Rücktritt von Ferdinand Piëch bei VW Das Ende einer Ëra

Düsseldorf · Ferdinand Piëch war der letzte große Wirtschaftskapitän vom alten Schlag. Aber die Industrie-Patriarchen sterben aus: Sie passen nicht mehr ins Zeitalter der Globalisierung. Trotzdem muss Wolfsburg weiter mit Piëch rechnen.

Das ist Ferdinand Piëch
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Das ist Ferdinand Piëch

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Manche Berühmtheiten sind ohne Beinamen nicht mehr denkbar. "Altkanzler" Kohl zum Beispiel. Oder Elvis "the King" Presley. Ferdinand Piëch war der "VW-Patriarch".

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Welche Automarken gehören zu welchem Autokonzern?

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Foto: AP, dpa, kombo rpo

Mit seinem Rücktritt von sämtlichen Ämtern bei Volkswagen endete am Wochenende eine Ära: Das Zeitalter der übermächtigen Konzernlenker und Konzernretter, deren strahlende Managementleistungen ihnen über die Jahre eine fast grenzenlose Autorität verliehen. Die wie aus dem Nichts mit einsamen Entscheidungen und knappen Worten Top-Manager vernichten konnten, auf dieselbe Art ganze Geschäftszweige einstampften oder neu erfanden und gestandene Familienväter mit bloßem Schweigen ins Schwitzen brachten.

Der Gründer des Düsseldorfer Stahlkonzerns Schmolz + Bickenbach war beispielsweise so einer: Wie selbstverständlich ließ sich Michael Storm auf Firmenkosten eine Seilbahn ins Jagdrevier bauen. Oder der Air-Berlin-Gründer Joachim Hunold, der erst aus dem Nichts den ersten ernsthaften Lufthansa-Konkurrenten schuf und dann wie im Rausch so viele Fluggesellschaften aufkaufte, dass Air Berlin fast daran erstickte. Oder die Kölner Bankiersfamilie Oppenheim, die sich mit einer über 200-jährigen Erfolgsgeschichte zur ersten Adresse der Reichen entwickelte, bis mehrere Gesellschafter wegen Untreuevorwürfen vor Gericht kamen und das stolze Geldhaus an die Deutsche Bank verramscht werden musste.

Volkswagen: Die wichtigsten Köpfe im Machtkampf
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Die wichtigsten Protagonisten im VW-Machtkampf

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Foto: dpa, jst lof jol

Was diesen Manager-Typus mit Piëch verbindet: Seine außerordentliche Macht ist zur Selbstverständlichkeit mutiert. Die Entscheidungen der Wirtschafts-Patriarchen werden im Laufe ihrer Karriere immer einsamer und zunehmend begleitet von jener gefährlichen Ungeduld, die Kritik mit Hochverrat verwechselt - und entsprechend drakonisch reagiert.

Zugleich hat das Wirtschafts-Patriarchat auch Vorteile: Der Patriarch kann auch Gönner sein, der sich aus demselben Geist der Selbstherrlichkeit heraus über die Spardiktate seiner Berater hinwegsetzt. Piëchs üppige Sonderzahlungen zum Beispiel waren legendär. Ein Patriarch kann auch schneller entscheiden, weil er nicht viel Abstimmung braucht. Sonst wäre die Übernahmeschlacht zwischen Porsche und VW vor sechs Jahren vielleicht anders ausgegangen. Und der Patriarch kann Visionen umsetzen, an die sonst niemand glaubt: Als Piëch Ende der 80er Jahre beschloss, dass die damals noch unscheinbare Marke Audi ins Premium-Segment aufsteigen soll, lachte die Konkurrenz in Stuttgart und München noch. Zehn Jahre später verging Mercedes und BMW das Lachen.

Wie der Vater, so der Sohn
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Aber die Zeit der Patriarchen ist vorbei. Heute gelten Wertschätzung und Respekt als professioneller Standard der Personalführung. Herablassende Gesten gegenüber Mitarbeitern gelten als schwerer Managementfehler. Überhaupt haben Hierarchien an Bedeutung verloren: Die Mitarbeiter sollen ja möglichst selbstständig arbeiten. Der befehlende Chef ist out, gefragt ist der fördernde Coach.

Dieser Kulturwandel hat viel mit der Globalisierung zu tun: Im alltäglichen Umgang mit fremden Völkern ist autoritäres Gehabe ein Wettbewerbsnachteil. Außerdem hat sich die deutsche Gesellschaft eine grundsätzliche Skepsis gegenüber Autoritäten angewöhnt. Das umständliche Wort "Sozialpartnerschaft", das es in keiner anderen Sprache gibt, bildet das Ziel der modernen Führungskultur in Deutschland gut ab.

Vielleicht ist das der tiefer liegende Grund, warum die Storms, die Hunolds und die Oppenheims heute in ihren eigenen Unternehmen fast nichts mehr zu sagen haben. Warum der neue Vorstandschef Heinrich Hiesinger bei ThyssenKrupp erst den kompletten Vorstand rauswerfen musste, bevor er die jahrelange Tradition der Kartelle, Duckmäuserei und Männerbünde, an denen der Konzern fast gescheitert war, durchbrechen konnte. Und warum VW-Patriarch Ferdinand Piëch im Jahr 2006 zwar noch seinen Vorstandsvorsitzenden Bernd Pischetsrieder mit einem öffentlichen Nebensatz aus dem Amt jagen konnte, dessen Nachfolger Martin Winterkorn im Jahr 2015 aber schon nicht mehr. Vor zehn Jahren wäre sein Interview-Satz "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn" für diesen noch tödlich gewesen. Jetzt, im Jahr 2015, muss der Absender zwei Wochen später selbst den Hut nehmen.

Die Ära der Patriarchen ist vorbei. Aber ist damit auch die Ära Piëch beendet? Noch besitzt der Enkel des Firmengründers über die Gesellschaft Porsche SE, in der die Familien Porsche und Piëch ihre Anteile gebündelt haben, ein schätzungsweise fünf Milliarden Euro schweres Aktienpaket am Volkswagenkonzern. Noch ist Piëch derjenige, der dem Konzern von 1993 bis 2002 vorstand und danach bis zum vergangenen Wochenende VW-Chefkontrolleur war. Und niemand sollte vergessen, dass Piëch den Konzern mindestens einmal aus der Krise geführt hat. Der ehemals verschlafene Beamtenapparat mit Sitz in Wolfsburg wurde unter Piëch das wertvollste deutsche Unternehmen. Volkswagen ernährt heute rund 600.000 Menschen und ist zweitgrößter Massenhersteller der Welt. Dieses strahlende Stück Wirtschaftsgeschichte ist vor allem das Lebenswerk von Ferdinand Piëch.

Deshalb sind jetzt auch alle Spekulationen über das angebliche Ende des Machtkampfes in Wolfsburg verfrüht. Piëch hat ein Leben lang stets einen Schachzug weiter gedacht als seine Gegner. Und er besitzt auch ohne Ämter noch genug Einfluss, um Winterkorn in die Parade zu fahren. Solange er seine Aktien nicht verkauft, wird Piëch die unberechenbare Eminenz von Wolfsburg bleiben. Und wenn er sie verkauft, wird es nicht besser: Dann droht den Gründerfamilien der Verlust der Stimmenmehrheit. Und wer dann bei Volkswagen das Sagen hat, ist völlig offen.

(RP)
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