Eon-RWE-Deal Geheimakte Helena

Essen · Unter diesem Namen bereitete RWE den Verkauf von Innogy an Eon vor. Das Protokoll der Übernahmeschlacht:

 Mappen mit dem Logo von RWE und dem von Eon (Symbolbild).

Mappen mit dem Logo von RWE und dem von Eon (Symbolbild).

Foto: ap, mm

Sie kennen sich seit Jahrzehnten, waren gemeinsam Manager bei Veba, dann Rivalen: Johannes Teyssen machte Karriere bei den Roten und stieg zum Eon-Chef auf. Rolf Martin Schmitz machte Karriere bei den Blauen und wurde RWE-Chef. Auch gestern sind ihre Krawatten wieder rot und blau, als sie in der Messehalle Essen ihren Umbauplan erläutern. Der wird in der Branche alles verändern. "Wir machen einen der kreativsten Deals der deutschen Industriegeschichte", sagt Teyssen, Eon wird größter Netzkonzern und RWE drittgrößter Ökostrom-Konzern in Europa. Die Akten "Helena" und "Livewire" können geschlossen werden.

Unter diesen Codenamen liefen seit Monaten die geheimen Vorbereitungen. So wie die Griechen sich die sagenhaft schöne Helena aus Troja zurückholten, holt sich RWE das vor zwei Jahren in Innogy abgespaltene Ökostromgeschäft zurück. Auch bei Eon war man kreativ: Eon tauchte in den geheimen Dokumenten zu "Livewire" als "Samsung" auf, RWE als "Google" und Innogy als "Intel". Ziel der Geheimnis-Krämerei: Sollte jemals ein Dokument in falsche Hände geraten, sollte keiner Rückschlüsse ziehen könne, um was es wirklich geht.

Zunächst wussten nur die Chefs Bescheid. Wer von ihnen die Idee hatte und beim anderen anrief, wollen sie nicht verraten. Teyssen lässt durchblicken, dass er es war: "Eon war immer Treiber der Branche." Womöglich hatte der Düsseldorfer bei einem seiner geliebten Galerie-Besuche den Einfall. Frei nach dem Motto: schräg denken mit Mondrian. Schmitz hatte schon vor einem Jahr erklärt, man prüfe für Innogy alle Optionen. Und alle hieß alle.

Schmitz und Teyssen trafen sich auf neutralem Boden, etwa in Anwaltskanzleien, wo sie auch schon mal durch die Hintertür kamen, um nicht gemeinsam gesehen zu werden. Unterschiedlich vom Naturell - Schmitz geht gerne zum Karneval, Teyssen lieber zum FC Bayern - wechselten sie zum verbindenden Du. Sie bezogen immer mehr Mitarbeiter ein: Strategen, Finanzprofis, Rechtsexperten. Jeder Eingeweihte musste unterschreiben, dass er Insider ist, und - bei Strafe der Pensionsstreichung - Schweigen geloben. Allein bei Eon sollen mehr als 100 Mitarbeiter auf der Insiderliste gestanden haben. Ähnlich lang war die Liste derer, die bei RWE am Projekt "Helena" beteiligt waren.

Schmitz und Teyssen weihten IG- BCE-Chef Michael Vassiliadis und Verdi-Chef Frank Bsirske ein: Gegen die beiden gut organisierten Gewerkschaften lässt sich in Deutschland kein Geheimplan zum Jobabbau schmieden. Schmitz' Argument: "Wenn zwei führende Unternehmen ihre Kräfte bündeln, zahlt sich das langfristig auch für die Mitarbeiter aus." Zudem konnte der RWE-Chef darauf verweisen, dass bei ihm auch ausländische Konzerne wegen Innogy vorgefühlt haben - und die Aussicht gefiel den Gewerkschaften noch viel weniger.

"Am Ende ging alles ganz schnell, wir haben den Deal nach schöner deutschen Beamtenart durchverhandelt", sagt Schmitz. Der 13. März, der Dienstag, an dem RWE eigentlich seine Bilanz vorstellen wollte, wurde zum E-Day auserkoren - zum Tag, der die Energiewelt revolutionieren sollte. Für Sonntag bestellte man die Aufsichtsräte ein. Prompt sickerten Informationen nach außen. Sonntagnacht um 1.20 Uhr machten RWE und Eon ihre Pläne öffentlich. Denn wer in einer solchen Phase lügt, darf den Deal nicht mehr machen, so lauten die Börsenregeln. Am Montag wurde die Vereinbarung unterzeichnet.

Innogy, das Objekt der Begierde, spielte bei all dem keine Rolle. Der im Dezember geschasste Innogy-Chef Peter Terium war zu keiner Zeit eingeweiht, wird beteuert. Er hatte mit seiner Gewinnwarnung, die den Börsenwert von Innogy in den Keller rauschen ließ, alles nur kompliziert gemacht - und musste deshalb gehen. Der heutige Innogy-Chef Uwe Tigges wurde am vergangenen Wochenende informiert, ebenso NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und das Kanzleramt.

Am Montag kam dann der Schock für die Mitarbeiter: Eon will von seinen künftig 78.000 Stellen bis zu 5000 streichen. Teyssen schließt in der Messehalle betriebsbedingte Kündigungen nicht aus, bemüht sich aber, die Innogy-Mitarbeiter zu beruhigen: "Bisher sind wir immer ohne Kündigungen ausgekommen." Und: "Wir haben großen Respekt vor Ihrer Leistung." Zugleich verspricht er, dass Essen Sitz beider Konzerne und die deutsche Energiehauptstadt bleiben werde.

Schmitz wirbt um Verständnis: Er verstehe die Sorgen, doch langfristig sichere der Umbau Arbeitsplätze. "Wir bei RWE gehen davon aus, dass es durch die Transaktion in den kommenden Jahren insgesamt keinen Personalabbau geben wird." Der lange geplante Abbau von 2300 Stellen in den Kraftwerken läuft bis 2020 weiter, bislang sind 600 Stellen weggefallen.

Und so soll es weitergehen: Wenn die Kartellämter zustimmen, tritt RWE seine 77-prozentige Innogy-Beteiligung an Eon ab und zahlt 1,5 Milliarden Euro. Im Gegenzug erhält RWE im Rahmen einer Kapitalerhöhung einen Anteil von 16,7 Prozent an Eon. Damit wird Schmitz oder ein anderer RWE-Manager einen der neun Anteilseigner-Plätze im Eon-Aufsichtsrat bekommen.

Im zweiten Quartal 2018 macht Eon den übrigen Innogy-Aktionären ein Angebot. Eon bietet 40 Euro, gestern stand die Innogy-Aktie bei 38,80 Euro. Wenn alle annehmen, muss Eon dafür fünf Milliarden Euro in die Hand nehmen. Dann beginnt die Aufspaltung: Die Ökostromgeschäfte von Innogy und Eon gehen an RWE. RWE erhält zudem Eons Gasspeicher und Minderheitsanteile an zwei Atommeilern sowie dem österreichischen Versorger Kelag. Ende 2019 soll der Deal abgeschlossen sein.

Die "Financial Times" witzelt, wie viele Investmentbanker man wohl brauche, um eine Glühbirne zu wechseln. Wie hoch die Beraterkosten für "Helena" und "Livewire" sind, wollen Schmitz und Teyssen zwar nicht sagen. Aber eins verraten sie: RWE darf den Anteil an Eon nicht erhöhen. Bei aller neuen Liebe zu den Blauen - übernehmen sollen sie die Roten ja nicht.

(anh)
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