Nach Glyphosat-Funden Sollte das Reinheitsgebot abgeschafft werden?

Düsseldorf / Voerde · Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt feiert seinen 500. Geburtstag. Da kommt die Nachricht vom Unkrautvernichtungsmittel im Bier denkbar ungelegen. Zwei Brauer diskutieren, welche Bedeutung das Reinheitsgebot heute noch hat – und ob es abgeschafft werden soll.

 In den Bieren 14 großer Brauereien wurde Glyphosat gefunden.

In den Bieren 14 großer Brauereien wurde Glyphosat gefunden.

Foto: kazoka / Shutterstock.com

Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt feiert seinen 500. Geburtstag. Da kommt die Nachricht vom Unkrautvernichtungsmittel im Bier denkbar ungelegen. Zwei Brauer diskutieren, welche Bedeutung das Reinheitsgebot heute noch hat — und ob es abgeschafft werden soll.

 Torsten Mömken vom "Brauprojekt 777".

Torsten Mömken vom "Brauprojekt 777".

Foto: Torsten Mömken

Christoph Tenge und Torsten Mömken haben sich einer gemeinsamen Leidenschaft verschrieben: dem Bierbrauen. Während Tenge im Düsseldorfer "Uerige" Altbier nach dem Deutschen Reinheitsgebot kreiert, braut Mömken zusammen mit seinen Kollegen vom "Brauprojekt 777" in Voerde auch Getränke abseits des Reinheitsgebots. Bei ihm kommen auch Honig und Kürbis in die Flasche.

 Christoph Tenge (rechts) im "Uerige".

Christoph Tenge (rechts) im "Uerige".

Foto: Schaller, Bernd

Was darf laut Deutschem Reinheitsgebot ins Bier?

Christoph Tenge Das sind vier Zutaten: Wasser, Malz, Hopfen und Hefe. Beim Malz ist das meistens Gerstenmalz, kann aber auch Weizen-, Dinkel- oder Roggenmalz sein.

Torsten Mömken Bei uns brauen wir auch nach dem Reinheitsgebot, doch wir haben auch saisonale Abweichungen, etwa Bier mit frischen Erdbeeren oder Pumpkin-Ale.

Warum gibt es diese Regelung eigentlich?

Tenge Sie hat ihren Ursprung in einer bayerischen Verordnung. Dafür gab es verschiedene Gründe. Zum einen wurde so ausgeschlossen, dass Inhaltsstoffe, die eine extrem berauschende Wirkung haben, ins Bier gelangen konnten. Zum anderen wurde dadurch das Braugetreide reglementiert.

Warum war das nötig?

Tenge Weizen brauchte man, um die Bevölkerung zu ernähren. Mit dem Reinheitsgebot war der Weizen davon ausgeschlossen, zum Bierbrauen verwendet zu werden. Damit hat sich diese Regelung zum Zutatengesetz entwickelt, mit dem seit Jahrhunderten konsequent gearbeitet wird.
Mömken Das Reinheitsgebot ist nicht verkehrt, wenn man sich die Entwicklung in anderen Lebensmittelbranchen ansieht.

Lebensmittelskandale bleiben in Ihrer Branche weitestgehend aus. Ich höre jedoch ein "aber" heraus.

Mömken Man sollte das Reinheitsgebot etwas überdenken. Viele Kunden wissen gar nicht, was es bedeutet, dass es um die Inhaltsstoffe geht. Da muss man sich für Bier, in dem auch Erdbeeren oder Honig drin sind, schnell rechtfertigen.

Welche Bedeutung hat das Reinheitsgebot heute noch und wie streng ist das geregelt?

Tenge Wenn etwas als deutsches Bier vermarktet wird, muss es nach dem Reinheitsgebot gebraut worden sein. Sonst darf das Getränk nicht Bier heißen.

Ist das Reinheitsgebot ein Qualitätssiegel oder eine Marketingstrategie?

Tenge Das ist keine Marketingstrategie. Wenn etwas nach dem Reinheitsgebot gebraut wurde, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Bier gut ist, hoch. Es kann natürlich auch vorkommen, dass man gute Rohstoffe hat und das Bier nicht gut wird — das passiert. Aber dadurch, dass es das Reinheitsgebot schon so lange gibt, haben die Zutaten in Deutschland eine sehr gute Qualität, mit der korrespondierenden Technologie entstehen hervorragende Biere.

Mömken Ich halte es für problematisch, wenn die Fernsehbiere groß auf ihre Etiketten schreiben, dass sie nach dem Deutschen Reinheitsgebot brauen, gleichzeitig aber Produkte mit Konzentraten und Geschmacksstoffen wie Grapefruit-Bier verkaufen. Für diese Unternehmen ist das Reinheitsgebot eine Marketingstrategie und keine Philosophie.

Tenge Das sehen wir ähnlich, bei den angesprochenen Produkten handelt es sich zwar genau genommen um Biermischgetränke, der Bieranteil muss auch hier nach dem Reinheitsgebot sein. Generell befürworten wir im Uerige aber eine strenge Auslegung des Reinheitsgebotes, wir bereiten aus den vier Zutaten in ihrer natürlichen Form charaktervolle und außergewöhnliche Biere.

