Durchschnittskunde heute lieber im Internet als in einem Wälzer in Buchform stöbert. Oder er ein Einkaufserlebnis sucht, das er dann aber eher in gut konzipierten Flagstores findet, dagegen bestimmt nicht in einem Katalog, der selbst in der ausgedünnten Version noch den Briefkasten verstopfen kann.

Es gibt Anti-Krisen-Strategien

Miele und Oetker scheinen alles richtig gemacht zu haben. Sie hätten "sanft und kontinuierlich an ihrem Logo, ihren Produkten und ihrer Kommunikation gefeilt", sagt Dopheide. Miele konnte stets das Image der zwar teuren, aber immer zuverlässigen und haltbaren Marke aufrechterhalten, mit der schon die Hausfrau der 50er Jahre sicher war, das Beste für ihre Familie zu tun. Im Gegensatz zu AEG hätten die Ostwestfalen "das Herz ihrer Zielgruppe" erreicht, so Dopheide. Oetker ist ein klassisches Beispiel dafür, wie ein Unternehmen durch Diversifizierung weniger krisenanfällig wird. Der Bielefelder Konzern, für viele nur ein Synonym für Back- und Puddingpulver-Tütchen im Supermarkt-Regal, macht auch in Getränken (Radeberger, Henkell, Kümmerling), Schifffahrt und in Geld (Bankhaus Lampe in Düsseldorf). So kann man in schlechten Zeiten mit vielen Geschäftsfeldern besser bestehen als ein Konzern, den in seiner einzigen Produktgruppe der Fortschritt wegspült.

Am Ende ist der Absturz manch klassischer Firma natürlich auch eine Folge von Gesellschafts- und Bedürfniswandel. In der jungen Bonner Republik waren Auto, Fernseher und der Auslands-Urlaub Statussymbole, mit denen Bundesdeutsche glänzen wollten. Heute sind sie meist eine Selbstverständlichkeit. Und deshalb sind Loewe und Co. auch ein Opfer der Überfluss-Gesellschaft. Ob sie überleben oder nicht.

(RP)
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