"Anticipatory Shipping" Amazon liefert schon, bevor Sie bestellen

Amazon hat ein Patent angemeldet, das das Zeug zur nächsten Technik-Revolution hat: Das Wunschprodukt soll schon auf dem Weg zum Kunden sein, bevor der überhaupt auf "Bestellen" geklickt hat. Was nach einer gespenstischen Zukunftsvision klingt, ist für Amazon nur ein logischer Schritt.

Rheinberg: Einblick in das Innere von Amazon
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Selbst den Autoren im Technik-Blog "techcrunch" wurde es mulmig, als sie sich die Pläne von Amazon-Chef Jeff Bezos ausmalten. Ein Paket schon auf dem Weg zum Kunden, noch bevor der es überhaupt bestellt hat? Das wäre wohl der endgültige Schritt hin zum gläsernen Kunden, dessen Bedürfnisse die Datenbank des Online-Händlers besser kennt als er selbst.

Am besten man überlasst die Sache gleich komplett den Maschinen frotzelte daher der Verfasser des Blogs über das neue Amazon-Patent: Eine Maschine kauft Sachen von einer anderen Maschine, die eine dritte Maschine, eine Drohne, mit der Lieferung beauftragt. Dem Kunden bliebe neben der Aufgabe, die Tür zu öffnen und das Päckchen anzunehmen, noch die Hoffnung, dass die Maschinen über die ökonomische Verwertung der menschlichen Organe immerhin noch nicht entschieden hätten.

Geschwindigkeit ist Geld

 Eine Grafik im Amazon-Patent gibt einen Einblick in die logistischen Vertriebspläne.

Eine Grafik im Amazon-Patent gibt einen Einblick in die logistischen Vertriebspläne.

Foto: Screenshot Patent

Nun, ganz so gruselig wie es hier klingt, ist das Patent von Amazon dann wohl doch nicht. Die Idee, für die das Unternehmen nun das Patent anmeldete, sieht vor, anhand von bestimmten Persönlichkeitsmustern der Kundschaft Ware schon einmal in ein Versandzentrum in der Nähe der Zieladresse zu bringen. Die Kaufentscheidung nimmt Amazon einem dann doch nicht ab.

Was sich jedoch ändert, ist das vorausschauende Verschieben der Ware in die Nähe des Kunden. Das Motiv liegt auf der Hand: Amazon geht es darum, Lieferzeiten zu optimieren. Ziel in letzter Konsequenz: Sobald die Bestellung aufgegeben ist, läutet es an der Tür. Schon die spektakuläre Vision, demnächst mit Drohnen Pakete auszuliefern, sah eine Lieferzeit von 30 Minuten vor, gerechnet vom Verlassen des Logistik-Zentrums bis zur Haustür. Geschwindigkeit ist in der Branche bares Geld. In den USA hat Amazon daher die Zahl seiner Versandzentren deutlich erhöht. Eine Lieferung am Tag der Bestellung ist laut einem Bericht von welt.de keine Seltenheit mehr.

Das Zauberwort

"Anticipatory Shipping" heißt dieser vorausschauende Versand bei Amazon. Der Ansatz ist typisch für das Wirtschaftshandeln in der digitalen Welt. Durch die personenbezogene Auswertung von Datenbanken sollen Kundenprofile entstehen, die den Unternehmen Einblick geben in unsere Wünsche, unser Denken, unser Handeln. Schon vor Jahren erklärte Google: "We know what you type, before you type".

Nach Informationen des Wall Street Journal (WSJ) nutzt Amazon für seine Algorithmen, die das Kaufverhalten der Zukunft vorhersagen, eine Reihe an Quelldaten: Dazu zählen alle bisher gekauften Produkte, der Inhalt des Wunschzettels, die Liste der Artikel, die sich der Kunde angeschaut hat und sogar die Verweildauer des Mauszeigers auf einem bestimmten Angebot. Auch was der Kunde umgetauscht hat und ob er sich Kundenbewertungen angesehen hat, ist von Interesse. Ein Computer-Algorithmus wertet diese Daten aus und berechnet eine Prognose über das Kaufverhalten.

Irrtümer sind einkalkuliert

Der große Traum der Marketingexperten, dass derartige Programme tatsächlich die Zukunft vorhersagen können, hat sich bislang noch nicht bewahrheitet. Pannen sind noch genauso allgegenwärtig wie völlig absurde Produktempfehlungen bei Google oder Facebook. Doch je mehr Daten, die Kundschaft Jahr für Jahr bereitstellt, desto näher rückt diese Vision an die Wirklichkeit heran.

Laut WSJ geht Amazon davon aus, dass die vorausahnende Lieferung sich vor allem bei sehr gefragten Artikeln bewähren wird wie zum Beispiel einem Bestseller am Tag seiner Veröffentlichung. Dass es gelegentlich zu fehlerhaften Auslieferungen kommen wird, hat der Versandhändler bereits einkalkuliert. Um teure Rücksendungen zu umgehen, erwägt Amazon laut Patent (PDF) Nachlässe zu gewähren oder den Artikel in ein Geschenk umzuwandeln.

Experten bewerten Amazons neue Erfindung daher als großen Vorteil im Konkurrenzkampf der Versandhändler. Das Unternehmen schöpfe das Wissen seiner riesigen Datensätze aus, um im Wettbewerb den nächsten großen Entwicklungsschritt zu machen. Ob Amazon seine Technik bereits einsetzt oder demnächst einzusetzen gedenkt, wollte das Unternehmen bislang nicht verraten.

(pst)
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