EU-Wettbewerbskommissarin "Wir wollen Fusionen nicht verhindern"

Straßburg · EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager spricht im Interview mit unserer Redaktion über amerikanische Internet-Giganten, die Monsanto-Pläne von Bayer sowie die Zukunft der deutschen Automobilindustrie.

 "Es geht um die Menschen": Margrethe Vestager.

"Es geht um die Menschen": Margrethe Vestager.

Foto: afp, JT

Sie ist eine der mächtigsten Frauen in Europa. Sie lehrt Google und Amazon das Fürchten, kämpft gegen Kartelle und illegale Beihilfen: EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Die 49-jährige Dänin, die bunte Kleider grauen Hosenanzügen vorzieht, überwacht den Wettbewerb in der EU. Wir treffen sie in ihrem schmucklosen Büro im EU-Parlament. Bevor es losgeht, gießt sie allen Wasser ein.

Sie legen sich mit mächtigen Konzernen an und schaffen etwas Seltenes: Bewunderung für die EU-Kommission zu wecken. Macht Sie das stolz?

Vestager Es geht uns wirklich nicht darum, das Ansehen der Kommission zu verbessern. Es geht um die Menschen. Wenn sie den Eindruck bekommen, dass man sie ungestraft hintergehen kann, dann erschüttert das irgendwann ihr Vertrauen in die Gesellschaft. Und diese Frustration kann sich in Wut verwandeln. Wenn es mir also gelingt, dafür zu sorgen, dass die Bürger sich fair behandelt fühlen, ihnen die Gewissheit zu geben, dass Chancengleichheit besteht, dass ausländische Unternehmen ihre Steuern ebenso bezahlen wie unsere eigenen, dann würde mich das in der Tat sehr stolz machen.

Die letzten Schlachten haben Sie gegen Apple oder Google geschlagen. Internetkonzerne scheinen bei Ihnen Priorität zu genießen - warum?

 Antje Höning und Matthias Beermann sprachen mit Margrethe Vestager in ihrem Büro in Straßburg.

Antje Höning und Matthias Beermann sprachen mit Margrethe Vestager in ihrem Büro in Straßburg.

Foto: RP

Vestager Weil die Digitalisierung eine so tiefgreifende Wirkung auf die Gesellschaft hat, weil sie bald jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt. Wenn eine neue Technologie so einschneidende Folgen hat, ist es unsere Pflicht, hier besonders wachsam zu sein. Aber es gibt weitere Bereiche, die aus denselben Gründen eine ähnlich hohe Priorität genießen, der Energiesektor zum Beispiel. Auch hier ist ein radikaler Wandel im Gange. Unsere Aufgabe ist es, Wild-West-Methoden rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben.

Donald Trump wirft Ihnen vor, es gehe nur darum, erfolgreiche US-Firmen auszubremsen ...

Vestager Wir nehmen diesen Vorwurf nicht auf die leichte Schulter, weil es ja gerade unser Anspruch ist, alle Unternehmen absolut gleich zu behandeln, egal woher sie kommen oder welche Größe sie haben. Aber wir konnten in den konkreten Fällen nicht den Hauch eines Belegs dafür entdecken, dass dieser Vorwurf gerechtfertigt wäre. Außerdem glaube ich nicht daran, dass europäische Verbraucher sich groß darum kümmern, welcher Nationalität eine Firma ist, deren Produkte oder Dienstleistungen sie nutzen. Wenn ich meine Töchter frage, warum sie als Suchmaschine im Internet Google verwenden, dann lautet die Antwort: weil es gut funktioniert, und nicht: weil Google amerikanisch ist.

Sie selbst benutzen auch Google?

Vestager Ja, natürlich. Warum nicht?

Muss das Wettbewerbsrecht nicht ans Digitalzeitalter angepasst werden?

Vestager Ich bin überzeugt, dass die rechtlichen Grundlagen völlig ausreichend sind. Was wir dagegen ständig anpassen müssen, ist unser Werkzeugkasten. Im Fall von Google mussten wir uns durch 5,2 Terabyte Daten arbeiten. Wir brauchen also eine sehr hoch entwickelte technische Ausstattung. Außerdem müssen wir strikte rechtliche Richtlinien beachten. So muss etwa die Gegenseite ausreichend Zugang zu den Daten haben, um sich verteidigen zu können. All dies ist sehr komplex, und die Digitalisierung schreitet rasend schnell voran. Wir investieren viel Energie, um in diesem technologischen Rennen Schritt zu halten.

