Interview mit Bayer-Chef Marijn Dekkers "Bayer könnte unter die Top 10 aufsteigen"

Düsseldorf · Der Niederländer Marijn Dekkers ist seit rund zwei Jahren Vorstandsvorsitzender der Bayer AG in Leverkusen. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über die Chancen des Unternehmens auf dem globalen Pharmamarkt, sein Sparprogramm und warum er durchs Tennisspielen Bayer-Chef geworden ist.

Erste Bayer-Hauptversammlung mit Marijn Dekkers an der Spitze
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RP Seit knapp zwei Jahren führen Sie Bayer. Wie hat die deutsche Unternehmenskultur Sie, den Niederländer mit amerikanischem Pass, verändert?

Dekkers In den USA misst man den Erfolg eines Vorstands vor allem am Aktienkurs. In Deutschland hat man dagegen auch Mitarbeiter und Kunden stärker im Blick. Das erlaubt, die Strategie langfristiger anzulegen. Diese Unternehmenspolitik liegt auch mir viel mehr.

RP Dennoch haben Sie die Mitarbeiter kurz nach dem Amtsantritt mit einem Sparprogramm überrascht ...

Dekkers Die Maßnahme war nötig, um mehr Ressourcen für Innovation und weniger für Administration einzusetzen. Doch das Sparprogramm hat die Bayer-Welt nicht auf den Kopf gestellt. Es gab keine betriebsbedingten Kündigungen in Deutschland, wir haben den Kündigungsschutz sogar bis 2015 verlängert.

RP Wie weit sind Sie mit dem Abbau?

Dekkers Wie geplant werden wir bis zum Jahresende weltweit 4500 Stellen abbauen. In Deutschland haben wir bereits zwei Drittel des Stellenabbaus erreicht, hier werden am Ende 1700 Stellen wegfallen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass wir im gleichen Zeitraum weltweit auch 2.500 Mitarbeiter neu eingestellt haben.

RP Reicht das oder wird bald ein neues Sparprogramm folgen?

Dekkers Wir haben kein großes Programm in der Schublade, aber Bayer muss stets daran arbeiten, effizienter zu werden. Das gilt vor allem — aber nicht nur — für Verwaltung und Informationstechnik. Unser Ziel ist es immer, möglichst viele Ressourcen für die Stärkung unserer Innovationskraft freizumachen — denn davon lebt Bayer.

RP Ist für den Weltkonzern Bayer der Standort Deutschland noch attraktiv?

Dekkers Absolut. Als Verwaltungsstandort ist Deutschland zwar für einige Arbeiten zu teuer, daher haben wir bestimmte Tätigkeiten zum Beispiel nach Manila verlagert. Doch in Deutschland fällt es uns viel leichter, gute Forscher zu gewinnen, als in Ländern, wo wir mit lokalen Großkonzernen konkurrieren. Daher fließen auch zwei Drittel unserer rund drei Milliarden Forschungsausgaben pro Jahr nach Deutschland — vor allem nach Berlin, Wuppertal und Monheim.

RP Im Zuge des Sparprogramms hat Bayer auch die Breitensport-Förderung stark zurückgefahren. Ist für Bayer nur noch Fußball interessant?

Dekkers Nein, wir geben auch in Zukunft 13 Millionen Euro pro Jahr aus, um den Breiten-, Jugend- und Behindertensport in NRW mit weit über 40.000 Vereinsmitgliedern zu unterstützen — und das geschieht völlig unabhängig von unserem Engagement im Profifußball. Damit gehört Bayer nach wie vor zu den größten Sportförderern in Deutschland. Aber mittlerweile arbeiten zwei Drittel der Bayer-Mitarbeiter im Ausland. Wir können unsere Förderung nicht nur auf Deutschland konzentrieren.

RP Was erwarten Sie von Ihrer Werkself, Bayer 04 Leverkusen?

Dekkers Wir erwarten schon, dass die Werkself einen europäischen Wettbewerb erreicht. Alles andere wäre eine Enttäuschung.

RP Zum 1. Oktober soll Ihr Vorgänger Werner Wenning neuer Aufsichtsrats-Chef werden. Freuen Sie sich darauf?

Dekkers Ich habe ausgezeichnet mit Dr. Schneider zusammengearbeitet. Aber ich habe auch neun Monate als Vorstand an der Seite von Herrn Wenning gearbeitet und freue mich nun auf ihn als Aufsichtsrats-Chef. Als Vorstandsvorsitzender ist es gut, mit einem erfahrenen Manager über alle Firmenangelegenheiten vertraulich sprechen zu können.

