Interview mit Johannes Teyssen Eon-Chef warnt vor Stromausfällen

Düsseldorf (RP). Eon-Chef Johannes Teyssen sprach mit unserer Redaktion über die Folgen der Atomwende der Bundesregierung, Strompreise und Sicherheit in Zeiten von Fukushima. Hier das komplette Interview im Wortlaut.

 Eo-Chef Johannes Teyssen im Gespräch mit Chefredakteur Sven Gösmann und Redakteuren.

Eo-Chef Johannes Teyssen im Gespräch mit Chefredakteur Sven Gösmann und Redakteuren.

Foto: RP, Andreas Andermann

Wasserwerfer müssen Atomreaktoren kühlen, um eine Kernschmelze zu verhindern. Wie fühlt man sich als Energiemanager nach der Katastrophe von Japan? Ist die Atomkraft noch zu verantworten?

Teyssen Nach Japan kann niemand zur Tagesordnung übergehen. Anders als bei den Unfällen in Harrisburg oder Tschernobyl sind dieses Mal nicht menschliche Fehler verantwortlich, sondern die Ursache war ein Naturereignis. Das Erdbeben war sieben Mal stärker als das, worauf Fukushima maximal ausgelegt war. Und das Kernkraftwerk hat das Beben dennoch überstanden! Erst die gewaltige Flutwelle hat das Kühlsystem beschädigt. Natürlich muss nun weltweit im Lichte der Katastrophe geprüft werden, ob die Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke weiter erhöht werden müssen. Eon ist für eine solche Prüfung in jeder Weise offen.

Dann war es richtig, dass die Bundesregierung angeordnet hat, sieben alte Atomkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen?

Teyssen Wir respektieren die Entscheidung der Politik und setzen sie um. Unsere beiden Kernkraftwerke Isar 1 und Unterweser sind vom Netz. Die tatsächliche Sicherheit in Deutschland hat sich dadurch allerdings nicht erhöht, allenfalls die gefühlte. Denn es dauert einige Wochen, bis die Nachwärme kontrolliert abgeführt ist. Und es würde einige Jahre dauern, bis die Brennstäbe endgültig abgeklungen sind.

Die Katastrophe in Japan ist noch nicht überwunden, da wehen auf deutschen Straßen schon wieder Anti-Atomkraft-Fahnen. Wie finden Sie das?

Teyssen Über manche Reaktion in Deutschland bin ich beschämt. Deutsche horten Jodtabletten, obwohl sie diese gar nicht brauchen. Moralisch anständig wäre es, die Jodtabletten nach Japan zu schicken. Anstatt den Japanern zu helfen, denken viele hierzulande erst einmal an sich.

Ein Flugzeugabsturz oder Terrorangriff sind denkbar. Sind deutsche Atommeiler ausreichend geschützt?

Teyssen Absolute Sicherheit gibt es nicht, aber unsere Kernkraftwerke sind nach bestem Wissen gegen solche Gefahren geschützt. Das gebietet unsere Verantwortung den Mitarbeitern und Anwohnern gegenüber. Trotzdem muss die Industrie nun prüfen, ob sie im Lichte der Erfahrung von Japan noch mehr für die Sicherheit tun kann. Neue Standards aber müssen europaweit einheitlich gesetzt werden. Sicherheit im kleinen Europa ist nicht teilbar. Auch das Kernkraftwerk, das Düsseldorf am nächsten steht, liegt in Belgien, nicht in Deutschland.

Wie hilft die deutsche Energiewirtschaft Japan?

Teyssen Wir haben sofort Hilfe angeboten. Inzwischen haben die Japaner auch gesagt, was sie brauchen. Derzeit stellen wir Strahlenschutzausrüstungen und technisches Material für Japan zusammen. Die erste Lieferung ging am Montag auf den Weg.

Kann Japan aus der Atomkraft aussteigen?

