Personalentscheidung bei ThyssenKrupp Die Suche nach dem neuen Ruhrbaron

Essen · Mit dem Sturz von Gerhard Cromme hat ThyssenKrupp-Patriarch Berthold Beitz seinen Kronprinzen verloren. Der 99-Jährige sucht einen neuen Nachfolger. Der mächtige Posten ist auch für das Land von großer Bedeutung. Eine Analyse.

 Ulrich Lehner wird dem Aufsichtsrat vorstehen.

Ulrich Lehner wird dem Aufsichtsrat vorstehen.

Foto: dpa, Rolf Vennenbernd

Was wird nun aus ThyssenKrupp? Aus dem milliardenschweren Industrie-Imperium von der Ruhr, das gerade zu bersten droht? Dessen Keimzelle Krupp einmal das wertvollste deutsche Unternehmen war, bevor eine Handvoll Manager den Dax-Konzern in wenigen Jahren mit strategischen und persönlichen Fehltritten an den Rand des Abgrundes brachte? Wie konnte es überhaupt so weit kommen?

Solche Fragen wird sich Berthold Beitz in diesen Tagen wohl stellen, wenn er aus seinem Bürofenster schaut, das einen weiten Blick über die Parklandschaft der Villa Hügel am Rande des Essener Baldeneysees freigibt. Auch mit seinen 99 Jahren lässt er sich noch allmorgendlich zum ehemaligen Familienstammsitz der Krupps chauffieren, um von dort die Weichen für ThyssenKrupp zu stellen. Man könnte auch sagen: Um zu regieren. Denn der letzte Vertreter der Krupp-Dynastie, Alfried Krupp, hat Beitz kurz vor seinem Tod die persönliche Macht über das Unternehmen verliehen. Auf Lebenszeit. So wurde Beitz zum letzten deutschen Nachkriegs-Patron. Zu einem König wie aus einer versunkenen Zeit, der vor einer Woche seinen Prinzen verloren hat.

Als Gerhard Cromme am 8. März auf Geheiß der Villa Hügel seinen Rücktritt vom Vorsitz des ThyssenKrupp-Aufsichtsrates erklärte, verlor Beitz seinen engsten Vertrauten. Der groß gewachsene Jurist mit den eleganten Manieren, den Beitz vor einem Vierteljahrhundert zu Krupp geholt hatte, sollte sein Nachfolger werden. Cromme durfte Beitz begleiten, wenn der vor das Krupp-Grab auf dem Bredeneyfriedhof trat. Beitz hat ihm den Rücken gestärkt, als Cromme das Stahlwerk in Rheinhausen dichtmachte und halb NRW mit Fackelzügen gegen ihn hetzte. Vor allem aber durfte Cromme über zehn Jahre den Vorstand von ThyssenKrupp kontrollieren — was ihm zum Verhängnis wurde. Denn unter Crommes Aufsicht hat ThyssenKrupp in den vergangenen vier Jahren acht Milliarden Euro durch Fehlinvestitionen verbrannt, wurde wegen verbotener Preisabsprachen zu horrenden Kartellstrafen verurteilt und musste sich wegen Korruptionsaffären und anderer Skandale von über 60 Managern trennen — darunter der halbe Konzernvorstand. An der Börse ist ThyssenKrupp nicht mehr halb so viel wert wie noch vor fünf Jahren. Zuletzt bekamen die Aktionäre nicht einmal mehr eine Dividende.

Cromme war nicht mehr zu halten

Weil diese Bilanz auch Crommes Bilanz ist, war er nicht mehr zu halten. Nicht als Chefkontrolleur von ThyssenKrupp und auch nicht als designierter Beitz-Nachfolger an der Spitze der Krupp-Stiftung, in der Alfried Krupp sein Erbe gebündelt hat und die als größter Aktionär bei ThyssenKrupp das letzte Wort hat.

Jetzt richten sich die Augen der 150.000 Mitarbeiter von ThyssenKrupp — gut 20.000 davon arbeiten in NRW — auf die Villa Hügel: Wer wird der neue Ruhrbaron? Wen ernennt Beitz zum neuen Kronprinzen?

