Lanxess-Chef Zachert "Die Industrie ist zum Bittsteller bei der Politik geworden"

Düsseldorf · 16.700 Mitarbeiter hat der Kölner Chemiekonzern Lanxess, der seit vier Jahren von Matthias Zachert geführt wird. Im Interview spricht der gebürtige Bonner über die Sorgen am Industriestandort NRW, seine Zukäufe und die Zukunft der Niederrhein-Werke.

 Lanxess-Chef Matthias Zachert (Foto: Archiv) ist seit 2014 im Amt.

Lanxess-Chef Matthias Zachert (Foto: Archiv) ist seit 2014 im Amt.

Foto: dpa, obe cul

16.700 Mitarbeiter hat der Kölner Chemiekonzern Lanxess, der seit vier Jahren von Matthias Zachert geführt wird. Im Interview spricht der gebürtige Bonner über die Sorgen am Industriestandort NRW, seine Zukäufe und die Zukunft der Niederrhein-Werke.

Das neue Jahr bringt uns Donald Trump als US-Präsidenten. Sind Sie besorgt?

Zachert Natürlich geben viele Aussagen aus dem Wahlkampf Anlass zu Sorge. Ich hoffe aber, dass Trump als Präsident rationale Entscheidungen trifft. Schädlich wäre vor allem ein neuer Protektionismus. Es ist im ureigenen Interesse der Amerikaner wie der Europäer, dass zum Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP kommt. Freihandel vergrößert den Wohlstand. Immerhin kann uns positiv stimmen, dass Trump sich zur Industrie bekennt und sie stärker unterstützen will. Ein solches Bekenntnis vermisse ich manchmal in Deutschland.

Was bedeutet der Kurswechsel für die Lanxess, die stark in den USA ist?

Zachert Schon vor den Wahlen haben wir strategisch wichtige Zukäufe in den USA besiegelt. Wir haben das Desinfektionsgeschäft von Chemours übernommen und die Übernahme des Schmierstoffadditiv-Herstellers Chemtura für 2,4 Milliarden Euro vereinbart. Falls die USA sich jetzt abschotten sollten, dann wären wir dort schon stark aufgestellt. Unser künftiges Nordamerika-Geschäft mit 2500 Mitarbeitern wird für einen Umsatz von zwei Milliarden Euro stehen.

Mit Chemtura müssen Sie noch durch die Kartellbehörden, und die unterstehen der neuen Regierung.

Zachert Da sind wir schon gut vorangekommen: Seit wenigen Tagen steht fest, dass die US-Kartellbehörden keine Einwände gegen die Übernahme von Chemtura haben. Das bringt uns der Übernahme ein gutes Stück näher.

Können Sie den Deal früher als Mitte 2017 über die Bühne bringen?

Zachert Die kartellrechtliche Zustimmung in einigen weiteren Märkten steht noch aus, unter anderem in der EU und in China. Das wird erfahrungsgemäß noch ein paar Monate dauern. Vor allem aber müssen die Chemtura-Aktionäre noch zustimmen. Das ist für Anfang Februar geplant.

Sie wollen nach der Übernahme Synergien von 100 Millionen Euro heben, also Kosten sparen. Werden Stellen wegfallen?

Zachert Wenn es um Synergien geht, geht es stets auch um Strukturen. Wir brauchen zum Beispiel nicht zwei Stabsbereiche oder zwei Landesgesellschaften in Ländern, wo Lanxess und Chemtura heute beide vertreten sind.

Müssen Mitarbeiter in der Lanxess-Zentrale in Köln oder in Leverkusen um ihren Job bangen?

Zachert Nein, ganz im Gegenteil. Wir sind das übernehmende Unternehmen, und wir bleiben in Köln. Auch unsere deutschen Produktionsstandorte werden durch die geplante Übernahme eher gestärkt.

Bayer macht Schlagzeilen mit einer Abfindung von 123 Millionen Dollar für Monsanto-Chef Hugh Grant. Sind solche irrwitzigen Summen überhaupt zu vertreten?

Zachert In den USA ist es üblich, dass bei Übernahmen deutlich höhere Abfindungen gezahlt werden als in Europa. Das müssen wir akzeptieren. Allerdings geht es bei Chemtura um wesentlich niedrigere Summen als die, die Sie erwähnen.

Haben Sie das Geld für die Übernahme zusammen? 2,4 Milliarden Euro liegen nicht in der Portokasse.

Zachert Ja, wir haben einen Bond mit fünfjähriger Laufzeit zu einem sagenhaft niedrigen Zins von 0,25 herausgegeben sowie einen zehnjährigen Bond zu einem Prozent. Beide bringen uns je 500 Millionen. Weitere 500 Millionen haben wir durch eine Hybridanleihe, also eine Mischung aus Fremd- und Eigenkapital, zu 4,5 Prozent eingesammelt. Da kommen uns die derzeit niedrigen Zinsen zugute.

Müssen die Niederrhein-Standorte Leverkusen, Krefeld und Dormagen nun leiden, weil hier wegen der Zukäufe Mittel gekürzt werden?

