Wirtschaft und Banken Gewinner und Verlierer des Brexit

London · 2016 ist die britische Wirtschaft noch stärker gewachsen als die deutsche, doch die Investitionen brechen ein. Immer mehr Banken wollen ihren Sitz verlegen. Deutsche Standorte gehören zu den Profiteuren des Austritts.

Großbritannien: Das ist Theresa May
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Das ist Theresa May

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Foto: dpa, TH abl

Trotz des nahenden Brexit hat Großbritannien die deutsche Wirtschaft noch knapp geschlagen: Das britische Bruttoinlandsprodukt erhöhte sich 2016 um 2,0 Prozent, wie das Statistikamt gestern mitteilte. Die deutsche Wirtschaft wuchs "nur" um 1,9 Prozent. Dennoch werden erste Bremsspuren sichtbar: Die Autohersteller fahren ihre Investitionen auf der Insel massiv zurück: 2016 brachen die angekündigten Investitionen um ein Drittel auf 1,7 Milliarden Pfund ein, teilte der britische Autoverband SMMT mit. Die Unsicherheit über die künftigen Spielregeln macht sich bemerkbar.

Was verliert die britische Wirtschaft? Premierministerin Theresa May will, dass Großbritannien komplett aus dem EU-Binnenmarkt aussteigt. Damit entfällt die Freizügigkeit für Arbeitnehmer und die Freiheit für Waren, Dienstleistungen und Kapital. Noch ist offen, was mit den Arbeitnehmern aus der EU passiert, die bereits auf der Insel arbeiten - das sind vor allem Polen (920.000) und Rumänen (230.000). In jedem Fall wird weiterer Zuzug gebremst. Mit Spannung schauen die Firmen nun auf die Neuregelung der Handelsbeziehungen. Eine feste Bindung an den EU-Binnenmarkt, wie Norwegen sie eingegangen ist, lehnt May ab. Norwegen zahlt Beiträge an den EU-Haushalt und genießt im Gegenzug Zollfreiheit. Stattdessen will May lockere Handelsbeziehungen eingehen. Im schlimmsten Fall müssen die britischen Hersteller den üblichen Außenzolltarif zahlen, wenn sie ihre Produkte in EU-Länder verkaufen. Dieser liegt für Autos bei zehn Prozent, für Agrarprodukte bei zwölf Prozent. Entsprechend schwerer wird es für Briten, ihre Waren zu exportieren. Bis zum Jahr 2030 kann der Brexit die britische Wirtschaft fünf Prozent ihrer sonst möglichen Wirtschaftskraft kosten, schätzt die Berenberg Bank.

Wer gewinnt, wenn der Finanzplatz London verliert? Der Brexit trifft besonders Dienstleister, die mehr als in Deutschland zur Wertschöpfung beitragen. Vor allem der Finanzplatz London wird leiden. Viele Banken aus Nicht-EU-Ländern haben bislang London als Tor genutzt: Denn wer in der EU Bankgeschäfte machen will, braucht auch eine Tochter mit Sitz in der EU. Treten die Briten aus, müssen Institute sich neu orientieren. Die Schweizer Bank UBS will ihr EU-Geschäft künftig von Frankfurt aus steuern, ebenso die US-Bank Goldman Sachs. Die britische Großbank Barclays will ihren Sitz für EU-Geschäfte nach Dublin verlegen, wie es gestern hieß. Die britische HSBC will große Teile des Geschäftes nach Paris verlegen.

Wie trifft der Brexit die deutsche Wirtschaft? Das Vereinigte Königreich ist für deutsche Exporteure der drittwichtigste Markt nach den USA und Frankreich. Zuletzt verkauften deutsche Hersteller Waren für 89 Milliarden Euro auf die Insel, das sind 7,5 Prozent aller deutschen Exporte. In einzelnen Branchen wie Autobau und Pharma liegt die Britenquote höher (Grafik). Wenn Großbritannien künftig Zölle erhebt oder Einfuhrbestimmungen verschärft, wird es für deutsche Exporteure schwerer. Zudem leiden Unternehmen, die Töchter auf der Insel haben, unter dem anhaltenden Verfall des Pfundes. Die Deutsche Bahn hat den ursprünglich geplanten Börsengang ihrer britischen Tochter Arriva bereits abgesagt. Auch BMW ist betroffen: Der Konzern produziert in England die Marken Mini, Rolls Royce und BMW. Die Produktion des Mini könnte langfristig stärker aufs Festland verlagert werden, BMW baut den Mini auch schon in den Niederlanden.

Welche deutschen Konzerne profitieren? Die deutsche Thyssenkrupp-Belegschaft freut sich, dass die Fusion mit dem Konkurrenten Tata, der ein Stahlwerk im walisischen Port Talbot betreibt, noch schwieriger wird. "Eine Fusion mit Tata ist nach dem Austritt der Briten wieder unwahrscheinlicher geworden", heißt es aus Belegschaftskreisen. Vodafone-Chef Vittorio Colao hat schon im Sommer erklärt, dass Vodafone die Weltzentrale aus London möglicherweise auf das europäische Festland verlegt. Ob Vodafone dann aber nach Düsseldorf umzieht, ist offen. Insider erwarten eher eine Entscheidung für Amsterdam, Paris oder Brüssel.

(anh/frin/maxi/rky)
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