Die Frage nach dem künftigen König treibt nicht nur die Mitarbeiter um. Mit der Stiftung hat Alfried Krupp Beitz auch sein ideelles Vermächtnis anvertraut. Seit ihrer Gründung im Jahr 1968 hat die Stiftung 615 Millionen Euro für wohltätige Zwecke gespendet — mehr als die Hälfte der Fördermillionen flossen zuletzt ins Ruhrgebiet. Mit den ThyssenKrupp-Gewinnen aus besseren Zeiten fördert sie medizinische, sportliche und kulturelle Projekte. Zum Beispiel das neue Folkwang-Museum, das sie vor zwei Jahren der Stadt Essen geschenkt hat. Deshalb sitzt in dem zwölfköpfigen Kuratorium auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Der Hügel hüllt sich in Schweigen

Die Beitz-Nachfolge ist also weit über den Konzern hinaus von Bedeutung. Aber der Hügel hüllt sich in Schweigen. Beobachter nennen immer wieder zwei Namen: Den ehemaligen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen und den ehemaligen Henkel-Chef und Düsseldorfer IHK-Präsidenten Ulrich Lehner, obwohl der gerade zum neuen Aufsichtsratschef ausgerufen wurde.

Pleitgen, der in der nächsten Woche seinen 75. Geburtstag feiert, wurde vor gut einem Monat neues Mitglied im Stiftungskuratorium. Die Personalie war überraschend, weil es in dem Kuratorium gar keinen vakanten Posten gab — es wurde eigens für Pleitgen aufgestockt. Beitz ließ die Entscheidung mit Pleitgens Erfolgen bei der Organisation des Kulturhauptstadtjahres vor drei Jahren in Essen begründen. Als Ex-Präsident der Europäischen Rundfunkunion ist der gelernte Zeitungsjournalist auch international gut vernetzt. Kennengelernt haben sich Pleitgen und Beitz wohl in Moskau, wo Pleitgen von 1970 bis 1977 als Auslandskorrespondent gearbeitet hat. Dank seines diplomatischen Geschicks führte er als erster westlicher Journalist ein Interview mit dem damaligen Staatschef Leonid Breschnew. Beitz wiederum gehörte zu den Ersten, die der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg den Weg für Geschäfte mit Russland ebneten. Er wird Pleitgen in Moskau getroffen haben. In den 70er Jahren gab es nicht viele Deutsche, die dort geschäftlich zu tun hatten. Das verbindet.

Lehner wird Aufsichtsratschef

Lehner wird jetzt zwar erst einmal Chef des ThyssenKrupp-Aufsichtsrates. Als Stiftungschef kommt er deshalb nur infrage, wenn er dieses Amt nach getaner Aufräumarbeit wieder aufgibt — denn beide Posten in einer Hand will Beitz nicht akzeptieren. Nach dem Sturz Crommes ist Lehner aber zu den engsten Vertrauten von Beitz aufgerückt. Der 66-Jährige sitzt seit 2008 im ThyssenKrupp-Aufsichtsrat und hat dort sofort Kritik an den fatalen Übersee-Investitionen geäußert. Das weiß Beitz heute zu schätzen. Außerdem hat Lehner sich schon bei Henkel als Krisenmanager in einer Kartellaffäre bewährt und gezeigt, dass er mit einer tonangebenden Eigentümerfamilie umgehen kann.

Darüber hinaus soll sich SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vor seiner Kandidatur für die Beitz-Nachfolge ins Spiel gebracht haben. Beitz machte Steinbrück auch schon zum Aufsichtsrat. Wegen seines Spitzenamtes in der SPD gab Steibrück das Mandat wieder ab. Beitz hält viel von Steinbrück, der sich als ehemaliger Ministerpräsident gut in NRW auskennt. Allerdings heißt es, Beitz lehne einen Berufspolitiker als Nachfolger ab.

Das "Wer" ist also noch offen. Das "Wann" steht fest. Seinem Biografen Joachim Käppner vertraute Beitz an: "Wenige Tage bevor Alfried Krupp starb, hat er zu mir gesagt: Herr Beitz, passen Sie gut auf die Firma auf. Er hat mir diese Vollmacht gegeben, und ich vertrete ihn bis an mein Lebensende."

(RP/felt/das)
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