Sie haben am Montag die Prüffrist für die Übernahme von Monsanto durch Bayer zum wiederholten Mal verlängert. Was ist das Problem?

Vestager Es geht dabei um einen sehr großen Deal. Die Aufgabe von Bayer und Monsanto ist es, die Übernahme umzusetzen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Bauern auch nach der Fusion noch eine Auswahl haben an Saatgut, Pestiziden, Insektiziden und Fungiziden. Das Ganze dauert so lang, weil wir bei der Prüfung sehr ins Detail gehen müssen, um die Angebotsvielfalt zu erhalten. Hier geht es wegen der Vielzahl der Produkte und Regionen um Hunderte Einzelmärkte.

Werden Sie die Prüfung bis zum 5. April abschließen?

Vestager Ja, es ist unsere feste Absicht, die Prüfung bis dahin abzuschließen und eine Entscheidung bis zum 5. April zu verkünden. Auch für uns gelten für solche Prüfungen ja strikte Vorgaben.

Sie könnten ja die Uhr anhalten ...

Vestager Nein, so etwas machen wir wirklich nur, wenn die Unternehmen uns nicht genug Informationen liefern. Dies ist bei Bayer jetzt nicht der Fall.

Bayer hat nach eigenen Angaben vier Millionen Seiten übermittelt.

Vestager Ja, und wir müssen diese Informationen auswerten, um die richtigen Fragen stellen zu können. Insbesondere müssen wir schauen, was nach der Fusion passiert. Bei Dow und Dupont haben wir zum Beispiel gesehen, dass zwei forschungsstarke Chemiekonzerne fusionieren, aber anschließend das Budget für Forschung reduzieren wollten. Das ist schlecht für die Verbraucher, denn man braucht Forschung, um bessere Wirkstoffe mit weniger Nebenwirkungen zu entwickeln. Entsprechend haben wir den Unternehmen Auflagen zum Verkauf von Forschungsaktivitäten an Dritte gemacht.

Und was bedeutet das für Bayer?

Vestager Wir müssen detailliert in die internen Dokumente schauen, um zu sehen, was die Unternehmen genau vorhaben. Wenn das Risiko besteht, dass es künftig nicht genug Innovationen gibt, ist das ein Problem. Gerade beim Umweltschutz und in der Landwirtschaft haben wir in Europa ja hohe Anforderungen und strenge Regeln.

Hat Bayer nicht genug Zugeständnisse im Zukunftsbereich Digital Farming gemacht?

Vestager Da der Fall noch nicht abgeschlossen ist, kann ich nur so viel sagen: Das sind genau die Dinge, die wir mit Bayer diskutieren. Die Digitalisierung verändert auch die Landwirtschaft radikal. Man kann für jeden Quadratmeter genau ermitteln, was die ideal dosierte Saat oder Pestizidmenge ist. Das ist faszinierend. Gerade deshalb müssen wir aufpassen, dass durch die Fusion der Wettbewerb beim Digital Farming und bei der Forschung hierzu nicht eingeschränkt wird.

Ist es denn denkbar, dass Sie die Fusion am Ende untersagen?

Vestager Theoretisch ja. Es ist aber nicht unser Ziel, Fusionen zu verhindern, sondern sie so zu gestalten, dass der Wettbewerb zum Nutzen der Verbraucher erhalten bleibt. Das zeigt auch die Bilanz: Von allen Fusionen, die bei uns angemeldet werden, gehen 90 Prozent direkt durch, neun Prozent genehmigen wir mit Auflagen, und nur weniger als ein Prozent lehnen wir ab.

Haben Sie Bayer-Chef Werner Baumann schon getroffen?

Vestager Oh ja. Wenn es um Übernahmen geht, sind wir immer im engen Austausch mit den Unternehmen. Handelt es sich dagegen um Kartelle, also um klar illegale Machenschaften, bleiben wir während der Untersuchung lieber auf Distanz.

Einige Bereiche der Wirtschaft wie die Autoindustrie scheinen für Kartelle besonders anfällig zu sein...