Teyssen Das ist illusorisch. Das Land hat so wenig Ressourcen wie Kohle oder Gas, dass es sich trotz Hiroshima für die friedliche Nutzung der Kernkraft entschieden hat. Heute stehen in Japan 55 Reaktoren. Das Land kann gar nicht schnell aus der Kernkraft raus. Aber schon jetzt werden sich Techniker überlegen, wie man Kraftwerke besser vor Sturmfluten schützen kann.

Glauben Sie, dass die abgeschalteten deutschen Meiler jemals wieder ans Netz gehen?

Teyssen Die Kernkraftwerke sind zunächst für drei Monate abgeschaltet. Was danach geschieht, werden wir sehen.

Werden Sie jemals wieder neue Kernkraftwerke bauen? Sie hatten Pläne für Großbritannien.

Teyssen Das ist nicht ausgeschlossen. Wir haben auch Ideen für Finnland. Doch sinnvoller Weise treibt man jetzt nicht Neubaupläne voran, sondern prüft erst einmal im Licht von Japan die Sicherheitsanforderungen an die bestehenden Anlagen.

Werden Sie gegen die vorübergehende Stilllegung klagen?

Teyssen Jetzt ist nicht die Zeit, um über juristische oder wirtschaftliche Dinge zu streiten.

Müssen Sie nicht im Interesse Ihrer Aktionäre klagen?

Teyssen Wir haben eine Anweisung der Aufsichtsbehörden erhalten und die setzen wir um. Daran ändert auch das Aktienrecht nichts. Unsere Juristen prüfen die Verfügung natürlich, alles andere sehen wir später.

Verlängern sich durch die vorübergehende Stilllegung die Laufzeiten?

Teyssen Das Gesetz gibt den Kernkraftwerken keine bestimmten Laufzeiten vor, sondern Produktionsmengen. Wenn jetzt infolge der Stilllegung nichts produziert werden kann, kann später mehr produziert werden.

Werden Eon und andere wegen der Stilllegung weniger an Brennelemente-Steuer oder den Ökofonds zahlen?

Teyssen Darüber müssen wir mit der Bundesregierung sprechen. Es ergibt in meinen Augen keinen Sinn, nur einen Teil des Paktes aufzuschnüren. Und die Speisung des Ökofonds ist ohnehin an die Nutzung der Reaktoren gebunden.

Welche Folgen hat die plötzliche Stilllegung der sieben Meiler für die Stromversorgung? Kommt es jetzt zu Stromausfällen?

Teyssen Das Risiko eines Blackouts ist zumindest deutlich gestiegen. Und im Mai gehen vier weitere Kernkraftwerke vom Netz, weil sie planmäßig gewartet werden müssen. In Süddeutschland wird damit deutlich weniger Strom produziert werden als bislang. Auf eine solche Änderung der regionalen Verteilung ist das Netz nicht ausgelegt.

Wirtschaftsminister Brüderle fordert, den Netzausbau zu beschleunigen. Wird das gelingen angesichts der bereits bestehenden Bürgerinitiativen?

Teyssen Ich begrüße den Vorstoß des Wirtschaftsministers sehr. Wir brauchen tausende Kilometer neuer Höchstspannungsleitungen, um das Netz für den weiteren Zubau der erneuerbaren Energien auszulegen. Ich bezweifele aber, ob diese Erkenntnis Bürger davon abhalten wird, gegen eine neue Trasse in ihrer Nähe zu kämpfen. Kollektive Vernunft und individuelles Verhalten fallen in Deutschland leider häufiger auseinander.

Importieren wir jetzt Atomstrom?

Teyssen Deutschland muss derzeit Strom importieren, darunter kann durchaus auch Strom aus Kernenergie sein. Die heimischen Erzeuger von Energie aus Windkraft und Sonne können jedenfalls die Stromlücke nicht füllen. Sie speisen ja schon jetzt alles, was sie produzieren, ins Netz ein.

Schon jetzt ist der Strompreis gestiegen. Wird das so weitergehen?

Teyssen Einspruch. Wegen des Erdbebens in Japan hat kein Haushalts- oder Industriekunde mehr für seinen Strom zahlen müssen. Bislang sind nur die Großhandelspreise an der Strombörse in Leipzig gestiegen. Und das ist kein Wunder. Strom aus Kernkraft ist besonders günstig. Fällt er weg, müssen verstärkt die teureren Kohle- oder Gaskraftwerke ran.

Erhöht sich die Chance für Ihr Kraftwerk Datteln, wenn Deutschland schneller aus der Kernkraft aussteigt?

Teyssen Ich will keine Gewinner-Verlier-Debatte führen. Jetzt geht es um Japan. Gleichwohl bekämen Kohlekraftwerke mehr Bedeutung, falls Deutschland schneller aus der Kernenergie aussteigen sollte. Schließlich brauchen wir Grundlastkraftwerke als Ergänzung zu erneuerbaren Energien. Datteln 4 als ein Kraftwerk, das fast fertig, hocheffizient und Klima schonend ist, muss aber unabhängig davon so schnell wie möglich in Betrieb gehen, damit die dortigen älteren, deutlich weniger effizienten Blöcke stillgelegt werden können.

Ein rascherer Ausstieg aus der Atomkraft macht neue Grundlast-Kraftwerke nötig. Bietet das Ruhrgas als Gas-Lieferant neue Chancen?

Teyssen Die Gaswelt hat sich schon im vergangenen Jahr radikal gewandelt. Im Energiekonzept der Bundesregierung spielt Gas zwar nur eine kleinere Rolle, tatsächlich aber liegt hier eine neue Hoffnung. Öl haben wir noch 40 bis 70 Jahre, Gas dank neuer Förder- und Transporttechniken nun 200 bis 250 Jahre. Erdgas wird eine starke Renaissance und ein weltweites Wachstum erfahren, zumal es eine bessere Klimabilanz als andere fossile Energieträger hat.

Machen diese Aussichten es leichter für Sie, an der Not leidenden Tochter Ruhrgas festzuhalten?

Teyssen Wenn mehr Gaskraftwerke benötigt werden, ist das gut für Eon Ruhrgas. Derzeit gibt es bei unserer Tochter operative Probleme, die aber lösbar sind. Wir verhandeln bereits intensiv mit unseren Lieferanten über eine Änderung der Lieferverträge, die bislang in einer nicht mehr marktgerechten Weise an den Ölpreis gebunden sind.

Im November haben Sie eine neue Strategie für Eon verkündet. Wird sich die Krise von Japan auswirken?

Teyssen Wir sehen uns auf dem Weg bestätigt, mehr in erneuerbare Energien zu investieren. Wir sind schon Weltmarktführer beim Bau von Windenergieanlagen auf hoher See. Auch der geplante Schritt in Regionen außerhalb Europas ist nach wie vor richtig. Europa bleibt unser Kernmarkt, aber wir wollen künftig auch stärker im außereuropäischen Ausland wachsen.

Teil der neuen Strategie ist die Expansion in zwei neue Regionen der Welt, die Sie bislang nicht genannt haben. Stehen die denn mittlerweile fest?

Teyssen Wir schauen uns intensiv verschiedene Regionen an. Wir gackern aber erst, wenn die Eier gelegt sind. Alles andere würde mögliche Markteintritte nur unnötig teuer machen.

Was bedeutet die neue Strategie, der neue Drang ins Ausland, für den Standort Düsseldorf?

Teyssen Wir sind ein internationaler Konzern mit Sitz in Deutschland, dessen Herz in Düsseldorf schlägt. Dabei wird es bleiben. In Düsseldorf arbeiten inzwischen 1800 Beschäftigte, allein in den vergangenen zwei Jahren sind mehr als 200 hinzugekommen.

Wie sieht Eon in zehn Jahren aus?

Teyssen Eon muss weiblicher und internationaler werden. Daher haben wir uns selbst zu einer Verdopplung des Frauenanteils unter den Führungskräften verpflichtet. Eine gesetzliche Quote ist allerdings unsinnig. In manchen Bereichen, wie bei Ingenieuren, gibt es einfach immer noch zu wenig Frauen.

Antje Höning fasste das Gespräch zusammen.

(RP)
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