Reform der Krankenversicherung Betriebsräte gegen Bürgerversicherung von Rot-Got-Grün

Düsseldorf · Laut einer Studie schafft ein Arbeitsplatz in der privaten Krankenversicherung zusätzlich 4,6 Jobs in Deutschland, mehr als in der Autobranche. Der Wahlkampf um die Abschaffung der Bürgerversicherung ist eröffnet.

Grüne, SPD und Linke sind sich einig: Sollten sie bei der Bundestagswahl 2017 an die Macht kommen, wollen sie die private Krankenversicherung (PKV) abschaffen und eine Bürgerversicherung für alle einführen. "Mit der Bürgerversicherung gegen die Zwei-Klassen-Medizin", fordern die Grünen. So sollen Unterschiede bei Wartezeiten, Komfort, Verschreibungen beseitigt und alle an den Kosten des medizinischen Fortschritts beteiligt werden. "Wir haben nicht losgelassen von der Idee der Bürgerversicherung", sagt Hilde Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD. Doch diese Pläne bedrohen bundesweit bis zu 87.000 Arbeitsplätze.

  • Folgen für Patienten Die SPD will als ersten Schritt Arbeitgeber stärker zur Kasse bitten. Aktuell ist der Arbeitgeberbeitrag bei 7,3 Prozent eingefroren, Zusatzbeiträge zahlen Arbeitnehmer und Rentner allein. Die SPD will die Arbeitgeber wieder paritätisch beteiligen. Alle sollen Zwangsmitglied der Bürgerversicherung werden: "Beamte, Freiberufler, Selbstständige und natürlich auch Politiker. Es werden alle Einkommensarten — auch Mieten, Aktiengewinne und Zinsen — zur Beitragsbemessung berücksichtigt", heißt es im Grünen-Konzept. "Die Bemessungsgrenze wollen wir auf das in der Rentenversicherung geltende Niveau anheben." Derzeit müssen Kassenpatienten auf ein Bruttoeinkommen von maximal 4237,50 Euro Beiträge zahlen, in der Rentenversicherung liegt die Grenze bei 6200 Euro. Die PKV soll nur Zusatzpolicen anbieten.
  • Folgen für PKV Jüngst hatte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung untersucht, welche Folgen die Abschaffung der PKV haben würde. Je nach Szenario würden demnach bis zu 51.000 der 68.000 durch die PKV geschaffenen Stellen wegfallen. Das Darmstädter Institut Wifor, das für die Bundesregierung auch die "Gesundheitswirtschaftliche Gesamtrechnung" erstellt, hat im Auftrag des PKV-Verbands nun den gesamten "ökonomischen Fußabdruck" der Branche berechnet. "Die Zahlen der Böckler-Studie belegen eindrucksvoll die Bedeutung der PKV für den Arbeitsmarkt. Unser Forschungsprojekt bezieht auch die indirekten und induzierten Brancheneffekte durch die Wertschöpfung der PKV mit ein. Demnach sind insgesamt mehr als 115.000 Arbeitsplätze in Deutschland mit der PKV verbunden", sagt Wifor-Chef Dennis Ostwald. Das sind 20.700 bei der PKV selbst, 67.300 bei Zulieferern ("indirekt") und 27.900 in Branchen, in denen PKV-Angestellte ihr Geld ausgeben ("induziert"). Weil laut Böckler-Stiftung drei Viertel der Arbeitsplätze durch eine Bürgerversicherung bedroht wären, wären folglich bis zu 87.000 Jobs in Gefahr. Laut Wifor sorgt eine Stelle in der PKV für zusätzlich 4,6 Arbeitsplätze in Deutschland. Bei Auto-Jobs sind es 4,5 weitere Jobs, bei IT-Jobs 1,3.
  • Folgen für Ärzte Die private Krankenversicherung honoriert niedergelassene Ärzte besser als die gesetzliche. Für 2011 hatte das Statistische Bundesamt die Unterschiede erhoben: Danach erzielten Kassenpraxen ohne privatärztliche Tätigkeit im Schnitt Einnahmen von 323.000 Euro. Praxen, die bis zu einem Viertel ihrer Einnahmen mit privatärztlicher Tätigkeit machen, erwirtschafteten 398.000 Euro. Ohne PKV würden die Einnahmen vieler Ärzte kräftig sinken.
  • Reaktion der Betriebsräte Die Betriebsräte der privaten Krankenversicherer (wie Allianz, Barmenia, DKV, Signal, Gothaer) haben sich zur Betriebsräte-Initiative "Bürgerversicherung, nein danke" zusammengeschlossen. Sie fühlen sich von Verdi und dem Gewerkschaftsbund im Stich gelassen. Ihr Sprecher Peter Abend kündigte an, dass die Initiative beim CDU-Parteitag nächste Woche in Essen aktiv werden will, um die CDU zum Widerstand gegen Pläne eines möglichen Koalitionspartners zu mobilisieren.
(anh)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort