Interview mit Thomas Winkelmann Zehn Millionen Euro für verärgerte Air-Berlin-Kunden

Düsseldorf · Der Chef von Air Berlin setzt auf den Flugverkehr ab NRW, um das Unternehmen zu retten. Thomas Winkelmann fordert Zugeständnisse von der Belegschaft und vom Partner Tui für die Sanierung. Er lobt den Flughafen Düsseldorf, warnt aber vor zu schneller Expansion.

Zum Redaktionsbesuch bringt Air Berlin-Chef Thomas Winkelmann einige Schokoherzen mit, die normalerweise an Bord der Fluggesellschaft verschenkt werden.

Herr Winkelmann, Sie kommen pünktlich. Wir sind überrascht. Sind Sie nicht mit Air Berlin gekommen?

Winkelmann Doch natürlich. Pünktlich auf die Minute. Wir haben seit Anfang Juni unsere Verspätungskrise überwunden. In Düsseldorf, unserem wichtigsten Flughafen, landen aktuell über 80 Prozent unserer Jets pünktlich.

Am Samstag sind wieder 16 Flüge in Berlin gestrichen worden.

Winkelmann Das war ein schlimmer Rückfall. Wir dachten, dass Aeroground, unser neuer Bodendienstleister in Berlin, seine extreme Schwächephase mit viel zu wenig Personal überwunden hätte. Doch am Samstag fehlten mehr als die Hälfte der 20 Abfertigungsmanager. Auch die Berliner Flughäfen sind - wie wir wissen - hoch unzufrieden mit dieser Dienstleistungsqualität. Aus unserer Sicht muss Berlin-Tegel einen dritten Bodendienstleister neben Aeroground und Wisag zulassen.

Fordern Sie Schadenersatz?

Winkelmann Ja, wir fordern vom Mutterunternehmen von Aeroground, dem Flughafen München, Schadensersatz in Millionenhöhe. Den Mitarbeitern der Aeroground gehört mein Respekt. Sie geben alles, aber es ist unerträglich, wie unprofessionell Aeroground aufgebaut und gemanagt wurde.

Warum war die Lage bei Air Berlin wochenlang so katastrophal?

Winkelmann Eine für uns fliegende Tochterfirma war personell unterbesetzt - wir handelten. Die Air Berlin-Gruppe hatte selbst zu wenig Personal - jetzt haben wir seit Jahresbeginn 700 Mitarbeiter für die Kabine und 100 Piloten neu angestellt. Das entscheidende Problem ist die Lage in Berlin, unserem zweitem großen Standort nach Düsseldorf - dort ist die Sache aus dem Ruder gelaufen. Das hat dann den Verkehr im ganzen Netz durcheinander gebracht.

VW-Personalvorstand Karlheinz Blessing hat nach einer Verspätung nach Saarbrücken verkündet: "Ich fliege nie mehr Air Berlin."

Winkelmann Da wundert man sich sehr. Da hat ein Unternehmen Millionen Kunden belogen und zahlt keinen Schadenersatz an deutsche Kunden. Da würde ich mir Ratschläge an andere Firmen ersparen.

Wie hoch sind die Schadensersatzforderungen Ihrer Passagiere?

Winkelmann Die Schadenersatzforderungen an uns wegen ausgefallener oder stark verspäteter Flüge belaufen sich auf deutlich mehr als zehn Millionen Euro. Wir legen Sonderschichten ein, um die Gelder auszuzahlen.

Brechen die Buchungen wegen der Verspätungen ein?

Winkelmann Nein, unsere Auslastung liegt bei 82 Prozent in Deutschland und Europa und 90 Prozent auf der Langstrecke. Die wirtschaftliche Lage ist im operativen Geschäft gut. Außerdem hat unser Hauptaktionär, Etihad, im April zugesichert, uns weitere 18 Monate zu unterstützen.

Wie wichtig ist Düsseldorf für die Rettung von Air Berlin?

Winkelmann Extrem wichtig. Düsseldorf ist unsere Heimat und unser wichtigster Standort. Seit der Übernahme der LTU bieten wir von hier aus sehr beliebte Langstreckenflüge an. Jetzt überlegen wir, im Sommer 2018 neue Strecken in die USA aufzunehmen, etwa nach Fort Lauderdale oder Chicago. Auch dafür wollen wir hier unsere Langstreckenflotte von aktuell elf Airbus A330 im nächsten Sommer erhöhen.

Sie bieten Hin- und Rückflugtickets für 399 Euro in die USA an. Ist das profitabel?

Winkelmann Der Preiskampf bei Flügen in die USA ist intensiv, aber es gibt auch eine enorme Nachfrage. So fliegen viele Geschäftsleute mit uns nach Miami, um dort ihr Lateinamerika-Geschäft zu betreuen oder weiterzufliegen. Bei den Urlaubern ist Florida weiterhin sehr beliebt, an der Westküste treffen Sie viele Urlauber aus NRW.

