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Kraftwerk Datteln IV Die Industrieruine des Westens erwacht

Datteln · Nach elf Jahren Bauzeit zündet Uniper im Kraftwerk Datteln IV zum ersten Mal die Kohle an. Das Land will die Quecksilber-Vorgaben des früheren Umweltministers Remmel kippen. Durch sie sollte das Kraftwerk gestoppt werden. Eine lange Geschichte von Planungschaos und Widerstand geht zu Ende.

Die Baustelle des Steinkohle-Kraftwerks am Dortmund-Ems-Kanal in Datteln (Archivaufnahme von 2015).

Die Baustelle des Steinkohle-Kraftwerks am Dortmund-Ems-Kanal in Datteln (Archivaufnahme von 2015).

Foto: dpa

Es ist eine der teuersten Industrieruinen in Deutschland: das Steinkohlekraftwerk Datteln. 178 Meter ragt der Kühlturm in den Himmel, die Turbine misst im Durchmesser mehr als vier Meter. Seit 2007 wird gebaut, seit 2011 sollte hier Strom für jeden vierten Zug in Deutschland erzeugt werden. Doch daraus wurde nichts. Datteln IV, wie der 1100-Megawatt-Block offiziell heißt, wurde zum Symbol für Planungschaos und Widerstand. Nun soll er im ersten Halbjahr 2018 endlich ans Netz. "Wir sind fast fertig", sagt Ingo Telöken, Leiter der Baustelle am Dortmund-Ems-Kanal. Vor wenigen Tagen wurde im Kesselhaus zum ersten Mal die Kohle angezündet.

Bizarr: Während alle vom Kohleausstieg reden, legt Datteln los. Es wird das letzte deutsche Steinkohlekraftwerk sein. Die Dimensionen sind gewaltig: Jeden Tag sollen hier 8000 Tonnen Steinkohle verfeuert werden. Das entspricht der Ladung von zwei großen Binnenschiffen, die hier täglich anlegen. Unipers Kohle kommt vor allem aus Südafrika, Russland, Kolumbien und wird über Rotterdam importiert. "Lieferungen aus Deutschland sind zu teuer und enden ja auch 2018", sagt Telöken. In 20 Minuten sind mit dem Kraftwerk Laständerungen von bis zu 500 Megawatt möglich. Damit kann es rasch Schwankungen beim Ökostrom ausgleichen.

"Einsame Spitze auf der Welt"

Theoretisch könnte Datteln IV zwei Millionen Haushalte versorgen. Tatsächlich aber verkauft Uniper bis zu 413 Megawatt an die Deutsche Bahn. Ein Großteil des Stroms soll aber an RWE gehen, auch wenn der Konkurrent gerade Uniper wegen der Vertrags-Bedingungen verklagt. Der Rest geht ins Netz. Parallel werden bis zu 100.000 Haushalte mit Fernwärme versorgt. "Damit kommen wir auf einen Brennstoffnutzungsgrad von 58 Prozent, einsame Spitze auf der Welt", sagt Telöken stolz.

Auch optisch will das Kraftwerk etwas Besonderes sein: Die Ecken der Gebäude sind abgerundet wie in einem anthroposophischen Kindergarten, das Kesselhaus ist blau statt grau verkleidet, um möglichst eins zu werden mit dem Abendhimmel. Auch das Recycling soll vorbildlich sein: Die Flugasche, die man aus dem Rauch holt, geht an Bau- und Zementindustrie, der Gips, der bei der Entschwefelung entsteht, an Gipskartonhersteller.

"Hinterher sind wir alle schlauer"

Doch es half nichts. Umweltschützer und Anwohner hätten das Projekt fast zu Fall gebracht. 2009 stoppte das Oberverwaltungsgericht Münster den Bau, der damals zu 60 Prozent fertig war. Die Stadt Datteln hatte gravierende Fehler gemacht. Unter anderem gab es immer wieder Ärger mit Abständen zur bestehenden Bebauung. Auch die Umweltprüfungen waren aus Sicht der Richter völlig unzureichend. "Hinterher sind wir alle schlauer", räumt der Uniper-Sprecher ein.

Bis zur "Meistersiedlung" der früheren Zeche sind es 600 Meter. Hier wirft der Kühlturm seinen mächtigen Schatten nicht hin. Bürger fürchten aber die Emissionen. "Bis auf den Kühlturm ist so gut wie jedes Gebäude auf dem Gelände schon beklagt worden", so Telöken. Uniper beteuert: Kein Steinkohlekraftwerk produziere so schadstoffarm. Kritiker wie die Grünen halten den Block grundsätzlich für falsch, egal wie effizient er ist: "Datteln ist ein schlechtes Signal für den Klimaschutz." Bei der Verfeuerung von Steinkohle entsteht viel mehr Kohlendioxid als bei Gas, von Wind und Sonne zu schweigen.

Der Planungsprozess wurde neu aufgerollt: Mehr als 30 Umweltgutachten wurden erstellt. Eon musste nachbessern und etwa den Lagerplatz für Kohle um ein Drittel verkleinern sowie eine 15 Meter hohe Schallschutzmauer um den Kühlturm errichten. Das im Turm herunterrauschende Kondenswasser ist der lauteste Teil am Kraftwerk. Im Januar 2017 gab die Bezirksregierung Münster dann grünes Licht.

Land kippt Remmels Quecksilber-Vorgaben

Der frühere Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) versuchte, Datteln über die Verschärfung des Quecksilber-Grenzwertes zu stoppen. Danach sollte Uniper den Quecksilber-Ausstoß im Jahresmittel bei maximal 0,002 Milligramm pro Kubikmeter Abgas halten. Das ist ein Fünftel dessen, was das Immissionsschutzgesetz fordert (0,01 Milligramm). Die neue Landesregierung will Remmels Verschärfung nun kassieren. "Das Umweltministerium geht davon aus, dass die Bezirksregierung Münster den Grenzwert als Jahresmittelwert nun - so wie von Uniper ursprünglich beantragt - festsetzen wird", sagte der Behörden-Sprecher. Uniper hatte 0,004 Milligramm angeboten.

Noch sind nicht alle Straßen auf dem Gelände asphaltiert, nicht alle Eon-Schilder abgehängt, obwohl das Kraftwerk seit der Aufspaltung zu Uniper gehört. Manche fürchten, dass sie ohnehin bald ein Fortum-Schild aufhängen müssen - wenn der finnische Konzern einsteigt.

Noch sind einige Klagen anhängig, sie haben aber keine aufschiebende Wirkung mehr. Dann muss nun nur der Strompreis mitspielen. 30 Euro braucht man, heißt es in der Branche. Aktuell liegt er an der Strombörse bei 37 Euro.

Auf Telökens neongelber Sicherheitsjacke prangt ein blauer Schriftzug "Neubau Datteln IV". Der Ingenieur ist zuversichtlich, dass es 2018 losgeht. Über 700 Mitarbeiter arbeiten aktuell auf der Baustelle, dauerhaft werden es 88 sein - allein bei der Betriebsmannschaft. Die Falken und Fledermäuse, für die der Versorger schon vor Jahren Nistkästen auf dem Gelände aufgehängt hat, fühlen sich bereits zuhause. "In diesem Jahr hatten wir die erste Brut", sagt Telöken. Vielleicht ein Zeichen.

(anh)
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