Investitionen in die Schiene Deutsche Bahn fährt in Europa hinterher

Düsseldorf · Politik und Fachleute fordern nach dem Winter-Debakel einmütig: Die Bahn soll sich umstellen und Gewinne wieder in das eigene Schienennetz investieren anstatt im Ausland zuzukaufen. Blickt man auf die Investitionen pro Bundesbürger in die Schiene, ist die Deutsche Bahn Schlusslicht in Europa.

In der Bahnpolitik deutet sich so etwas wie eine Kehrtwende an. Dominierte über Jahre der stramme Privatisierungskurs die Ausrichtung, heißt es nun: Reserven schaffen, Wartung verbessern, Zuverlässigkeit und Kundennähe wiederherstellen. Am Montag drängten Bund und Länder unisono auf mehr Investitionen in die Schiene. Zwei Problem-Winter hat es für diesen Stimmungswandel gebraucht.

Am Dienstag distanzierte sich nun auch Verkehrsminister Peter Ramsauer von der Linie seiner Vorgänger. Auf der Schiene hätten jahrelang Sparpolitik und Renditedruck regiert. Der "Passauer Neuen Presse" sagte Ramsauer, "die kaufmännischen Ziele" hätten zu sehr im Vordergrund gestanden, "die Interessen der Fahrgäste sind in den Hintergrund gerückt". Die Bahn-Dividende in Höhe von 500 Millionen Euro will er trotzdem kassieren. Das Geld ist fest im Sparpaket des Bundes eingeplant.

"Das Geld verschwindet in der Bilanz"

Auch der Experte des Koalitionspartners, Patrick Döring (FDP), fordert grundlegende Änderungen. Das Problem sei nicht die Dividende. Vielmehr gehe es darum, dass der Bund zwar jedes Jahr die Infrastruktur mit vier Milliarden subventioniere, die Bahn aber den Gewinn, den sie mit dieser Infrastruktur mache, selbst nicht in die Schiene investiere, sagte der Verkehrsexperte unserer Redaktion. Das Geld verschwinde in der allgemeinen Konzernbilanz — und werde am Ende für Zukäufe im Ausland ausgegeben.

Investitionen in die Infrastruktur könnte die Bahn tatsächlich gut gebrauchen. Die Probleme in den schneereichen Wintern 2009 und 2010 haben eindrucksvoll demonstriert, wie schnell das System Bahn in Deutschland kollabieren kann. Jeder, der im Winter auf den Schienen unterwegs war, weiß ein Lied davon zu singen. Allein in einer einzigen schneereichen Dezemberwoche versagten 30 ICE den Dienst. Weil Züge ausfielen und die Bahn keine Reserven hat, waren die restlichen fahrenden Waggons hoffnungslos überfüllt. Oftmals fanden Fahrgäste darin auch noch defekte Toiletten, Restaurants ohne Verpflegung und überfordertes Personal vor. Ein Chaos und ein Debakel für die Bahn.

Züge und Infrastruktur versagen

Die Gründe dafür sind hausgemacht. Das System Bahn ist so sensibel, weil es schon zu normalen Witterungsbedingungen nichts mehr zuzusetzen hat. Angesichts des internationalen Konkurrenzdrucks und der Börsenpläne ist das Unternehmen auf maximale Effizienz getrimmt. Wenn Fahrgäste im Dezember stundenlang auf Züge warten mussten, liegt das auch schlichtweg daran, dass die Bahn zu wenig davon hat. Fällt ein ICE aus, steht kein Ersatz bereit.

Neben den Zügen versagt im Winter auch immer wieder die Infrastruktur. Weichen frieren ein und werden durch Schnee blockiert. Für die Wartung aber sei in den vergangenen Jahren kein Geld ausgegeben worden, beklagt der Sprecher des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Matthias Oomen. Viele dieser Heizungen seien ganz einfach kaputt.