Vestager Ja, das legen die Zahlen jedenfalls nahe. Wir hatten bereits zehn Kartelle in der Autoindustrie, darunter das Lkw-Kartell.

Woran liegt das?

Vestager Das liegt nicht an den Autos an sich, sondern an der Art des Produkts. Wenn Produkte sich sehr ähnlich sind und es schwer ist, sich über die Qualität zu unterscheiden, ist die Versuchung für Hersteller offenkundig groß, sich abzusprechen, um den Markt oder Aufträge aufzuteilen.

Derzeit prüfen Sie die Absprachen zwischen VW, Daimler, BMW, Audi und Porsche. Ihr erster Eindruck?

Vestager Wir haben noch kein Ergebnis. Wir gehen sehr gründlich vor, denn es ist ja durchaus erlaubt, dass Unternehmen bei Forschung und Entwicklung kooperieren. Manches kann ein einzelnes Unternehmen gar nicht allein stemmen. Aber wir müssen auch prüfen, ob und wo sich die Autokonzerne in Grauzonen bewegen oder gar illegale Absprachen getroffen haben.

Werden Sie die Untersuchung noch in diesem Jahr abschließen?

Vestager Ich hoffe es. Diese Untersuchung hat hohe Priorität für uns, denn die Autoindustrie hat schließlich große Bedeutung für Europa. Aber ich habe auch gelernt, dass es schwer ist, präzise Deadlines zu nennen, gerade wenn Fälle so komplex sind wie dieser.

Wie fänden Sie es, Sammelklagen im europäischen Recht zuzulassen?

Vestager Ich denke, es wäre durchaus möglich, und ich bin ein wenig enttäuscht, dass dieser Weg bisher nicht weiter verfolgt wurde. Ich meine, es liegt doch auf der Hand, dass Sie als einzelner geschädigter Verbraucher einigermaßen machtlos gegenüber gigantischen Konzernen sind. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn Verbraucherschutzorganisationen den Klageweg im Namen vieler Geschädigter beschreiten könnten. Wie sollen die Leute verstehen, dass ein VW-Kunde in den USA eine Entschädigung bekommt, in der EU aber leer ausgeht?

Derzeit erleben wir eine Welle von Fusionen. Schwächt die nicht zwangsläufig den Wettbewerb?

Vestager Es stimmt, wir erleben derzeit eine Konzentrationswelle in Europa, in vielen Branchen, beim Bier, beim Zement, bei der Telekommunikation und vielen anderen. Was wichtig ist, ist Vielfalt im Markt, mit kleinen, mittleren und großen Unternehmen. Konzentration ist nicht unbedingt schlecht; sie darf den Wettbewerb nur nicht so weit einschränken, dass Sie als Verbraucher am Ende keine Wahl mehr haben. Aber davon sind wir in Europa weit entfernt, gerade im Vergleich zu den USA.

Sie haben signalisiert, dass Sie gerne ein zweite Amtszeit als Wettbewerbskommissarin hätten.

Vestager (lacht) Ich versuche wirklich, den Leuten nicht allzu deutlich zu zeigen, wie glücklich ich in diesem Job bin! Aber aus zwei Gründen würde mich das wirklich reizen: Zum einen braucht man für jede neue Aufgabe eine gewisse Anlaufzeit, um wirklich gut zu werden. In einer zweiten Amtszeit kann man dann zur Topform auflaufen. Und zum anderen würde ich gerne die Fälle, die ich hier begonnen habe, auch selbst zu Ende bringen. Und natürlich auch die Verantwortung dafür übernehmen.

Könnten Sie sich vorstellen, noch mehr Verantwortung zu übernehmen - als Kommissionschefin? Frankreichs Präsident Macron soll Sie ja angeblich als Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker favorisieren...

Vestager Wissen Sie, es gibt wirklich sehr viele Unterschiede zwischen der kleinen dänischen Politik und der großen europäischen, aber eines ist genau gleich: diese Gerüchte um Personalien. Ich finde es wichtig, dass die Kommission ihr Mandat erfolgreich zu Ende bringt. Schon jetzt, mehr als ein Jahr davor, über Posten zu spekulieren, das hält uns nur von der Arbeit ab. Und wir haben noch viel zu erledigen!

(RP)
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