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Interview mit Bahnchef Rüdiger Grube "Deutschland hat Vorfahrt"

Berlin (RP). Rüdiger Grube, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, will mehr ICE-Züge im Inland einsetzen, die Bahn konsequent auf die Herausforderungen des Klimawandels einstellen und an den Bahnhöfen ein verbessertes Informationsmanagement für Kunden einführen.

Das ist Rüdiger Grube
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Foto: AP

Frühling, Sommer, Herbst und Winter — das sind die vier Feinde der Bahn, sagt der Volksmund. Wann haben Sie endlich genügend Züge, um Ausfälle und Pannen wie in diesem Winter auszuschließen?

Grube Wir haben zum Beispiel 253 ICE. Normalerweise hält man zehn Prozent davon in Reserve. Wir haben derzeit aber Null Reserve. Erstens, weil wir seit dem Achsbruch im Juli 2008 in Köln verpflichtet sind, die Züge 10- bis 12-mal häufiger als bisher in die Werkstatt zur Ultraschallüberprüfung zu schicken. Zweitens, weil viele Fahrzeuge qualitativ nicht dem entsprechen, was wir bestellt haben. Drittens, weil die Hersteller es nur begrenzt schaffen, uns rechtzeitig neu bestellte Züge für den Regionalverkehr zu liefern. Die Bahn wird zu häufig für etwas verantwortlich gemacht, für das sie wirklich nichts kann.

Das ICE-Achsenproblem ist ungelöst, die Klimaanlagen nicht umgerüstet. Erwartet uns im Sommer ein neues Chaos?

Grube Uns liegt leider immer noch nicht die Genehmigung des Eisenbahnbundesamtes vor, die Achsen bei den ICE 3 und ICE-T auszuwechseln, obwohl die Zug-Hersteller die Übernahme der Kosten und entsprechende Lösungen seit Langem zugesagt haben. Die Genehmigung soll erst Ende 2011 vorliegen. Erst dann beginnen wir mit der Umrüstung. So langsam mahlen bei uns nun mal die Mühlen, um Zulassungen zu erhalten. Wir können auch nicht alle Züge auf einmal umrüsten, da wir ja parallel den Fahrplan abfahren müssen. Bei den ICE 2 haben wir im November mit der Generalüberholung, auch der Klimaanlagen, begonnen. Außerdem wird das Personal gründlich geschult, um die Klimaanlagen bei hohen Außentemperaturen richtig einzustellen.

Wird die Bahn 2011 pünktlicher sein als im Vorjahr?

Grube Wissen Sie, dieses Bahn-Bashing ist in den meisten Fällen unangebracht. Wir hatten in diesem harten Dezember ganz bewusst entschieden, langsamer zu fahren, um unsere Züge vor schweren Schäden wie Schotterflug zu schützen. Übrigens haben das unsere Wettbewerber im Ausland genauso gemacht. Darüber haben wir alle informiert.

Das ist aber bei vielen Kunden nicht richtig angekommen. Sie fühlen sich nicht gut behandelt, wenn sie bei minus zehn Grad 70 Minuten auf einen Zug warten müssen und immer nur scheibchenweise über den neuesten Stand informiert werden.

Grube Stimmt. Im Störfall und bei extremen Witterungsbedingungen sind die oft unbefriedigenden Reiseinformationen der neuralgische Punkt der Bahn, an dem wir intensiv arbeiten müssen. Dazu haben wir eine hochrangige Arbeitsgruppe eingerichtet, der es an Geld und Personal nicht mangeln soll. Das Reiseinformationssystem der Bahn für unsere Kunden muss dringend weiterentwickelt werden. Schon im nächsten Winter wollen wir besser werden, beispielsweise sollen Kunden früher und schneller über Störungen informiert werden. Für mich hat das Thema Kundenzufriedenheit allerhöchste Priorität. Aber auch hier lassen sich nicht alle Herausforderungen auf einmal und in einem Jahr lösen.

Wie teuer war der harte Winter eigentlich für die Bahn?

Grube Im Vergleich zu den Vorjahren haben wir 2010 über 100 Millionen mehr ausgegeben. Und jetzt hat uns allein der vergangene Dezember 80 Millionen Euro mehr gekostet.

Stellen Sie sich dauerhaft auf die Folgen extremer Wetterverhältnisse ein?

Grube Die Bahn muss sich auf den Klimawandel einstellen. Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Jahren viel häufiger große Kälte oder große Hitze erleben werden, genauso wie mehr Stürme sowie vermehrt Hochwasser. Deshalb brauchen wir möglicherweise mehr Werkstatt-Kapazitäten. Wir brauchen mehr Auftau-Anlagen und mehr Abstellgleise, um reparaturbedürftige Fahrzeuge schneller bearbeiten zu können.

Werden sie bald Tickets an Tankstellen verkaufen?