Auch der Bund steht in der Verantwortung

Dafür allein der Bahn die Schuld zuzuschieben, wäre allerdings zu einfach. Der ökologische Verkehrsclub VCD macht mit Blick auf den schlechten Zustand den Bund für die Probleme verantwortlich. Die Eisenbahninfrastruktur in Deutschland sei massiv unterfinanziert, sagte VCD-Chef Michael Ziesak.

So verfüge die DB Netz über zu wenige finanzielle Mittel für den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes. "Bleibt beispielsweise ein Zug liegen, stauen sich alle weiteren dahinter, weil Überholgleise und Ausweichstrecken fehlen." Den Bahn-Vorstand lässt der Verband ebenfalls nicht ungeschoren. Der nämlich kümmere sich lediglich um Immobilienprojekte wie "Stuttgart 21", das Netz interessiere ihn nicht.

Eine ähnlich deutliche Sprache spricht ein Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Berechnungen der "Allianz Pro Schiene" zufolge liegt Deutschland bei staatlichen Investitionen in die Infrastruktur der Bahn am unteren Ende der Skala. Lediglich 47 Euro ließ die öffentliche Hand demnach pro Bundesbürger in die Schiene fließen. Zum Vergleich: In der Schweiz waren es 284 Euro pro Kopf, gefolgt von Österreich mit 205. Beide Länder stecken traditionell deutlich mehr Geld in die Schiene als in die Straße.

In der Schweiz läuft es reibungslos

Vor allem in der Schweiz ist daraus eine Erfolgsgeschichte geworden. Wer über die schneereichen Tage mit der Bahn in die Schweiz fuhr, konnte das unmittelbar an der Grenze erleben: Vom überfüllten und verspäteten Zug der Deutschen Bahn wechselte er in den pünktlichen und dazu noch gepflegten Wagen der Schweizer Bundesbahn (SBB).

Das lassen sich die Schweizer durchaus etwas kosten. Es stehen Reservezüge mit entsprechendem Personal bereit, der Taktfahrplan ist deutlich enger gestrickt, im Sommer bereitet eine gut besetzte Task-Force Probleme des vergangenen Winters auf um für den kommenden gewappnet zu sein.

Das alles kostet Geld. Aber es spielt auch welches ein. Nach Angaben von Astrid Randerath, Autorin des "Schwarzbuch Deutsche Bahn", erwerben in der Schweiz jährlich 380.000 Menschen die Bahncard 100. In Deutschland sind es ihr zufolge lediglich 30.000.

Im Ranking nur knapp vor der Türkei

Sicherlich, die Schweiz und ihre Bahn lässt sich nur bedingt mit dem Flächenstaat Deutschland und seinen technisch anfälligen Hochgeschwindigkeitsstrecken vergleichen. Doch liegt die Bundesrepublik auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern weit hinten. Großbritannien steckt nach Angaben der "Allianz Pro Schiene" 136 Euro pro Kopf in sein Netz, die Niederlande 105, Schweden 104, Spanien 84 und Frankreich 80.

Dem Ranking zufolge rangiert Deutschland weit abgeschlagen sogar nur noch hinter Italien mit 60 Euro pro Bürger. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt verortet die Allianz Deutschlands Engagement für die Schiene gar nur knapp vor der Türkei.

Zumindest derzeit — denn noch ist Winter — deutet sich ein Umdenken an. "Diese Gewinnabführung aus der Schiene in den Konzern wollen wir beenden und die Bahn dazu bewegen, sich zuallererst auf ihrem Heimatmarkt zu positionieren", unterstrich FDP-Verkehrsexperte Patrick Döring.

Es sei der Bahn durchaus möglich, sowohl die Dividende für den Bund als auch mehr Investitionen in die Infrastruktur einzuplanen. In diesem Jahr steuere der Konzern auf ein Ergebnis von 2,2 Milliarden Euro zu, sogar mit stark steigender Tendenz.

(dapd/rpo)
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