Lohnverhandlungen in dieser Woche Die umstrittene Leiharbeit

Düsseldorf · In dieser Woche verhandeln die Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit und die IG Metall über höhere Löhne. Die Zeit der Schlechterbezahlung für Leiharbeiter neigt sich dem Ende zu.

Wer sich mit einem IG-Metaller über die Lage der rund 900.000 deutschen Leiharbeiter unterhält, bekommt zwangsläufig die Geschichte von den zwei Autotüren zu hören. Sie soll erklären, was nach Ansicht der Gewerkschafter schiefläuft: Warum, so die IG-Metall-Logik, montiert ein Facharbeiter für einen Stundenlohn von rund 19 Euro die Fahrertür eines Wagens, während die Beifahrertür am selben Fließband von einem Leiharbeiter angebracht wird, der bis zu 60 Prozent weniger dafür bekommt? Damit sich das ändert, verhandelt die Gewerkschaft in dieser Woche mit den Leiharbeitgeberverbänden.

Das Bild von den Autotüren ist zwar plakativ, geht aber an der Realität vorbei. Tatsächlich sind die Bedingungen bei den Automobilbauern vergleichsweise gut — in vielen Fällen gibt es Besservereinbarungen: Die Konzerne verpflichten sich dazu, den Leiharbeitern ihren Lohn nahezu bis zum Niveau der Stammkräfte aufzustocken.

Trotzdem — und das bestreiten selbst viele Arbeitgebervertreter nicht mehr — kommt es in einigen Unternehmen zu Missbrauch, und gleiche Löhne stellen bislang allenfalls eine Ausnahme dar: Die Kluft beim Bruttolohn beträgt nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung bei einem männlichen Zeitarbeitnehmer in Westdeutschland 50,9 Prozent, Frauen verdienen 42,8 Prozent weniger als im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt.

Anstieg um 144 Prozent in zehn Jahren

Ausgangspunkt für den Siegeszug der Leiharbeit sind die Hartz-Reformen der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder. Ausgerechnet unter der Führung des Sozialdemokraten wurden 2003 mehrere Schutzklauseln in der Arbeitnehmerüberlassung ausgehebelt: Zum einen fiel das sogenannte Synchronisationsverbot.

Bis dahin war es den Leiharbeitsfirmen verboten, ihre Mitarbeiter nur für die Dauer eines Einsatzes zu beschäftigen und sie an dessen Ende wieder vor die Tür zu setzen. Zudem gab es ein Wiedereinstellungsverbot für einmal Entlassene. Auch die Entleihdauer war auf maximal 24 Monate begrenzt. Mit alledem machte die Regierung Schröder Schluss.

Seitdem gehört die Leiharbeit in zahlreichen deutschen Unternehmen fest dazu. Allein im Zeitraum von 2000 bis 2010 wuchs die Zahl der Leiharbeiter um 144 Prozent auf 824.000 — und erreichte im Juli 2011 mit 910 000 ihren vorläufigen Rekordwert. Inzwischen ist jede dritte bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Stelle ein Zeitarbeitsjob.

Das Lohngefälle beseitigen konnte auch der im Januar vom Gesetzgeber für allgemeinverbindlich erklärte Mindestlohn nicht, den der Deutsche Gewerkschaftsbund mit den Zeitarbeitsverbänden ausgehandelt hatte. Dieser liegt im Westen gerade einmal bei 7,89 Euro (ab November 8,19 Euro) und ist damit viel niedriger als viele branchenübliche Löhne.

Gerungen wird über Branchenzuschläge

Mit diesem Umstand will die IG Metall in dieser Woche per Tarifvertrag aufräumen. Auf das Konto der Metall- und Elektroindustrie geht immerhin rund ein Viertel aller Entleihungen. Gerungen wird über Branchenzuschläge auf den DGB-Mindestlohn — nach Vorstellungen der Gewerkschaften zahlbar ab dem ersten Tag. Doch so richtig kommen die Parteien nicht vom Fleck. "Wir liegen extrem weit auseinander", sagt Oliver Burkhard, NRW-Bezirksvorsitzender der IG Metall, und fügt hinzu, der recht junge Arbeitgeberverband übe noch das Verhandeln.

Dabei steigt der Druck. So hatte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gedroht, notfalls per Gesetz eine Equal-Pay-Regelung herbeizuführen, also die Gehälter anzupassen, sollten sich die Sozialpartner nicht im April einigen. Und auch die Chemiegewerkschaft IG BCE drängelt. Die drittgrößte deutsche Gewerkschaft hat sich mit den Leiharbeitgebern Ende vergangenen Jahres auf eine Equal-Pay-Regelung geeinigt — will diese aber erst in Kraft setzen, wenn auch die Metall-Kollegen nachziehen. "Die IG Metall lässt sich nicht unter Zeitdruck setzen", sagt deren Chef Burkhard.

Doch da wäre noch eine dritte Gruppierung, die einen schnellen Abschluss von der IG Metall verlangt: die Metall-Arbeitgeber. Denn diese wollen bei den zeitgleich laufenden Gesprächen für ihre 3,6 Millionen Beschäftigten erst so richtig verhandeln, wenn das Ergebnis bei den Zeitarbeitern feststeht. Schließlich müssen sie es bezahlen. "Die Kosten, die auf die Unternehmer zurollen, müssen abschätzbar sein", hatte der Präsident von Metall NRW, Horst-Werner Maier-Hunke, nach dem Verhandlungsauftakt in der vergangenen Woche angemahnt und der IG Metall etwas vage seine Unterstützung zugesagt.

Den befürchteten Verlust ihrer Flexibilität durch die teurere Leiharbeit wollen sich die Arbeitgeber übrigens bei ihrer Stammbelegschaft zurückholen — durch höhere Wochenarbeitszeiten und längere Befristungen von Arbeitsverträgen. Das Argument: Da die Konjunkturzyklen kürzer, die Ausschläge aber heftiger würden, müssten die Unternehmen reagieren können. Ein durchsichtiges Manöver, nennt das die IG Metall.

Nachfrage nach Stammbelegschaft steigt

Auch wenn die Gewerkschaft in dieser Woche keinen Abschluss hinbekäme und die Politik noch mit einem Gesetz auf sich warten ließe — so oder so scheint die Schlechterbezahlung der Leiharbeiter zu Ende zu gehen. Denn die Nachfrage nach Stammbelegschaft steigt allein schon wegen des drohenden Fachkräftemangels.

Und auch die Zeitarbeitsbranche selbst, die an der Lohndifferenz verdient, stellt Equal Pay nicht mehr grundsätzlich infrage. Marcus Schulz, Deutschlandchef von USG People, einer niederländischen Zeitarbeitsfirma mit 1.. 000 Beschäftigten in Deutschland, sagt etwa: "Wenn es uns gelänge, mit den Tarifpartnern eine gute Lösung zu finden, wird mittelfristig die Zahl der Zeitarbeiter in Deutschland sogar noch weiter steigen."

Denn Schulz hofft, mit Equal-Pay-Zahlungen die Vorbehalte von Betriebsräten abzubauen. "Bislang sagen die in so manchem Unternehmen: Nach den derzeitigen Konditionen kommen uns Leiharbeiter nicht auf den Hof", so Schulz.

(RP/das/csr)
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