RP Als Mann, der vom Lehrling zum Bayer-Chef aufstieg, könnte Wenning Ihnen viele kritische Fragen stellen ...

Dekkers Ich bin angetreten, um weiter zu entwickeln, was Herr Wenning vorangebracht hat. Bayer ist auf gutem Weg. Wir hatten ein gutes erstes Halbjahr, haben die Prognose erhöht und der Aktienkurs ist wieder deutlich gestiegen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich unsere Pharma-Pipeline gut entwickelt und das Agrargeschäft hat sich erfreulich verbessert. Mittlerweile haben wir auch die wichtige Zulassung für den Thrombosehemmer Xarelto erhalten.

RP Wann wird Xarelto ein Erfolg?

Dekkers Die Markteinführung von Xarelto war sehr gut. Die Umsätze nehmen jetzt spürbar zu. Wir trauen Xarelto nach wie vor einen Spitzenumsatz von mehr als zwei Milliarden Euro pro Jahr zu. Es ist aber noch zu früh, um konkret zu sagen, wann genau wir unser Ziel erreichen werden.

RP Soll der Pharma-Bereich durch große Zukäufe gestärkt werden? Sie haben schon mal über eine Fusion unter Gleichen nachgedacht.

Dekkers Mit unserer guten Pipeline haben wir ausreichend Wachstum, so dass wir keine große Übernahme oder eine Fusion anstreben müssten. Grundsätzlich gilt: Fusionen unter Gleichen können in vielen Branchen sinnvoll sein. Sie sind aber auch mit hohen Risiken behaftet, und es dauert oft lange, bis zwei große Unternehmen zu einem zusammengewachsen sind.

RP War die Übernahme von Schering ein Fehler? Die meisten Innovationen kommen von Bayer-Forschern, nicht von Schering-Forschern ...

Dekkers In diesen Kategorien denke ich überhaupt nicht. Die Übernahme war richtig: Erst der Schering-Erwerb verschaffte Bayer die kritische Masse, um auf dem Pharma-Weltmarkt mitspielen zu können. Eine Alternative wäre gewesen, dass Bayer sein Pharmageschäft ganz verkauft.

RP Bayer ist die Nummer 16 auf dem globalen Pharmamarkt. Wo wollen Sie hin?

Dekkers Xarelto, das Augenmittel VEGF Trap-Eye sowie die Krebsmittel Alpharadin und Regorafenib könnten künftig über fünf Milliarden Euro Umsatz machen. Sicher fallen die Spitzenumsätze nicht gleichzeitig an — aber sie würden unseren Pharma-Umsatz von heute rund 10 Milliarden Euro deutlich erhöhen. Wenn unsere Pipeline den erhofften Erfolg bringt, könnten wir unter die Top Ten der weltweiten Pharma-Hersteller aufsteigen.

RP In Deutschland genießen Pharmafirmen keinen guten Ruf ...

Dekkers Zumindest teilweise — und das haben sie nicht verdient. Die Wertschätzung der Menschen für bestimmte Produkte ist sehr unterschiedlich ausgeprägt: So kennt jeder die Marke seines Autos oder seines Handys, aber kaum jemand weiß, wer die Arznei hergestellt hat — selbst wenn sie vielleicht dazu beigetragen hat, eine schwere Krankheit zu heilen oder gar das Leben zu retten. Ich denke, es liegt unter anderem daran, dass die Menschen für innovative Medikamente relativ wenig bezahlen müssen. Was wenig kostet, wird auch wenig wertgeschätzt.

RP Die Krankenkassen zahlen umso mehr. Sie beklagen die hohen Pharmapreise in Deutschland ...

Dekkers Die Entwicklung von Arzneien kostet viel Geld. Allein Xarelto hat in 12 Jahren zwei Milliarden Euro gekostet. Und nur wenige Länder — wie zum Beispiel die USA, Japan und Deutschland — sind groß und wohlhabend genug, um Innovationen finanzieren zu können. Wenn die Unternehmen in diesen Märkten nicht ausreichend verdienen, können sie die Entwicklung weiterer Medikamente nicht finanzieren. Und noch immer sind zwei Drittel aller bekannten Krankheiten nicht therapierbar.

RP Nicht so gut sieht es in der Kunststoff-Sparte aus. Bayer Material Science hat 2011 nicht mal seine Kapitalkosten verdient. Halten Sie dennoch an der Sparte fest?