Zachert Nein, im Gegenteil. 2016 haben wir 200 Millionen Euro in die deutschen Standorte investiert, fast 90 Prozent davon fließen in die Niederrhein-Werke mit ihren rund 6.000 Beschäftigten. Wir bekennen uns zum Standort Nordrhein-Westfalen. Wir wollen gerne weiter investieren. Zur Wahrheit gehört aber auch: das geht in Zukunft nur, wenn die Rahmenbedingungen industriefreundlich bleiben.

2017 sind Wahlen in NRW. Haben Sie Sorge, dass sich die Rahmenbedingungen verschlechtern?

Zachert Nicht jeder Landes- oder Bundespolitiker erkennt den Wert der chemischen Industrie an, obwohl sie bundesweit 450.000 Menschen Arbeit gibt. Wir brauchen bezahlbare Energie, eine gute Infrastruktur, Verlässlichkeit und kurze Genehmigungsverfahren. Es kann nicht sein, dass wir in NRW viele Monate auf die Genehmigung für den Bau eines neuen Tanklagers warten müssen. Das können andere schneller.

Vernachlässigt Deutschland seine Industrie?

Zachert Andere Länder unterstützen die Industrie - in Deutschland, so ist mein Eindruck, ist sie zum Bittsteller bei der Politik geworden. Sie muss ihre Kraft in Abwehrdiskussionen statt in Innovationen stecken. Ich denke daran, wie wir kämpfen mussten, um das Eigenstrom-Privileg, also die Befreiung von der Ökostrom-Umlage, zu erhalten. Deutschland droht den Ast abzusägen, auf dem es sitzt.

Wenn Sie Chemtura übernommen haben - ist dann Ihr Hunger gestillt?

Zachert Eins nach dem anderen. 2017 steht ganz im Zeichen der Integration von Chemtura. Doch wenn das verdaut ist, können wir sicher auch wieder über neue Übernahmen nachdenken. Denn bei der globalen Konsolidierung der Chemie-Branche wollen wir eine aktive Rolle spielen — sowohl durch neue Übernahmen als auch durch organisches Wachstum.

Werden Sie das Kautschukgeschäft, das Sie in ein Joint Venture (Arlanxeo) mit den Arabern gegeben haben, auf Dauer verkaufen?

Zachert Der globale Kautschukmarkt leidet weiterhin unter großen Überkapazitäten. Gemessen daran hat sich Arlanxeo gut geschlagen. Ohnehin werden wir das Joint Venture noch bis mindestens 2021 halten. Dann ist beides denkbar: Ausstieg oder weitere Beteiligung.

Seit Februar hat sich der Kurs der Lanxess-Aktie von 33 Euro auf 62 Euro fast verdoppelt. Wird Ihnen schwindelig?

Zachert Nein, wir freuen uns, dass der Markt unsere Erfolgsgeschichte belohnt. 2014 war Lanxess ein Sanierungsfall, wir mussten 1000 Stellen abbauen und das Werk in Marl schließen. Aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, den Konzern neu ausgerichtet und die Abhängigkeit vom schwankungsanfälligen Kautschukgeschäft deutlich verringert. In 2016 haben wir zwei große Übernahmen getätigt und konnten dreimal den Ausblick für das Gesamtjahr erhöhen.

Kann Lanxess wieder in die erste Börsenliga aufsteigen?

Zachert Das ist eine sehr theoretische Frage. Für einen Aufstieg in den Dax wären sicher noch Jahre harter Arbeit nötig. Wir haben derzeit einen Börsenwert von 5,7 Milliarden Euro. Der Wohnungskonzern Vonovia etwa, der uns verdrängt hat, kommt auf über 14 Milliarden. Wenn Siemens seine Medizinsparte abspaltet, kommen neue Schwergewichte hinzu. Aber eine Zugehörigkeit zum DAX ist für uns auch kein explizites Ziel.

Wegen des Erfolgs gibt es sicher für 2016 eine höhere Dividende.

Zachert Natürlich beteiligen wir die Aktionäre am Unternehmenserfolg. Wir haben immer gesagt: Lanxess strebt eine steigende, mindestens aber stabile Dividende an. Daran halten wir fest. Wie hoch die Dividende für 2016 ausfällt, dazu wird der Vorstand der Hauptversammlung im Frühjahr einen Vorschlag machen.

Was ist mit Ihnen? Wollen Sie nach Auslaufen Ihres Vertrags Lanxess-Chef bleiben?

Zachert Ich habe 2014 hier angefangen, und im ersten Jahr mussten wir viele harte Entscheidungen treffen. Das war für alle und auch für mich selbst eine schwierige Zeit. Jetzt sind wir aber wieder auf dem richtigen Kurs, und die ganze Mannschaft ist mit vollem Engagement dabei. Mein Vertrag läuft bis zum Frühjahr 2019, und ich kann sagen: die Arbeit mit diesem Team macht mir viel Freude. Ich würde gerne weitermachen, denn wir haben mit Lanxess noch einiges vor.

(anh)
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