Carla Kriwet im Interview "Digitale Köpfe mögen keine Hierachien"

Düsseldorf · Die Digital-Chefin von Philips, Carla Kriwet, spricht im Interview mit unserer Redaktion über ihre Kindheit am Rhein, Frauen-Karrieren und Technik-Trends.

 "Lange habe ich nichts von der Quote gehalten. Sie macht Frauen, die es ohne Quote schaffen, schlechter als sie sind. Doch inzwischen zweifle ich": Carla Kriwet.

"Lange habe ich nichts von der Quote gehalten. Sie macht Frauen, die es ohne Quote schaffen, schlechter als sie sind. Doch inzwischen zweifle ich": Carla Kriwet.

Foto: dpa

Carla Kriwet hat ihre Kindheit in Düsseldorf verbracht. Sie war auf dem Suitbertus-Gymnasium, damals noch eine reine Mädchenschule. Heute steht ihr Schreibtisch in Boston. Kriwet ist Digitalvorstand beim Weltkonzern Philips. Wir treffen sie bei einem Besuch in der alten Heimat.

Viele kennen Philips als Hersteller von Glühbirnen und Senseo-Kaffeemaschinen. Was machen Sie?

Kriwet Die Licht-Sparte von Philips ist im Frühjahr 2016 an die Börse gegangen. Heute halten wir noch 41 Prozent an Anteilen an Philips Lighting. Die Sparte Personal Health, zu der Senseo zählt, macht etwa 40 Prozent unseres Umsatzes aus. Philips hat sich zu einem Gesundheitskonzern entwickelt, und als Leiterin des Bereichs Connected Care und Health Informatics bin ich für das Geschäft mit Patientenmonitoren, Beatmungsgeräten und Defibrillatoren zuständig, das zusammen mit den ebenfalls von mir verantworteten Bereichen Healthcare Informatics und Population Health Management schon circa 20 Prozent des Philips Umsatzes ausmacht. Und wir wollen weiter wachsen.

Ein Beispiel?

Kriwet Wir haben gerade intelligente Sensoren entwickelt: Diese Patches messen Vitaldaten der Patienten wie Temperatur, Blutdruck und Atmung. Patienten können sich damit frei bewegen, nahezu ohne Einschränkungen. Der begleitende Arzt kann die Daten ablesen und eventuell eingreifen. Das ist eine große Chance für Patienten außerhalb der Intensivstation, sei es auf der Allgemeinstation, im Pflegeheim oder zu Hause.

Warum?

Kriwet Die Menschen werden immer älter, und die Zahl der chronisch Kranken steigt. Gegen die drohende Kostenexplosion helfen Innovationen, bessere Präventionsmaßnahmen und mehr Möglichkeiten, die Patienten zuhause zu betreuen.

Will sich Philips aus dem Krankenhaus verabschieden?

Kriwet Ganz im Gegenteil, auch hier können wir mit Patientenüberwachung die Versorgung deutlich verbessern. Auf Intensivstationen sind Patienten gut versorgt. Hier betreut ein Arzt oder Pfleger ein bis zwei Patienten. Das Problem sind die Normalstationen, wo der Stellenschlüssel viel schlechter ist. Vor allem nachts sind Pflegekräfte schnell überfordert, entsprechend hoch ist die Sterblichkeit. Durch eine kontinuierliche Überwachung könnte man Komplikationen frühzeitig erkennen.

Wie?

Kriwet Ein Herzinfarkt kündigt sich oft schon mehrere Stunden vorher durch veränderte Vitalwerte wie zum Beispiel einer bestimmten Kombination aus Temperatur und Atemwerten an. Erfasst man diese, könnte der Patient schon frühzeitig behandelt und gegebenenfalls auf die Intensivstation verlegt werden. Die Smart Analytics liefern ein Ampel-System, das die Lage der Patienten mit grün-gelb-rot beschreibt. So könnten Ärzte und Pfleger eine Station viel effektiver überwachen. Ein anderes Beispiel ist Contactless Monitoring...

...kontaktlose Überwachung.

Kriwet Hier werden Vitaldaten mittels intelligenter Video-Sensoren anhand der Entwicklung der Hautfarbe und Atemfrequenz gemessen. Damit können Neugeborene auf einer Station überwacht werden, ohne dass man sie verkabeln muss. In einer Notaufnahme kann man so entscheiden, welcher Patient am dringendsten behandelt werden muss.

Was bedeutet das in Euro? Welchen Umsatz soll Ihr Bereich in Zukunft machen?

Kriwet Mit Connected Care & Health Informatics machen wir heute weltweit einen Umsatz von 3,2 Milliarden Euro und streben ein Wachstum im hohen einstelligen Bereich an.

Bei Röntgengeräten und MRT sind Siemens und GE die Nummer eins. Wo will es Philips werden?

Kriwet Unser Kerngeschäft, zu dem auch die von Ihnen genannten Bereiche zählen, sind für uns selbstverständlich auch in Zukunft wichtig. Hier scheuen wir den Wettbewerb nicht und werden weiter wachsen. Wichtig ist unsere strategische Gesamtausrichtung entlang der fünf Phasen des Health Continuums: gesundes Leben, Prävention, Diagnose und Behandlung sowie Regeneration zuhause. Wir verbinden unser Konsumentengeschäft mit dem professionellen Medizin-Business. Dabei spielen die Möglichkeiten der Digitalisierung eine wichtige Rolle — neue Geschäftsmodelle ergänzen in Zukunft unser Kerngeschäft wodurch wir weiter wachsen werden und uns weiter als Gesundheitskonzern etablieren.

