Insolvente Fluggesellschaft Darum hilft der Staat Air Berlin — und anderen Firmen nicht

Düsseldorf · Bei Air Berlin springt der Staat ein, bei Holzmann, Opel und mehreren Banken tat er es, bei Karstadt und Schlecker nicht. Gibt es gute und schlechte Pleiten? Nein. Aber solche mit Kunden- oder Systemrelevanz und solche ohne.

Air-Berlin-Schalter am Flughafen Berlin-Tegel (Archiv).

Air-Berlin-Schalter am Flughafen Berlin-Tegel (Archiv).

Foto: dpa, kes fdt fux

Würde man den drohenden Zusammenbruch von Air Berlin mit rein ökonomischen Maßstäben messen, käme man zu der Erkenntnis: Was soll's, niemand wird Deutschlands zweitgrößte Airline wirklich vermissen. Vielleicht die Schokoherzen, aber die kann man ja zur Not mit verkaufen.

Im Ernst: Das Air-Berlin-Management und der Großaktionär Etihad haben es über Jahre hinweg nicht geschafft, das Unternehmen zu sanieren und eine klare Entscheidung zu treffen, ob die Gesellschaft nun Geschäfts- oder Ferienflieger sein sollte. Also: Sollen die Konkurrenten Lufthansa und Co. doch alles so unter sich aufteilen, dass auch die Wettbewerbsbehörden Ja sagen können. Mitarbeiter finden dann einen Job oder auch nicht, aber so ist die freie Marktwirtschaft nun mal. Basta.

Urlauber sind potenzielle Wähler

Mit der ordnungspolitischen Einstellung macht man sich vor allem bei betroffenen Mitarbeitern in der Regel keine Freunde. Abseits solch marktradikalen Gedankenguts gilt aber ohnehin: So einfach ist die Causa Air Berlin nicht. Dass alle Flieger am Boden geblieben wären, Menschen nicht in den Urlaub hätten fliegen oder heimkehren können, auf den Airports ein Chaos ausgebrochen wäre, all das mag sich niemand vorstellen.

Schon gar nicht die Politik in Zeiten des Wahlkampfes. Unmittelbar, nachdem das Unternehmen seine Zahlungsunfähigkeit eingestanden hatte, standen schon Überbrückungskredit und Staatsbürgschaft des Bundes. Die Weisheit dahinter: Unter Millionen Reisenden sind viele potenzielle Wähler, die es der Regierung hätten übel nehmen können, wenn die sie buchstäblich hätte sitzen lassen. Von den volkswirtschaftlichen Folgen, die eine verspätete Rückkehr unzähliger Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz gehabt hätte, ist hier noch nicht einmal die Rede.

Zigtausende Arbeitsplätze sind zu wenig

So viel Kundenrelevanz war weder bei Schlecker noch beim Handelskonzern Arcandor und seiner Warenhaus-Tochter Karstadt gegeben. Welche Klientel hätte man bei Schlecker auch mit ausbleibender Staatshilfe vergraulen können? Solche, die angesichts der veralteten, angestaubten Filialen längst die Flucht zum Konkurrenten angetreten hatte? Der nächste Drogeriemarkt war im Zweifel um die Ecke; ob Schlecker von einer Sekunde auf die andere verschwand, war nicht von Bedeutung.

Bei Karstadt, das am Ende überlebte, wäre es nicht anders gewesen: Das Warenhaus-Modell galt als überholt; es gab nichts, was man nicht genauso gut woanders hätte kaufen können. Natürlich standen bei Schlecker und Karstadt zusammengerechnet Zigtausende Arbeitsplätze auf dem Spiel, und jedes Einzelschicksal ist bedauerlich. Aber auch wenn das noch so zynisch klingen mag: Zigtausende sind vermutlich aus Wahlkämpfer-Sicht wenig gegen Millionen Betroffene wie im Fall Air Berlin.

Ohne Banken gibt es keine Kredite

Systemrelevant sind und waren die Handelskonzerne schon gar nicht — womit wir beim zweiten Kriterium dafür wären, wann eine Insolvenz erster Klasse vorliegt, bei der schnell mobil gemacht wird. Was haben sich die Menschen darüber aufgeregt, dass geldgierigen Hasardeuren in Bankentürmen das Geld in Form von Staatshilfe noch hinterhergeworfen wurde! Wer so denkt, vergisst indes die Bedeutung der Geldwirtschaft für den Geldkreislauf.

Ohne Bank oder Sparkasse kein Firmenkredit, ohne Kredit keine Investition, ohne Investition kein Wachstum — die Banken sind die systemrelevanteste Branche unseres Wirtschaftssystems. Das macht das Verhalten mancher egomanischen Manager, die sich dessen bewusst waren und vermutlich gerade deshalb das große Rad drehten, umso verwerflicher. Aber an dem Faktum ändert das nichts. Ohne die Hypo Real Estate und die Commerzbank wäre auch die Realwirtschaft noch viel stärker in die Bredouille geraten.

Der Wähler vergisst schnell

Fazit: Ohne Kunden- und damit Wähler- oder ohne Systemrelevanz ist die Aussicht auf Staatshilfe begrenzt. Philipp Holzmann und Opel sind da nur scheinbare Ausnahmen. In beiden Fällen kämpften die Kanzler Schröder und Merkel zwar vordergründig gegen den Kollaps großer Konzerne. Aber das Interesse am Fortbestehen des Bauriesen und des Autobauers war auch deshalb so groß, weil daran das Schicksal unzähliger kleiner Zulieferer hing.

Angesichts des eifrigen Bemühens der Politik in solchen Fällen ist es umso erstaunlicher, wie fruchtlos Unternehmensrettung als Wahlkampf-Instrument sein kann. Vor acht Jahren bewahrte die Rettungsaktion bei Opel die SPD nicht davor, bei der Bundestagswahl von 34 auf gut 23 Prozent abzustürzen.

Vier Jahre später flog die FDP sogar aus dem Bundestag, obwohl ihre Vordenker zwölf Monate zuvor bei Schlecker genau das gesagt hatten, was Wähler von einer liberalen Partei erwarten: keine Staatshilfe! Und dann gab es da noch den Beinahe-Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel, der mit seiner Ministererlaubnis für die Übernahme der Supermarktkette Kaiser's Tengelmann durch die Edeka Punkte sammeln wollte. Am Ende hat die Übernahme zwar in Teilen funktioniert, doch Gabriel verspielte jede Menge Sympathie. Am Ende machte er dann selbst den Rückzieher.

Umgekehrt hat Gerhard Schröder auch seine gescheiterte Rettungsaktion bei Philipp Holzmann (der Baukonzern musste 2002 doch noch in die Insolvenz, ohne die drei Jahre zuvor gewährte Staatsbürgschaft je in Anspruch genommen zu haben) nicht die Wiederwahl als Kanzler gekostet — vielleicht, weil es damals ja noch die Oder-Flut gab und er publikumswirksam in Gummistiefeln durch Sachsen waten konnte. Vielleicht aber auch, weil der Wähler schnell vergisst. Dann wird er der SPD vermutlich auch nicht übelnehmen, dass ihr Altkanzler Aufsichtsrat beim russischen Staatskonzern Rosneft werden will. Vielleicht hilft das ja.

(gw)
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