Frankreichs Wirtschaftsministerin im Interview Lagarde: "Deutschland ist unser Vorbild"

Paris (RP). Frankreichs Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde spricht im Interview über die neue Begeisterung für das deutsche Modell, über das Verhältnis Merkel-Sarkozy und den Zebrastreifen-Teppich in ihrem Büro.

 Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde stellt klare Forderungen an Deutschland.

Frankreichs Wirtschaftsministerin Christine Lagarde stellt klare Forderungen an Deutschland.

Foto: AFP, AFP

Frau Ministerin, in der französischen Regierung häufen sich die Lobeshymnen auf Deutschland. Gerade was die Förderung des Mittelstands und der Berufsausbildung angeht, solle man sich ein Beispiel nehmen. Woher kommt diese neue Begeisterung?

Lagarde Von der aufmerksamen Beobachtung unseres Nachbarn und Freundes. Wir versuchen, uns bei unseren Vorhaben von den erfolgreichen Beispielen unserer Nachbarn inspirieren zu lassen. Wenn wir die Struktur unserer Wirtschaft anschauen, dann sehen wir, dass wir sehr viele kleine Unternehmen haben, aber sehr wenige Mittelständler. Das ist ein großer Unterschied zu Deutschland, denn Sie haben traditionell sehr viel mehr mittelständische Unternehmen, die sehr oft Träger einer starken Exportpolitik sind. Zweitens haben wir das absolute Ziel, die Arbeitswelt zu verbessern. Und da wende ich mich dem Model zu, das sehr viel erfolgreicher ist als das unsere.

Wie meinen Sie das?

Lagarde Wir sehen, dass das duale System der deutschen Berufsausbildung sehr viel besser die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes erfüllt, insbesondere was die jungen Menschen betrifft. Allerdings hängt Lehrlingen in Frankreich häufig der Ruf an, schulische Versager zu sein, denen kein anderer Weg offen blieb. Auch die Betriebe sind von dieser Idee nicht gerade begeistert, weil sie hohe Kosten fürchten. Es ist richtig, dass wir in dieser Beziehung einen kulturellen Wandel brauchen. Das wird sicher einige Zeit brauchen. Aber wir werden den Anspruch mit entsprechenden finanziellen Mitteln untermauern, damit die Unternehmen ebenfalls auf ihre Kosten kommen.

Sie selbst sind ein gutes Beispiel dafür, dass man in Frankreich Karriere machen kann, auch wenn man keine der berühmten Elitehochschulen besucht hat. Sie sind zweimal durch die Aufnahmeprüfung gefallen.

Lagarde Rückwirkend betrachtet war das eine große Chance für mich. Ich hätte vermutlich nicht in Betrachtung gezogen, eine international tätige Anwältin zu werden, und wäre sicher auch nicht ins Ausland gegangen. Heute sind meine Erfahrungen nützlich für mein Land.

Mit ihrem Amtsantritt haben Sie erst einmal die Einrichtung Ihres Büros komplett verändert. Auf dem Boden liegt ein Teppich mit Zebramuster, von dem einem ganz schwindelig wird. Die Männer, die in Ihr Büro kämen, sollten nicht auf Ihre Füße starren, sagten Sie dazu einmal.

Lagarde (lacht) Das war eben meine ganz spezielle Art zu sagen: Wir konzentrieren uns nicht auf das Interieur, sondern wir öffnen uns dem Horizont.

Zu Beginn hat man Sie als "Madame La Gaffe" (Fettnäpfchen) verspottet. Heute werden Sie als mögliche Premierministerin gehandelt. Wie erklären Sie sich den Sinneswandel?

Lagarde Ich habe anfangs gesagt, was ich dachte, ohne wirklich das politische Vokabular zu beherrschen und die Hintergedanken oder die Interessen der einen und anderen zu kennen. Ich habe dazugelernt. Was mich heute nicht daran hindert, meine Meinung zu sagen, aber ich gebe Acht auf die Wortwahl.

Welchen Eindruck hatten Sie vorige Woche vom ersten Treffen des französischen Kabinetts mit der neuen deutschen Regierung?

Lagarde Es hatte sehr starken Symbolcharakter, hier in Paris am Kabinettstisch mit all den deutschen Kollegen Platz zu nehmen und dieses Einverständnis zwischen dem Präsidenten Nicolas Sarkozy und der Kanzlerin Angela Merkel zu erleben. Das war ein wichtiges Symbol für den Ausbau und die Vertiefung der Beziehungen zwischen unseren Ländern.

Sie bezeichnen sich selbst als halb amerikanisch, halb französisch. Muss sich Sarkozy Sorgen um ihre "nationale Identität" machen? Das Thema ist ihm ja ungeheuer wichtig.

Lagarde (lacht) Nein, ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil. Ich glaube, wenn man eine Zeitlang im Ausland verbracht hat, ist das die beste Impfung gegen den Verlust seiner nationalen Identität. Plötzlich versteht man sein Land besser und fühlt sich ihm enger verbunden, als wenn man nie fort gewesen wäre.

Karin Finkenzeller führte das Gespräch

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort