4,48 Milliarden Euro Rückstände Immer mehr säumige Kassenpatienten

Berlin · Bei den gesetzlichen Krankenkassen haben sich Beitragsrückstände von 4,48 Milliarden Euro angehäuft. Seit vor knapp zehn Jahren die Versicherungspflicht in Kraft getreten ist, müssen die Kassen auch Versicherte halten, die nicht zahlen.

Gesetzliche Krankenkassen: Beitragsrückstände von 4,48 Milliarden Euro
Foto: dpa, rhi pzi rho fux

Die Beitragsschulden der rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten steigen von Jahr zu Jahr. Aktuell liegen sie bei 4,48 Milliarden Euro, wie eine Aufstellung des Spitzenverbandes der Krankenkassen zeigt. 2011 lagen die Beitragsschulden noch bei gut einer Milliarde Euro, 2014 waren es 2,77 Milliarden und 2015 dann 3,24 Milliarden Euro.

Den Krankenkassen etwas schuldig bleiben können nur die sogenannten Selbstzahler, die nicht fest angestellt sind. Bei abhängig Beschäftigten überweist der Arbeitgeber seinen Anteil und den Anteil des Arbeitnehmers an die Krankenkassen. So sind es häufig Solo-Selbstständige mit kleinen Einkommen oder Personen, die durchs soziale Netz gefallen und auch nicht über Hartz-IV-Bezug versichert sind, die den Kassen die Beiträge schuldig bleiben. Es kommt auch vor, dass Menschen ins Ausland ziehen und sich in Deutschland bei ihrer Kasse nicht abmelden.

Die Krankenkassen müssen die säumigen Versicherten behalten. Seit 2007 gilt in Deutschland eine Pflicht zur Krankenversicherung. Ein Beitragsschuldengesetz sorgte im Jahr 2013 dafür, dass den Pflichtversicherten, die sich zu spät bei den Kassen gemeldet hatten, ausstehende Beiträge erlassen wurden. Zudem wurden die Säumniszuschläge von fünf auf ein Prozent reduziert. Ohne dieses Gesetz wären die Beitragsschulden bei den gesetzlichen Kassen heute noch deutlich höher.

Ohne weitere Maßnahmen dürften die Beitragsschulden auch in den kommenden Jahren wachsen. Die Barmer GEK und der AOK-Bundesverband bestätigten auf Anfrage, dass nicht nur die Schulden der bisherigen Nichtzahler steigen, sondern dass auch die Zahl der Versicherten mit Beitragsschulden.

Mit knapp fünf Milliarden Euro haben die Beitragsschulden einen Stand erreicht, der die Solidargemeinschaft der Versicherten belastet. In der Sozialversicherung gilt die Faustformel, dass zehn Milliarden Euro etwa einem Beitragssatzpunkt entsprechen. Das heißt, um die aktuellen Rückstände auszugleichen, müssten die gesetzlich Versicherten ein Jahr lang einen um etwa 0,5 Prozentpunkte höheren Beitragssatz zahlen.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht dieses Problem. Man beobachte die Entwicklung der Beitragsrückstände aufmerksam, sagte ein Sprecher. "Dabei müssen immer auch die damit verbundenen Kostenfolgen und ihre Auswirkungen für die Solidargemeinschaft der GKV sehr genau bewertet und berücksichtigt werden", betonte der Sprecher.

Beim GKV-Spitzenverband sieht man die Politik in der Pflicht. "Es gibt keine Lösung für jemanden, der nicht zahlen kann", sagte eine Sprecherin des Verbandes. Wenn der Staat eine Versicherungspflicht einführe, müsse er auch mit Steuergeld jenen helfen, die nicht zahlen können.

Wie hoch die Zahl der zahlungsunfähigen Versicherten ist, kann das Gesundheitsministerium nicht beziffern, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Bekannt ist nur die Zahl der Privatversicherten, die den Notlagentarif in Anspruch nehmen müssen, weil sie die Prämien nicht finanzieren können. 2015 waren es rund 114.000 Privatversicherte, die mit einem reduzierten Leistungsumfang leben müssen, der nur die Akutversorgung sicherstellt. Auch die Zahl der im Notlagentarif Versicherten wächst. 2013 lag sie noch bei rund 96.000. 2014 waren es mit rund 114.000 etwa so viele wie 2015.

Die Versicherungspflicht gilt seit 2009 auch für Privatversicherte. Während die gesetzlich Versicherten bei ihren Kassen Schulden anhäufen, aber noch wie andere Kassenpatienten behandelt werden, spüren die klammen Privatversicherten ihre Finanzlage auch im Arztzimmer.

"Die Menschen sind rechtlich gesehen krankenversichert", sagt die stellvertretende Fraktionschefin der Linken, Sabine Zimmermann. Tatsächlich stehe ihnen aber nur "ein minimaler Versicherungsschutz" zur Verfügung. Zimmermann betonte, sie könnten sich nicht darauf verlassen, zum Beispiel bei chronischen Krankheiten behandelt zu werden.

(RP)
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