Philips ist ein Traditionskonzern. Wo kommt der digitale Geist auf einmal her?

Kriwet Philips ist traditionell ein sehr innovatives Unternehmen. Beispielsweise wurde das digitale Röntgen von Philips erfunden — hier in Deutschland in der Röntgenstraße in Hamburg. Auch Lumify ist eine ganz aktuelle und zukunftsweisende Philips Entwicklung: die erste mobile, App-basierte Ultraschall-Lösung. Wir arbeiten aber auch viel mit Universitäten und Start-ups zusammen, um ihre Innovationen zu nutzen.

Was tun Sie, um Start-ups und digitale Freaks an sich zu binden?

Kriwet Damit sich digitale Köpfe in einem Unternehmen wohlfühlen, muss eine offene Atmosphäre herrschen: Sie mögen keine Hierarchien. Sie mögen schnelle Entscheidungen und offene Grenzen. Manchmal werden Projekte binnen Minuten gestoppt, wenn sie sich als nicht aussichtsreich erweisen. Andererseits müssen alle ihr Wissen teilen, die Zeiten des Herrschaftswissens sind vorbei. Vorgesetzte in der digitalen Welt sind lernbegierig, und nehmen sich selbst nicht zu wichtig.

Nehmen Sie sich wichtig?

Kriwet Ich hoffe nicht.

Ihr Vater war Heinz Kriwet, der langjährige Thyssen-Chef. Was haben Sie noch von ihm gelernt?

Kriwet Er war ein gläubiger Christ und hatte ein großes Verantwortungsgefühl. Er hat sich stets gefragt: Was bedeuten meine unternehmerischen Entscheidungen für die Mitarbeiter und ihre Familien?

Zur Zeit, als die Übernahmeschlacht um Thyssenkrupp tobte, waren Sie 25 Jahre alt. Was haben Sie davon mitbekommen?

Kriwet Nicht viel. Aus geschäftlichen Dingen hat mein Vater uns Kinder rausgehalten.

Wo haben Sie sich sozial engagiert?

Kriwet Nach der Schule bin ich als 18-Jährige zur Entwicklungshilfe nach Burundi gegangen. Meine Eltern waren zunächst besorgt. Damals gab es ja weder Handy noch Skype. Es gab einen Münzsprecher auf dem Gelände der deutschen Botschaft. Von dort aus habe ich manchmal zuhause angerufen. Heute setze ich mich im Aufsichtsrat von Save the Children Germany für Kinderrechte ein. Aber auch in Philips foerdern wir viele soziale Projekte, zum Beispiel Community Life Center in Afrika, wo die Gesundheitssysteme in Gemeinden aufgebaut und Ärzte und Krankenschwestern ausgebildet werden.

Wie hat der Aufenthalt in Burundi Sie geprägt?

Kriwet Seitdem weiß ich wirklich, wie gut es uns in Deutschland geht. Ich habe einem Arzt geholfen, der Aids-Kranke behandelt hat und viel Leid gesehen. Damals gab es kaum Mittel gegen Aids und die Krankheit verbreitete sich schnell.

Später studierten Sie in St. Gallen Ökonomie und machten eine steile Karriere, die Sie in den Vorstand von Philips geführt hat. Was raten Sie Frauen, die Karriere machen wollen?

Kriwet Macht das, was euch Spaß macht. Nur wenn man für ein Thema brennt, kann man gut sein. Und habt keine Scheu vor großen Aufgaben.

Brauchen wir eine Frauenquote?

Kriwet Lange habe ich nichts von der Quote gehalten. Sie macht Frauen, die es ohne Quote schaffen, schlechter als sie sind. Doch inzwischen zweifle ich. Die Fakten geben klare Hinweise: Wo die Quote eingeführt wurde, gibt es mehr Frauen in Führungspositionen, und viele von ihnen sind richtig gut. Aber es gehört mehr dazu, insbesondere eine gute Kinderbetreuung, gezielte Förderung von Mädchen in den MINT-Berufen und offene Entscheidungsträger in den Unternehmen.

Wie machen Sie es mit Ihren Kindern?

Kriwet Im Alltag kümmert sich mein Mann um sie, ich bin ja viele Tage im Jahr unterwegs, um weltweit Kunden und Philips Teams zu besuchen. Aber ich versuche soviel Zeit wie möglich mit der Familie zu verbringen, und genieße die gemeinsamen Wochenenden und Urlaube.

Wie fanden es Ihre Kinder, als sie vor zwei Jahren von Hamburg nach Boston zogen?

Kriwet Erst hat es ihnen nicht gefallen, Schule und Freunde in Hamburg aufzugeben. Zumal der Alltag für Kinder in den USA mit Schule und Hobbies viel durchgetackteter ist. Es bleibt wenig Zeit für spontanes Spielen mit Nachbarskindern. Inzwischen haben sie sich gut eingelebt. Wir haben ihnen auch gesagt: Was sollen Kinder sagen, die auf der Flucht sind? Wir sind doch privilegiert. Welche Rolle spielt es für Philips, ob Trump die Krankenversicherung Obamacare abschafft?

Kriwet Das spielt eine Rolle für jeden Gesundheitskonzern. Doch Philips äußert sich traditionell nicht zu aktuellen Fragen der Politik.

Was sind Ihre schönsten Erinnerungen an Düsseldorf?

Kriwet Ich habe hier eine sehr gute Kindheit gehabt. Meine Freizeit habe ich auf einem Bauernhof verbracht, später war ich viel auf der Ratinger Straße, habe die Toten Hosen und andere Bands gehört. Ein Alt schmeckt für mich immer noch nach Heimat.

(RP)
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