Dekkers Ja, weil wir trotz der gegenwärtigen konjunkturellen Probleme langfristig an den Erfolg von Bayer MaterialScience glauben. Deshalb hat unser Teilkonzern auch viel Geld in den Ausbau der Kapazitäten gesteckt. Nun wächst die Nachfrage seit Beginn der Finanzkrise vor einigen Jahren langsamer als erwartet, und hohe Rohstoffkosten erschweren das Geschäft. Um es bildlich zu sagen: Wir haben den Anzug etwas zu groß gekauft, nun müssen wir noch hineinwachsen.

RP Der Chef der SPD-Landtagsfraktion regt an, dass Bayer Material Science mit Lanxess oder Evonik fusioniert ...

Dekkers Danke für die Anregung, aber das macht wenig Sinn. Alle drei Unternehmen sind eigenständig erfolgreich, auch Material Science wird wieder gutes Geld verdienen.

RP Für die Kunststoff-Sparte wurde auch die umstrittene CO-Pipeline gebaut. Wie wichtig ist die Pipeline wirklich?

Dekkers Die Pipeline stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes Krefeld-Uerdingen und verbessert die Infrastruktur im Chemie-Zentrum NRW. Sie sichert Arbeitsplätze in der Region und ist gut für die Umweltbilanz, indem sie die CO2-Emissionen verringert. Außerdem gewährleistet sie die Versorgungssicherheit im Standortverbund unserer Niederrheinwerke.

RP Nun hat die Bezirksregierung Hindernisse aus dem Weg geräumt. Wann geht die Pipeline in Betrieb?

Dekkers Wir werden die Pipeline erst in Betrieb nehmen, wenn wir alle erforderlichen Genehmigungen und einen positiven Gerichtsentscheid haben. Wenn alles gut läuft, könnte dies 2014 der Fall sein.

RP Bayer hat 2004 mit den Planungen begonnen. Was lehrt Sie das über den Standort Deutschland?

Dekkers Wenn der Industriestandort Deutschland eine Zukunft haben soll, brauchen wir Planungssicherheit. Wir haben die Pipeline gebaut, weil wir die Zustimmung der Politik und die Genehmigung der Behörden hatten. Dann wurden diese in Frage gestellt. So wenig Planungssicherheit ist Gift für Investoren. Generell gilt: Wenn bei der Diskussion über solche Projekte vor der Genehmigung ein "Nein" herauskommt, ist das in Ordnung. Damit kann man leben und neu planen. Aber ein "ja" sollte dann auch ein "ja" bleiben.

RP Europa erlebt harte Zeiten. Was würde ein Austritt Griechenlands für Bayer bedeuten?

Dekkers Bayer macht weniger als 0,5 Prozent des Umsatzes in Griechenland. Wir wären also kaum betroffen, falls das Land aus dem Euro ausscheiden würde. Wir haben allerdings schon hohe Außenstände, weil die Zahlungsmoral dort zu wünschen übrig lässt. Wir liefern trotzdem unsere Medikamente — die Krise soll nicht auf dem Rücken der griechischen Bürger ausgetragen werden.

RP Sollte Griechenland aus dem Euro austreten?

Dekkers Diese Forderung ist immer wieder zu hören. Vielleicht wäre ein Austritt Griechenlands aus dem Euro für alle Beteiligten besser. Mit eigener Währung hätte das Land vielleicht mehr Chancen, aus der tiefen Rezession zu kommen. Wichtig ist, dass der Euro stark bleibt — und damit ein Domino-Effekt vermieden wird, der auch Spanien und Portugal erfassen könnte.

RP Gibt es den Euro in zehn Jahren noch?

Dekkers Davon bin ich überzeugt. Und wenn der Euro-Zone künftig weniger als 17 Länder angehören, wäre das nicht wirklich schlimm. Entscheidend ist, dass Länder — wenn unvermeidlich — nacheinander und kontrolliert ausscheiden. Daher müssen Regierungen und Zentralbank durch kluge Politik die Dominosteine so weit auseinanderziehen, dass ein umstürzender Stein keine Kettenreaktion auslöst.

RP Eine letzte Frage: Sie sprechen gut Deutsch. Wie kommt das?

Dekkers Ursprünglich habe ich Deutsch auf dem Tennisplatz gelernt, als Student in Nijmegen habe ich für Emmerich Tennis gespielt. Sonst wäre ich vielleicht nie Bayer-Chef geworden. Deutsch zu sprechen, war Einstellungs-Kriterium. Seit ich bei Bayer bin, habe ich Unterricht. Bei Veranstaltungen, wo nur deutsche Mitarbeiter sind, sprechen wir Deutsch. Das trainiert.

Antje Höning fasste das Gespräch zusammen.

(RP/das)
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