Jürgen Großmann geht Der lange Abschied des RWE-Chefs

Essen · Aktienkurs halbiert, die Verschuldung hochgetrieben – Jürgen Großmann verabschiedet sich mit einer mageren Bilanz. Auf seiner letzten Hauptversammlung setzte er sich dennoch selbstbewusst in Szene.

2011: Proteste bei der RWE-Hauptversammlung
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Aktienkurs halbiert, die Verschuldung hochgetrieben — Jürgen Großmann verabschiedet sich mit einer mageren Bilanz. Auf seiner letzten Hauptversammlung setzte er sich dennoch selbstbewusst in Szene.

RWE hatte sich für die Hauptversammlung auf das Schlimmste vorbereitetet: Schon in der Nacht schlugen Umweltaktivisten ihr Lager vor der Essener Grugahalle auf, mehr Polizeiwagen als sonst fuhren vor. Für Vorstand und Aufsichtsrat wurde eine erhöhte Bühne gezimmert, damit sich die Bilder des vergangenen Jahres nicht wiederholen: Damals hatten aufgebrachte Aktionäre versucht, die Bühne zu stürmen, ein Bodyguard musste RWE-Chef Jürgen Großmann schützen. Solche Tumulte blieben gestern aus. Die Polizei nahm nur einige Demonstranten fest, die den Eingang zur Halle versperren wollten. So konnte sich Großmann, der Ende Juni abtritt, noch mal als Kapitän auf großer Fahrt inszenieren.

"Den guten Segler erkennt man bei rauem Wetter", sagte der 60-Jährige vor 4000 Aktionären — und ließ keinen Zweifel daran, dass er sich selbst für einen solchen hält. RWE sei ein hochseetüchtiges Schiff und habe sich bei voller Fahrt grundüberholt. Zu seinen größten Erfolgen zählt Großmann die Übernahme des niederländischen Versorgers Essent und die Gründung der Ökostrom-Tochter Innogy. "Wir haben Umbrüche vorausschauend gestaltet", lobte er. RWE sei heute breiter und intelligenter aufgestellt.

Das sahen nicht alle so. "RWE ist angeschlagen", sagte Ingo Speich von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volksbanken. Der Konzern habe zu spät und zu zögerlich auf Öko-Energien gesetzt. Bis heute lieferten sie nur drei Prozent des RWE-Gewinns. Wegen des hohen Anteils der Braunkohle (RWE erzeugt mehr als ein Drittel seines Stroms mit Braunkohle) sei RWE größter CO2-Emittent Europas. "Trauriger Rekord", so Speich.

Traurig stimmte die Aktionäre auch die Entwicklung des Aktienkurses. Seit Großmann das Ruder beim größten deutschen Stromkonzern übernommen hat, hat sich der Kurs mehr als halbiert. Auch die Dividende ist auf magere zwei Euro je Aktie gefallen. "Keine Kursgewinne, kein Dividendenplus — wir sind sauer", sagte Joachim Kregel von der Aktionärsvereinigung SdK. Für Unruhe sorgt auch die hohe Verschuldung von RWE. Seit dem Amtsantritt von Großmann hat sie sich fast verdoppelt auf 29 Milliarden Euro. Das gute Rating ("A") ist in Gefahr. Dabei braucht der Konzern weiter gute Noten, um günstige Kredite für seine Investitionen in die Energiewende zu erhalten.

Mit der hat Großmann inzwischen Frieden gemacht: Die Energiewende bis 2050 sei machbar, sagt er. Und: "Wir akzeptieren das Primat der Politik." Doch er attackierte erneut die Bundesregierung wegen der überstürzten Abschaltung der Meiler nach Fukushima und der Beibehaltung der Atomsteuer. Marc Tüngler von der Aktionärsvereinigung DSW lobte, dass RWE dagegen klagt. Großmann sei kein Atom-Dino, wie viele sagen, sondern ein "Unbeugsamer".

Das ist der Zwei-Meter-Mann — in jeder Hinsicht. Schon im Sommer 2011 guckte der Aufsichtsrat Peter Terium als neuen Kapitän aus. Doch Großmann wollte nicht vorzeitig von der Brücke. Auch gestern ließ er dem Nachfolger kaum Raum. Der gelernte Controller ist gelassen. Die letzten 68 Tage unter dem "Energieriesen" (Werbeslogan) gehen auch noch um, mag er sich denken. Gestern versprach Terium, er werde RWE "nachhaltiger, internationaler und robuster machen". Was Großmann künftig macht, ist unbekannt. In den RWE-Aufsichtsrat wird er nicht wechseln. Das von ihm gerettete Stahlwerk, seine Georgsmarienhütte, läuft auch ohne ihn. Vielleicht ergibt sich auf der privaten Abschiedsfeier etwas Neues: Großmann hat für Juni 300 Gäste in sein Hotel in Arosa eingeladen.

(sap)
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