Interview mit dem Verdi-Chef Bsirske: Uns entgehen Milliarden an Steuereinnahmen

Düsseldorf · Verdi-Chef Frank Bsirske feiert am Freitag seinen 60. Geburtstag. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er über die bevorstehende Tarifrunde, über Fachkräftemangel und die Finanzpolitik der Bundesrepublik.

Frank Bsirske: Stationen eines Berufsfunktionärs
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Herr Bsirske, am Freitag werden Sie 60. Plant Angela Merkel schon den Empfang für Sie im Kanzleramt?

Bsirske (lacht) Nein, wir gehen das Ganze ruhig an. Ein paar Kollegen aus dem Gewerkschaftsspektrum kommen am Freitag in die Verdi-Bundesverwaltung. Das war's dann auch schon. Mit meinen engen Freunden feiere ich am Sonntag privat.

Reden wir über Geschenke. Was wünscht sich ein Verdi-Chef von der Politik zum Geburtstag?

Bsirske Echte Wachstumsimpulse und nicht diese selbstzerstörerischen Prozesse, die die EU-Staatschefs zuletzt in Brüssel angestoßen haben. Der gegenseitig verordnete Fiskalpakt bedeutet, dass die EU in die Rezession gespart wird.

Einen Tag vor Ihrem Geburtstag werden Sie die endgültige Forderung für die Tarifrunde bei Bund und Kommunen vorstellen. Sie haben aber schon angedeutet, dass diese zwischen 6,1 und sieben Prozent liegen könnte. Bleibt es dabei?

Bsirske Dieses Volumen wird auf keinen Fall unterschritten. Außerdem brauchen wir eine Mindestbetragskomponente für die unteren Einkommen. Aus den Betrieben bekomme ich das klare Signal: Schluss mit dem Lohnabbau, her mit nachhaltigen Reallohnverbesserung. Die Schere zwischen Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst darf nicht größer werden.

Wie weit liegen die Löhne auseinander?

Bsirske Von 2000 bis 2010 gab es in NRW in 14 von 50 Branchen Reallohnverluste. Das betraf am stärksten das Tischler- und das Fleischerhandwerk, aber dann kommt auch schon der öffentliche Dienst mit einem Minus von 8,7 Prozent bei den realen Tarifeinkommen. Es ist kein Ausnahmefall, dass Beschäftigte im Staatsdienst trotz ihrer Vollzeitstelle nebenher arbeiten müssen. Das ist inakzeptabel.

Die kommunalen Arbeitgeber haben schon gesagt, Ihre Forderung sei nicht finanzierbar und verweisen auf die desolate Kassenlage.

Bsirske Im Ruhrgebiet oder im Bergischen Land könnten die Beschäftigten sogar über Jahre Geld dafür bezahlen, dass sie zur Arbeit kommen dürfen, und es würde trotzdem nichts an der Situation ändern. Den Gemeinden sind in den letzten zehn Jahren durch schlechte Steuerpolitik jährlich acht Milliarden Euro an Einnahmen entzogen worden. Wir müssen da viel grundsätzlicher ran.

Was schwebt Ihnen vor?

Bsirske Was die Erbschafts- und Vermögenssteuer angeht, sind wir immer noch eine Steueroase. Und selbst die EU-Kommission sagt, dass wir bei der tatsächlichen Besteuerung von Kapital- und Unternehmensgewinnen ein Niedrigsteuerland sind. Würde Deutschland den durchschnittlichen EU-Steuersatz verlangen, hätten wir jedes Jahr 70 bis 85 Milliarden Euro an Mehreinnahmen.

Nicolas Sarkozy ist bei der Finanztransaktionssteuer vorgeprescht. Merkel hat vorsichtige Sympathie bekundet. Das dürfte in Ihrem Sinne sein.

Bsirske Ja. Wir brauchen die Finanztransaktionssteuer, um das unsägliche Finanzkarussell zu entschleunigen und dem Staat neue Einnahmequellen zu erschließen. Allerdings hat Sarkozy zunächst nur eine Börsenumsatzsteuer angekündigt. Da sind längst nicht alle Finanztransaktionen eingeschlossen.

Die Kommunen sagen, dass die geforderte Mindestbetragskomponente sie zwingen könnte, etwa im Nahverkehr oder bei der Abfallentsorgung weiter zu privatisieren.

Bsirske Das sind leere Drohungen. Wir haben bis zuletzt eine Rekommunalisierung erlebt. Die Erfahrung der Privatisierungen in den letzten 20 Jahren war doch: Anstatt dass alles wie versprochen besser und billiger wurde, war es am Ende schlechter und teurer.

Wo beispielsweise?

Bsirske Als es in Berlin im vergangenen Jahr den massiven Wintereinbruch gab und die Ordnungsämter die privaten Räumdienste zur Arbeit aufforderten, haben die reihenweise ihre Verträge gekündigt -mit dem Hinweis, dass sich das Schneeräumen wegen des starken Schneefalls für sie nicht mehr rechnet. Starker Schneefall gehörte offenkundig nicht zum Geschäftsmodell privater Räumdienste.

Selbst zahlreiche Amtsleiter geben zu, dass sie ihren Mitarbeitern keine zusätzliche Arbeit zumuten wollen. Wie beurteilen Sie die Situation?

Bsirske Bei den Berufsfeuerwehren, in der Pflege und in den Kitas ist der Arbeitsdruck enorm. Hinzu kommt, dass die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse extrem gestiegen ist. Bei den Hochschulen liegt der Anteil schon über 70 Prozent. Dann kommt zur Arbeitsbelastung noch die Unsicherheit hinzu. Da darf sich keiner wundern, wenn die Zahl der psychischen Erkrankungen im öffentlichen Dienst rapide steigt. Wir müssen da ran.

Sie könnten das Problem in den anstehenden Verhandlungen thematisieren.

Bsirske Nein, jetzt geht es um mehr Geld.

Wie stark macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar?

Bsirske Akut in der Pflege und in den Erziehungsberufen. Schon heute ist absehbar, dass trotz aller Regierungsbeteuerungen der Rechtsanspruch auf den Krippenplatz nicht umgesetzt werden kann. Ein weiteres Beispiel ist der IT-Bereich: Der Bund hat gerade 4000 Stellen ausgeschrieben und würde sogar 1000 Euro über Tarif bezahlen. Trotzdem ist die Nachfrage gering. Die Einkommensrückstände zur Privatwirtschaft sind einfach zu groß. Und nur mit den Themen Gesundheitsförderung, Arbeitsplatzsicherheit oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu werben, reicht nicht. Die Privatwirtschaft schläft doch nicht und bietet längst Ähnliches. Ein echter Anreiz wäre, wenn der öffentliche Dienst vollständig auf sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse verzichten würde.

Maximilian Plück führte das Interview.

(das)
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