Hat man ein Marketingproblem, wenn man ein Bier braut, das sich nicht an das Deutsche Reinheitsgebot hält?

Mömken Ja, der Kunde denkt dann erst einmal: Es ist nicht rein. Das wirkt sich aber nicht auf die Qualität aus.

Inwiefern?

Mömken Unser Honigbier wird mit Honig von regionalen Imkern aus dem Dorf hergestellt, unser Kürbisbier mit Kürbissen aus regionalem Anbau. Die Inhaltsstoffe haben eine hohe Qualität. Aber man muss beim Kunden trotzdem manchmal Überzeugungsarbeit leisten, einfach weil das Label Reinheitsgebot so in den Köpfen verankert ist.

Tenge Mittlerweile gibt es aber viele Kunden, die das gut einordnen können — das Reinheitsgebot wiederspricht ja nicht qualitativ hochwertigen Inhaltsstoffen oder Bieren.

Mömken Genau das meine ich. Der Verbraucher unterscheidet am Ende nur zwischen rein und unrein. Und wenn wir Rohstoffe aus der Nachbarschaft, die außerhalb des Reinheitsgebot liegen, verwenden, dürfen wir eben unser Bier nicht mehr Bier nennen. Von daher muss ich meinem Kollegen schon zustimmen, das Reinheitsgebot sollte in Bezug auf die Rohstoffe schon strenger werden. Aber es sollten mehr Rohstoffe zugelassen werden. Ich denke, dass in der heutigen Zeit die Herstellung und die Natürlichkeit der Rohstoffe entschiedener ist, als die schnöde Rohstoffbegrenzung.

Man sagt Deutschland nach, es habe die besten Zutaten, Maschinen und Brauer — aber auch die langweiligsten Biere.

Tenge Die Deutschen sind führend bei der Technologie. Wir haben eine große Brautradition und das Bierbrauen ist ein großer wirtschaftlicher Faktor. Daher wird viel Geld in die Forschung und Entwicklung gesteckt. Aber Deutschland hat nicht nur langweilige Biere. Klar wollte die deutsche Bierindustrie in den vergangenen 40 Jahren wachsen und hat daher Bier produziert, das der breiten Masse schmecken soll — das kann nicht speziell schmecken. Aber Deutschland hat auch tolle und spannende Biere, man blicke nur ins Rheinland mit seinem Altbier oder nach Franken mit seinen regionalen Besonderheiten.

Mömken In Belgien macht man sich tatsächlich darüber lustig, dass wir noch nach dem Deutschen Reinheitsgebot brauen und langweilige Biere machen. Aber das stimmt nicht, es gab hier immer schon kleine Brauereien, die tolle Biere machen. Man kann innerhalb des Reinheitsgebots viel experimentieren.

Zum Beispiel?

Mömken Am Niederrhein trinkt man Altbier, in Köln Kölsch, im Ruhrgebiet Pils. Aber: Die großen Brauereien haben viele Gebiete im Griff. Da hat man in der Kneipe nicht zehn verschiedene Zapfhähne, aus denen zehn verschiedene Biere kommen — wie etwa in Belgien.

Das ändert sich ja gerade etwas. Kleine Brauereien werden populärer.

Mömken Nach 500 Jahren ist es einfach an der Zeit, sich der Vielfalt zu öffnen. Das Reinheitsgebot ist ein Kulturgut, ich wüsste nicht, wo wir heute ohne wären. Aber wir dürfen den internationalen Anschluss nicht verpassen.

Tenge Genau, die Vielfalt und wirklichen Spezialitäten müssen wieder in den Vordergrund. Ich habe allerdings weniger Angst, dass wir den internationalen Anschluß verpassen. Viele kreative Brauereien, die international gerade Aufmerksamkeit erregen, waren in ihrer Pionierzeit in Deutschland — auch im Uerige — und haben sich einiges abgeschaut.

Was halten Sie davon, das Reinheitsgebot abzuschaffen?

Tenge Gar nichts. Im Gegenteil, es sollte äußerst konsequent umgesetzt werden.

Warum?

Tenge Die Brauindustrie hat sich weiterentwickelt, auch wenn die Zutaten die gleichen sind. Zum Beispiel wurde Hopfen früher nur in seiner reinen Form verarbeitet. Heute gibt es verschiedenste Hopfenprodukte, die leichter aufzubereiten und zu lagern sind. Wir hingegen arbeiten mit Doldenhopfen, also der ursprünglichen Form. Das ist umständlich und kostenintensiv, aber auch natürlicher.

Mömken Man sollte es nicht abschaffen, aber es wird auch viel Schindluder damit getrieben. Es ist eine lukrative Marktabschottung. Das sieht man an den großen Brauereien, die damit eben werben, denen es aber nicht um natürliche Inhaltsstoffe geht.

(jnar)
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