Goodbye, Britain. Ni hao, China!

Trotz des nahenden Brexits steht die deutsche Wirtschaft vor einem guten Jahr. Die Binnenkonjunktur und China bleiben Wachstums-Lokomotiven. Das hilft auch NRW.

 Chinas Metropolen wachsen weiter.

Chinas Metropolen wachsen weiter.

Foto: thinkstock / LeeYiuTung

Was ist das wichtigste Ziel von Henkel-Chef Hans van Bylen im neuen Jahr? Der Belgier will weitere Zukäufe wagen, den Waschmittelkonzern schneller digitalisieren und das Ganze, ohne die Schulden zu stark zu erhöhen. Was peilt Post-Chef Frank Appel für 2017 an? Der größte Logistikkonzern der Welt will in noch größeren Teilen Europas und in Indien bevorzugter Dienstleister zum Austragen von Paketen werden. Dem E-Commerce gehört die Zukunft. Was peilt Bayer-Chef Werner Baumann an? Er hofft auf grünes Licht der Kartellämter in 30 Ländern, um den 59 Milliarden Euro teuren Kauf des amerikanischen Saatgutkonzerns Monsanto stemmen zu können. Und worauf setzt NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin? Chinesische Konzerne sollen weiteres Kapital nach Nordrhein-Westfalen bringen, mittelständische Unternehmen sollen sich mehr als bisher mit Digitaltechnik modernisieren - und natürlich hofft der Sozialdemokrat auf einen Wahlsieg der rot-grünen Landesregierung im Mai. Zumindest die gute Wirtschaftslage bundesweit könnte ihm dabei Rückendeckung verschaffen.

Denn die Prognosen sehen trotz politischer Turbulenzen in vielen Staaten gut aus: Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet für das kommende Jahr einen Zuwachs der deutschen Wirtschaftsleistung um 1,7 Prozent. Die Forscher des "RWI Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung" in Essen rechnen mit einem Plus von immerhin 1,2 Prozent. Rosiger sieht die Deutsche Bundesbank die Zukunft: Für das nächste Jahr erwartet sie nun ein Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent und hat damit ihre ursprüngliche Prognose angehoben. Für 2018 und 2019 erwarten die Frankfurter immerhin 1,6 und 1,5 Prozent.

Die deutsche Wirtschaft wächst damit stärker als ihr Produktionspotenzial, die Beschäftigung legt zu. Was dies bedeutet, sagt das Gemeinschaftsgutachten der führenden deutschen Forschungsinstitute vom Herbst: Die Arbeitslosenquote dürfte im nächsten Jahr auf ihrem historischen Tief von 6,1 Prozent verharren. Die Beschäftigung steigt kräftig, es entstehen fast eine halbe Million neue Stellen. Die Inflation legt von ungesunden 0,4 Prozent in diesem Jahr auf 1,5 Prozent im Jahr 2018 zu und kommt damit der Zielgröße der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent näher.

Interessanterweise ist nicht mehr der starke Export die größte Konjunkturmaschine: Hohe Beschäftigung und sinkende Sorge vor Jobverlust stützen die Nachfrage viel stärker. Auch steigende Staatsausgaben beispielsweise für die Integration der Flüchtlinge oder den Straßenbau helfen. Dies bringt Ferdinand Fichtner, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), so auf den Punkt: "Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor in einer guten Verfassung und trägt den privaten Verbrauch. Darüber hinaus machen sich beim öffentlichen Konsum Aufwendungen für die Integration von Flüchtlingen bemerkbar, so dass die Binnenkonjunktur außerordentlich gut dasteht."

Doch die stabile Lage in Deutschland kann nicht über große Risiken in anderen Ländern hinwegtäuschen. Am 20. Januar wird Donald Trump sein Amt als US-Präsident antreten. Vorerst haben zwar Hoffnungen auf hohe Ausgaben für die Infrastruktur sowie eine neue Deregulierung der Wirtschaft die Börsen begeistert. Doch viele Experten warnen. "Ich befürchte, dass Trump nur ein Strohfeuer abbrennt", sagt der berühmte Harvard-Ökonom Larry Summers. Weil Trump mit Steuersenkungen die Staatsschulden noch höher treibe, würden die Zinsen steigen. Als Ergebnis würde der Dollar noch teurer, und die klassische US-Industrie verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit. Rechtspopulist Trump könnte als Reaktion darauf - wie im Wahlkampf angekündigt - ausländische Waren mit neuen Zöllen belegen. Ein solcher Rückfall in den Protektionismus wäre gefährlich für die Weltwirtschaft und speziell für die exportorientierte deutsche Wirtschaft.

Mindestens ebenso werden Unwägbarkeiten in Europa die Wirtschaft verunsichern. So will im April die rechtsextreme Marine Le Pen französische Staatspräsidentin werden. Mit offenen Märkten und freiem Handel hat sie ebenso wenig im Sinn wie Trump. Deutsche Arbeitnehmer können nur hoffen, dass die Französin verliert.

