Zustimmung für Vorstoß, Kritik am Betriebsklima Lidl belebt Diskussion über Mindestlohn

Frankfurt/Main (RPO). Der überraschende Vorstoß des Discounters Lidl hat die Diskussion über die Einführung von Mindestlöhnen in Deutschland neu belebt. Der Ruf des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Gehrig nach einem tariflichen Mindestlohn im Einzelhandel wurde am Donnerstag überwiegend begrüßt.

Die Gewerkschaft Verdi forderte, eine solche Regelung dann auch für allgemeinverbindlich zu erklären. Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Margret Mönig-Raane verwies aber zugleich auf ein anhaltend schlechtes Betriebsklima bei Lidl.

"Ich unterstelle erst mal, dass der Vorstoß ernst gemeint ist, wenngleich man in der Tat staunt", sagte die Gewerkschafterin im WDR. Denn Lidl sei zwar tarifgebunden, "aber das Arbeitsklima ist so, dass die Beschäftigten nach wie vor sich mehrheitlich nicht trauen, Betriebsräte zu wählen", fügte Mönig-Raane hinzu. In der Vergangenheit habe es für entsprechende Vorstöße harte Konsequenzen bis hin zum Rausfliegen gegeben. "Und dieses Klima ist nach wie vor da", beklagte die stellvertretende Verdi-Vorsitzende.

Sollte im Einzelhandel tatsächlich ein Tarifvertrag über einen Mindestlohn zustande kommen, müsse man ihn für allgemeinverbindlich erklären, damit er nicht auf Umwegen durch Lohndumping umgangen werden könne. Als Beispiele nannte sie Leiharbeit oder sogenannte Werkarbeitnehmer.

Auch Wissenschaftler für Mindestlöhne

Der Bremer Wirtschaftsforscher Rudolf Hickel begrüßte das Plädoyer des Discounters Lidl für Mindestlöhne im Einzelhandel. Dies sei ein Versuch, "den selbstzerstörerischen Preiswettbewerb in der Branche zu stoppen", sagte der Leiter des Instituts Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Jetzt müssen wir den Stier bei den Hörnern packen", sagte Hickel und plädierte für einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn von zehn Euro im Einzelhandel.

Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell setzte sich ebenfalls für die Einführung von Mindestlöhnen ein. Dabei müssten die Arbeitgeber mehr in die Pflicht genommen werden, sagte der Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik der Fachhochschule Koblenz im Deutschlandradio Kultur. Schon jetzt gebe es ein riesiges Kombilohn-Programm. "Wenn man keine Grenze nach unten hat, dann bedeutet das, dass Sie bei den Aufstockungsmöglichkeiten einen Teil der Arbeitgeber einladen, immer niedrigere Löhne zu zahlen", warnte Sell. Der Ausgleich müsse jedoch letztlich aus Steuermitteln finanziert werden.

Im rasanten Unterbietungs-Wettbewerb der vergangenen Jahre hätten die großen Einzelhandelsketten versucht, die Personalkosten zu drücken, wo es nur ging. Dadurch hätten sich die Arbeitsbedingungen deutlich verschlechtert. Von den 2,9 Millionen Beschäftigten im Einzelhandel beziehe jeder Dritte Kombilöhne und werde damit vom Staat unterstützt.

(apd/top)
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