Grube Nein, solche Aktionen wie bei den Discountern sind immer auf bestimmte Zeiträume begrenzt. Bei allen Herausforderungen, die wir aktuell haben, ist der ICE ein Premium-Produkt, und dies wird auch so bleiben.

Wie läuft das Geschäft im Personenverkehr?

Grube In den letzten Jahren haben wir kontinuierlich mehr Fahrgäste befördert, aber zugleich weniger Zugmaterial zur Verfügung gehabt.

Diese Zahl wird die Menschen, die sich in ihre Waggons zwängen müssen, nicht begeistern.

Grube Wir unternehmen alles, um zusätzliche Züge zu bekommen. Aber bestellen Sie mal einen Zug. Sie bekommen keinen und wenn dann nur mit jahrelanger Wartezeit. Weil das so ist, überholen wir beispielsweise unsere IC-Flotte zurzeit mit großem Aufwand, obwohl wir die Flotte auf absehbare Zeit ersetzen wollen. Außerdem haben wir einen Auftrag für 27 doppelstöckige Intercity-Züge erteilt, die ab 2013 auf nicht so stark nachgefragten Strecken fahren werden und sich im Regionalverkehr bereits bewährt haben.

Was ist mit den 15 ICE-Zügen für den internationalen Verkehr, die ab Ende dieses Jahres eingesetzt werden sollen?

Grube Diese ICE haben Mehrfachsysteme und sind eigentlich für den grenzüberschreitenden Verkehr geplant. Jetzt gilt es aber, erst einmal Fahrzeugengpässe hierzulande abzubauen. Deutschland hat Vorfahrt. Hier ist unser Brot-und-Butter-Geschäft.

Warum kauft sich dann die Deutsche Bahn mit Milliarden-aufwand im Ausland Bahn-Unternehmen wie Arriva?

Grube Personenverkehr ist ein europäisches Geschäft. Ein Kunde will heute nicht an der Grenze umsteigen. Unsere Marktanalysen sagen uns, dass pro Jahr aus NRW und dem Großraum Frankfurt rund 1,1 Millionen Menschen den ICE und nicht das Flugzeug nehmen würden, um nach London zu kommen. Wir wollen ab Dezember auch bis Marseille fahren.

Aber Arriva betreibt doch Busse und Regionalbahnen. Warum ausgerechnet die?

Grube Bis wir Arriva gekauft haben, machten Konkurrenten wie die Französische Staatsbahn im Ausland im Vergleich zu uns im Regionalverkehr ein Vielfaches des Umsatzes. Der Erwerb eines Unternehmens wie Arriva ist der schnellste Weg, um sich für den harten internationalen Wettbewerb zu rüsten und den in Deutschland an die Konkurrenz verlorenen Umsatz wieder hereinzuholen. Denn: Die Öffnung aller europäischen Märkte wird nicht aufzuhalten sein.

Der Vertrag der Bahn mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) steht nach dem Bundesgerichtshof-Urteil auf töneren Füßen. Wie wichtig ist Ihnen NRW als Markt?

Grube Wir beschäftigen in Nordrhein-Westfalen gut 32.000 Menschen. Wir haben nicht nur deshalb ein hohes Interesse daran, als ein Unternehmen aufzutreten, das in NRW zuhause ist. Mit dem VRR wollen wir zu einem guten und vor allem kundenfreundlichen Ergebnis kommen. Wir haben ja noch einiges vor, zum Beispiel den Rhein-Ruhr-Express.

Wie steht es um den RRX-Express, der zwischen Köln und Dortmund verkehren soll?

Grube Im April übergeben wir die Unterlagen für den ersten Planungsabschnitt. Die Finanzierung für den Bau steht aber noch aus. Das ist eine Herausforderung für den Bund und das Land, denn dort liegt die Verantwortung für die Infrastruktur.

Ist der Börsengang aktuell noch ein Thema?

Grube Ich würde dem Eigentümer zum gegenwärtigen Zeitpunkt abraten. Erstens muss die Bahn zuerst ihre Hausaufgaben machen. Zweitens sind die Kapitalmärkte noch gar nicht wieder in Ordnung. Drittens haben wird nichts zu verschenken. Wenn wir heute an die Börse gingen, würden wir unter dem Marktwert des Unternehmens Anteile verkaufen müssen und das rate ich keinem.

Ab wann fährt die Deutsche Bahn durch den Kanaltunnel nach London?

Grube Wir planen spätestens 2013 einen regelmäßigen Verkehr von Frankfurt und Köln aus nach Brüssel. Dort soll ein ICE aus Amsterdam dazu kommen, gemeinsam sollen dann beide Züge nach London fahren. Ob es einen Halt in Aachen geben wird, ist noch nicht entschieden.

Wie lange dauert die Fahrt vom Rhein bis an die Themse?

Grube Unter vier Stunden.

Das Gespräch führten Klaus-Peter Kühn, Birgit Marschall und Gregor Mayntz.

(RP)
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