Eric Schweitzer im Interview "Deutschland fehlen 80 Milliarden Euro an Investitionen"

Berlin · Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, spricht im Interview mit unserer Redaktion über die Stimmung der Wirtschaft, die große Koalition, öffentliche Schulden und Investitionen in Deutschland.

 Eric Schweitzer sprach mit unserer Redaktion.

Eric Schweitzer sprach mit unserer Redaktion.

Foto: DPA / Hannibal Hanschke

Nachdem Deutschland in der Euro-Finanzkrise lange wie eine Insel der Glückseligen gewirkt hat, warnen Ökonomen nun lauter vor einer Eintrübung der Konjunktur. Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag geht von einem schwächeren Wachstum aus als noch vor wenigen Monaten. Sein seit 2013 amtierender Chef Eric Schweitzer, selbst Unternehmer, erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung, was sich ändern muss.

Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich angesichts der Fülle der außenpolitischen Krisen merklich eingetrübt. Ist der deutsche Aufschwung jetzt zu Ende?

Schweitzer Anfang des Jahres dachten wir in Deutschland doch, es geht nur noch aufwärts. Das ist jetzt vorbei. Die vielen Krisen in der Welt lassen gerade uns als Exportnation nicht unberührt, da dürfen wir uns gar keine Illusionen machen. Die Exporte werden allenfalls um 3,5 Prozent wachsen, und wir haben unsere Wachstumsprognose für dieses Jahr bereits von zwei auf 1,5 Prozent gesenkt.

Hat die große Koalition schon realisiert, dass es nicht mehr so weitergeht mit der guten Konjunktur?

Schweitzer Meines Erachtens noch nicht. Aber sie muss der neuen konjunkturellen Realität ins Auge schauen: So wie bisher geht es nicht weiter. Die Bundesregierung darf nicht - wie bei der Mütterrente oder der Rente mit 63 - mit vollen Händen Geld ausgeben, das noch gar nicht verdient ist. Die Politik muss im weiteren Verlauf der Legislaturperiode vor allem dafür sorgen, dass wir in Deutschland weiterhin dauerhaft solide Wachstumsraten erreichen. Die große Koalition muss jetzt unbedingt den Schalter umlegen, sonst kommt sie zu spät.

Was müsste die Regierung jetzt tun?

Schweitzer Zunächst muss die Politik erkennen: Dauerhaftes Wachstum ist kein Selbstläufer, Deutschland ist kein Schlaraffenland, wo uns die gebratenen Tauben einfach so in den Mund fliegen. Wir müssen wirklich etwas tun. Wirtschaft und Staat investieren im Schnitt drei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung oder rund 80 Milliarden Euro zu wenig, verglichen mit unseren Konkurrenten, den anderen Industrieländern. Wir leben seit Jahren von der Substanz. Bund, Länder und Kommunen geben zu viel für den Konsum aus, für Verwaltung und soziale Leistungen.

Aber die Wirtschaft investiert doch auch viel zu wenig. Warum?

Schweitzer Stimmt, auch die Privaten halten sich mit Investitionen zurück - 60 Milliarden Euro im Jahr weniger, als für den Standort gut wäre. Unsere Umfragen zeigen, dass unser komplexes Steuer- und Abgabensystem viele Investitionen bremst und energieintensive Industrieunternehmen unter steigenden Preisen und unsicheren Rahmenbedingungen leiden. Wir müssen dringend Bürokratie abbauen. Um die Investitionen anzukurbeln, muss die Politik die Abschreibungsbedingungen für Unternehmen verbessern. Wir brauchen als Anreiz eine degressive Sonder-Afa für Investitionen noch in dieser Legislaturperiode.

Liegt die Zurückhaltung der Unternehmen auch bereits daran, dass sie in Deutschland perspektivisch zu wenig Arbeitskräfte finden?

Schweitzer Das ist ein Riesenproblem. Schon in zehn Jahren werden uns insgesamt bis zu sechs Millionen potenzielle Arbeitskräfte fehlen. Wir müssen jetzt dringend gegensteuern. Ein Weg dahin ist, mehr Frauen, die Teilzeit arbeiten, Vollzeit zu ermöglichen, indem wir vor allem viel mehr Ganztagsschulen schaffen. Denn nach der Kita stellt sich in der Schule oft die Frage nach der Kinderbetreuung.

Wie beurteilen Sie denn das generelle Klima für Investoren in Deutschland?

Schweitzer Investoren stoßen bei uns nicht überall auf offene Türen. Es herrscht mitunter ein Klima, das nicht nur eher technikfeindlich ist, sondern auch darüber hinaus abschreckt. Ein Beispiel: Nordrhein-Westfalen will ein Unternehmensstrafrecht einführen, obwohl es bereits genügend Sanktionsmöglichkeiten gibt. Das führt in den mittelständischen Unternehmen zu einer großen Verunsicherung. Sie haben das Gefühl, sie werden grundlos kriminalisiert. Durch solche Vorhaben bekommen wir bestimmt nicht mehr Unternehmer und Investoren.

Bald könnte auf viele Familienunternehmen eine erhöhte Erbschaftsteuer zukommen, weil das Verfassungsgericht in einem Urteil im Herbst die bisherige Verschonung von Betriebsvermögen beanstanden dürfte...

Schweitzer Ja, das befürchten viele. Und hier wird die Politik ebenfalls vor einer großen Aufgabe stehen. Die Erbschaftsteuerbelastung für die Betriebe darf auf keinen Fall steigen. Das ist elementar, wenn wir unsere mittelständische Wirtschaft erhalten wollen, um die uns die ganze Welt beneidet. Das haben Union und SPD übrigens im Koalitionsvertrag auch so vereinbart.

Wie sollen Bund und Länder denn mehr investieren, wenn sie die Schuldenbremse einhalten müssen?

Schweitzer Da ist zumindest beim Bund trotz der Schuldenbremse viel Spielraum: Bis 2017 hat er laut eigener Finanzplanung rund 40 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung als 2013 geplant. Einen Teil davon hat die Regierung bereits für Maßnahmen des Koalitionsvertrags fest verplant. Die verbleibenden rund 15 Milliarden müssen jetzt in ein Investitionspaket fließen. Die Investitionen des Bundes in Bildung, Forschung und Verkehrswege könnten und müssten ab sofort um drei Milliarden pro Jahr aufgestockt werden. Alle zusätzlichen Ausgaben, die nicht investiv sind und die über den Koalitionsvertrag hinausgehen, müssen unterbleiben.

(mar)
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