Sehr schwer werden die Austrittsverhandlungen der Europäischen Union (EU) mit den Briten, die wahrscheinlich ab März beginnen. Die Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals würde es begrüßen, wenn Großbritannien im Binnenmarkt bleiben könnte, so dass Waren und Dienstleistungen weiterhin frei handelbar sind. Die Briten wollen aber die Freizügigkeit der Arbeitnehmer einschränken. Ein solches "Rosinenpicken" kann die EU sich nicht erlauben. Den Binnenmarkt gibt es nur ganz oder gar. Ein Europa à la carte darf es nicht geben, will man keine weiteren EU-Austritte provozieren. Kanzlerin Angela Merkel weiß das und setzt deshalb auf einen klaren Schnitt mit den Briten.

Wenn London künftig als bisher wichtigster Finanzplatz Europas nicht mehr Teil der EU ist, werden viele Banken ihre EU-Zentralen auf den Kontinent verlagern. Womöglich könnte das Deutschland sogar Vorteile bringen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble soll bei vier Chefs von amerikanischen Banken für die Vorteile von Frankfurt als möglichem neuen Hauptstandort in Europa geworben haben. Immerhin hat dort auch die Europäische Zentralbank ihren Sitz.

Nordrhein-Westfalen wird dagegen unter dem Austritt der Briten aus der EU leiden. So gilt die von Bayer angeführte Pharmaindustrie als die Branche, die von einem Brexit mit Abstand am stärksten betroffen sein wird, wie eine Studie des Forschungsinstituts ZEW warnt. Denn würden die Briten die heute üblichen Außenzölle der EU einführen, könnte das die Pharmaprodukte beim Verkauf auf die Insel um rund 200 Millionen Euro verteuern. Ähnlich betroffen wäre die Autoindustrie, für die viele Zulieferer in NRW arbeiten. Während 2015 mehr als 800.000 Autos von Deutschland nach Großbritannien geliefert wurden, könnten es nach dem Austritt deutlich weniger sein - die Wettbewerber aus Korea drängen nach vorne.

So sehr die Entwicklungen in den USA und Europa unsere Wirtschaft schwächen könnten, so sehr bleibt China Lokomotive für Wachstum. Lag der Zuwachs der Wirtschaft in der Volksrepublik vor einigen Jahren zwar noch bei plus zehn Prozent im Jahr, erwartet der Internationale Währungsfonds für nächstes Jahr ein Plus von 6,2 Prozent und 2018 sechs Prozent. Doch Prozentzahlen erzählen nur die halbe Wahrheit. 6,8 Prozent mehr Wachstum im ablaufenden Jahr beziehen sich auf ein Bruttoinlandsprodukt von 11,4 Billionen Dollar - es geht also um einen Zuwachs von 775 Milliarden Dollar (740 Milliarden Euro).

Damit erwirtschaftet das bevölkerungsreichste Land der Welt alleine rund 40 Prozent des globalen Wachstums. Kein Wunder, dass Konzerne wie Henkel, die Post und erst recht Volkswagen, Daimler oder BMW die Lage im Reich der Mitte genau beobachten. China ist wichtigster Absatzmarkt der hiesigen Autobauer. Ihre plötzliche Strategiewende hin zum Elektroauto hängt auch mit der Politik in Fernost zusammen: Peking besteht darauf, dass ab 2018 jeder Hersteller beim Ansatz eine feste Quote an Elektroautos einhält. VW, der größte Hersteller in der Volksrepublik, muss 2020 bei derzeit etwa drei Millionen verkauften Autos schon 100.000 E-Autos absetzen. Gemessen an diesen Vorgaben ist Deutschland Auto-Entwicklungsland.

Aber China gewinnt auch als Investor an Bedeutung. Unternehmen aus der Volksrepublik erwarben 2016 insgesamt 58 deutsche Firmen. Das sind 19 Firmen mehr als im Jahr zuvor. Dabei wurden 11,6 Milliarden Euro ausgegeben - 20-mal so viel wie 2015. Und das ist nur der Anfang. China hat Devisenreserven von mehr als drei Billionen Euro. Das erlaubt eine globale Shopping-Tour, um das eigene Know-how und den Vertrieb zu stärken. 2025 will China das weltweit führende Industrieland sein. Chinesische Unternehmen werden immer stärkere Wettbewerber für deutsche Konzerne.

900 chinesische Firmen haben sich in NRW niedergelassen, mehr als in jedem anderen Bundesland. Wirtschaftsminister Duin stört es nicht, dass viele nur ihre Produkte verkaufen: "Mit den Jahren kommen lokale Entwicklung und Produktion hinzu." So entwickeln Huawei und ZTE bereits Software in Düsseldorf, bei NGC in Duisburg werden Windrotoren-Getriebe aus China angepasst. Auch die Mitarbeiter von übernommenen Traditionsfirmen wie dem Autozulieferer Kiekert seien zufrieden, meint Duin. "Die neuen Inhaber investieren in Maschinen und sichern langfristig die Arbeitsplätze."

Ein großer Rückschlag ist, dass die USA den Verkauf des Aachener Maschinenbauers Aixtron an chinesische Investoren blockierten, weil dessen Anlagen auch militärisch genutzt werden können. Duin lässt sich nicht beirren: "Wir werden die Partnerschaft zwischen China und NRW weiter vertiefen."

(RP)
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