Ist es gut, dass der Düsseldorfer Airport die Kapazitäten erhöhen will?

Winkelmann Das Wachstum sollte schrittweise über mehrere Jahre erfolgen. Nur so können die Kapazitäten für die Abfertigung am Boden mitwachsen. Für uns als wichtigsten Kunden des Flughafens wäre es inakzeptabel, wenn Verspätungen in Düsseldorf wegen zu viel Verkehr zunehmen. Wir sehen ja in Berlin, wohin das führt. Das ist für uns wichtig, weil wir in Düsseldorf mit der Langstrecke auch die mit Abstand meisten Umsteiger haben.

Das klingt wie Kritik am Flughafen.

Winkelmann Nein, unser Verhältnis zum Airport Düsseldorf ist hervorragend. Die haben klug investiert, die sind hervorragend an den Nahverkehr und die Bahn angeschlossen. Das Einzugsgebiet ist ja riesig.

In Berlin-Tegel fahren Sie die Langstrecke runter?

Winkelmann Nicht ganz, aber als Umsteigeflughafen ist Tegel nicht geeignet. Darum konzentrieren wir solche Verbindungen in Düsseldorf.

Kann Air Berlin auf Dauer überleben?

Winkelmann Ja. Wir sind offen für neue Partnerschaften und wir senken die zu hohen Kosten deutlich. So werden wir Air Berlin in einen sicheren Hafen steuern. Alle müssen an einem Strang ziehen.

Was muss passieren?

Winkelmann Zur Zeit wird jeder Stein umgedreht. Es gibt auch keine Tabus. Die viel zu teuren Leasing-Verträge für unsere Jets müssen preisgünstiger werden - das sollte 40 bis 50 Millionen Euro bringen. Für 14 Jets haben wir schon neue Verträge ausgehandelt. Wir müssen mit der Tui über den Vertrag reden, der 2009 über die Überlassung von 14 Maschinen abgeschlossen wurde. Der ist viel zu teuer und ein Mühlstein am Hals der Air Berlin. Das wird Tui nicht gern hören, aber da müssen wir ran. Ein besseres Reservierungs- und Computersystem sollte bis zu 100 Millionen Euro im Jahr einsparen. Auch die Belegschaft muss ihren Beitrag leisten: Wir müssen alte Zöpfe abschneiden und zum Beispiel auch unsere Produktivität verbessern.

Was meinen Sie konkret?

Winkelmann Den bei uns führenden Gewerkschaften Verdi und Vereinigung Cockpit ist der Ernst der Lage klar. Wir kommen am heutigen Freitag zu Spitzengespräche zusammen. Da erwarte ich harte, aber auch konstruktive Gespräche. Nur mit einer nachhaltig profitablen Airberlin sichern wir Arbeitsplätze.

Wenn Sie die Kosten runterkriegen, müsste nur noch Ihr Hauptaktionär Etihad den 1,2 Milliarden Euro hohen Schuldenberg übernehmen, damit Lufthansa Sie unbelastet übernehmen kann.

Winkelmann Richtig ist, die Zinsen belasten uns mit jährlich 140 Millionen Euro sehr. Es gibt aber keine Festlegung, wer unser Partner wird. Alle Großen in Europa - außer unserem irischen Mitbewerber - wären uns als Partner willkommen.

Sie meinen Ryanair. Welche Kriterien entscheiden über einen neuen Partner?

Winkelmann Wir kämpfen für den Erhalt von möglichst vielen Arbeitsplätzen in Deutschland.

Was kann die Politik tun?

Winkelmann Wir wollen keine Subventionen oder Bürgschaften, aber eine faire Behandlung. Es ist beispielsweise inakzeptabel, wenn uns von manchen Politikern pauschal die Wettbewerbsfähigkeit abgesprochen wird. Immerhin fliegen bei uns täglich 80.000 Passagiere und wir beschäftigen 8500 Mitarbeiter.

Müssen die Passagiere als Sanierungsbeitrag auf das berühmte Air Berlin-Schokoherz verzichten?

Winkelmann Das Schokoherz bleibt. Das ist unser Markenkern.

Warum gibt es kein W-Lan bei Flügen in Deutschland und Europa?

Winkelmann Auf der Langstrecke nutzen das die Passagiere gern und zahlen eine kleine Gebühr. Bei der Kurzstrecke ist unser Eindruck, dass keiner W-Lan will, wenn es Geld kostet.

In Berlin wollen FDP und CDU Tegel offenhalten. Was denken Sie?

Winkelmann Wir setzen auf den BER als langfristig attraktiven Flughafen für die Hauptstadt. Allein die Kosten für eine neue Genehmigung für Tegel wären exorbitant. Aber es ist eine politische Entscheidung. Falls Tegel entgegen der Gesetzeslage doch geöffnet bleibt, bleiben wir in Tegel, bevor andere Wettbewerber dahingehen.

(brö / kowa)
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