Krankenkassen kämpfen ums Überleben Das große Sterben setzt ein

Düsseldorf (RPO). Die Krankenkassen kämpfen ums Überleben. Für das Jahr 2011 erwarten sie erneut eine Milliarden-Defizit. Die Politik verzettelt sich im Streit, hat aber bislang keine Lösungen zu bieten. Am Dienstag schwenkte bereits die dritte Kasse wegen drohender Zahlungsunfähigkeit die rote Fahne. Nur der Anfang, glauben Experten.

Welche Kassen 2010 keine Zusatzbeiträge erheben
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Welche Kassen 2010 keine Zusatzbeiträge erheben

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Foto: AP

Drei gesetzliche Krankenkassen sind es bislang, die nach Angaben des Bundesversicherungsamts (BVA) eine drohende Insolvenz angezeigt haben. Bereits Mitte April machten die City BKK und die in Düsseldorf ansässige BKK für Heilberufe den Anfang. Die Aufsichtsbehörde hat nach der Anzeige drei Monate Zeit, um über die Zukunft der Kasse zu entscheiden. Wie die "Financial Times Deutschland" am Dienstag berichtete, folgt nun die Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln (GBK).

GBK-Vorstand Helmut Wasserfuhr bestätigte dem Blatt, dass er gemeldet habe, seine Kasse komme "aufs Jahr gesehen leicht in die Miesen". Allerdings habe sie einen Liquiditätsplan bis Ende des Jahres. "Wir sind jederzeit zahlungsfähig", betonte er weiter. Damit das so bleibe, verhandele er derzeit mit anderen Betriebskrankenkassen über eine mögliche Fusion. Die Gespräche stünden aber noch am Anfang.

Fusionswelle war schon angekündigt

Fachleute haben das kommen sehen. Schon seit Einführung des Gesundheitsfonds durch die Große Koalition sagen sie eine Fusionswelle voraus. Früher konnten die Krankenkassen Schulden machen und ganz nach Bedarf Beiträge erhöhen. Mit der Deckelung der Sätze durch den Gesundheitsfonds ist das Geschichte. Kassen können ihre Einnahmen nicht mehr steuern. Das Konzept sollte die Versicherer zum Sparen zwingen.

Geld gibt es seitdem nach Alter und Krankheitszustand der Versicherten zentral vom Fonds. Nicht genug, um die Ausgaben zu decken, wie viele Kassen beklagen. Einzige Möglichkeit nachzubessern: die Zusatzbeiträge von maximal acht Euro. Im Januar hatten bereits mehrere Kassen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Auch City BKK und die BKK für Heilberufe.

Gähnende Löcher in den Kassen

Die Finanzlage des gesetzlichen Kassensystems insgesamt ist dramatisch. In diesem Jahr fehlen rund drei Milliarden Euro. Für das kommende Jahr muss ein Defizit von neun Milliarden Euro gestopft werden. In Branchenkreisen heißt es, dass aktuell noch mehr Kassen klamm sind. In den vergangenen Wochen gab es beispielsweise immer wieder Gerüchte um eine finanzielle Schieflage bei der großen DAK mit rund 4,8 Millionen Mitgliedern. Die Kasse weist diese Gerüchte ausdrücklich zurück.

Allen Dementis zum Trotz erwarten die Experten wegen des prognostizierten Defizits von nicht weniger als elf Milliarden Euro für das nächste Jahr eine Pleitewelle. Geht erst eine Kasse den Bach hinunter, entfaltet sich eine Sogwirkung. Denn eine Insolvenz muss zunächst von den übrigen Versicherten der selben Kassenart aufgefangen werden. Für eine BKK müssen demnach die übrigen Betriebskrankenkassen einstehen. Erst wenn dies nicht reicht, werden auch die anderen Krankenkassen herangezogen.

20? 30? 50?

Auch daher steht aus Sicht von Experten außer Frage, dass die Zahl der derzeit 169 Kassen in den kommenden Jahren erheblich schrumpfen wird — ob nun durch Pleiten oder Fusion. Einer Studie der Wirtschaftsberatungsgesellschaft Ernst & Young nannte im März konkrete Zahlen: Sie rechnet damit, dass im Jahr 2015 nur noch 50 Kassen übriggeblieben sind. Bereits bis 2012 werde die Zahl der Kassen auf etwa 100 sinken. Besonders gefährdet: die meist kleinen Betriebskrankenkassen. Ihre Anzahl soll von heute 130 auf lediglich zehn zurückgehen.

Diese Einschätzung ist auch aus dem Kreis der Kassen selbst zu vernehmen. "Vielleicht werden es dann 20, 30 Kassen sein", sagte die Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Birgit Fischer, noch Anfang der Woche mit Blick auf die kommenden Jahre. Auch für ihre Kasse schloss sie weitere Fusionen nicht aus. Anfang des Jahres hatten sich Barmer und Gmünder Ersatzkasse zur Barmer GEK zusammengeschlossen, der größten deutschen Krankenkasse mit rund 8,5 Millionen Mitgliedern.

(RP/ddp/AP/)
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