Bayer und Henkel Gehen, wenn's am schönsten ist

Düsseldorf/Leverkusen · Sie duzen sich, sie mögen sich - und sie gehen, wenn es am schönsten ist: Kasper Rorsted verabschiedete sich in Düsseldorf mit einer Rekord-Bilanz als Henkel-Chef, Marijn Dekkers sagte in Leverkusen mit einer Rekord-Bilanz als Bayer-Chef "tot ziens".

Ohnehin gibt es viele Parallelen: Beide sind jeweils der erste externe Manager und der erste Ausländer, den die deutschen Traditionskonzerne an ihre Spitze holten. Beide sollten für frischen Wind und neue Perspektiven sorgen. Der Däne Kasper Rorsted kam 2008 zum Waschmittel- und Klebstoff-Konzern und wurde zum Chef von über 50.000 Mitarbeitern. Marijn Dekkers, Niederländer mit amerikanischem Pass, kam 2010 zum Pharma- und Chemiekonzern mit über 100.000 Beschäftigten. Beide sprechen gut Deutsch - Rorsted noch mehr als Dekkers. Beide haben gelernt, mit typisch deutschen Einrichtungen wie der Mitbestimmung zu leben. Das verbindet, man trifft sich im Branchenverband VCI und gerne auch mal privat in Düsseldorf.

Dass beide am selben Tag Bilanz ziehen, ist Zufall. Dass sie freiwillig und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere gehen, zeichnet sie aus. Die meisten Top-Manager schaffen den Absprung nicht rechtzeitig: Siemens-Chef Heinrich von Pierer, Post-Chef Klaus Zumwinkel, VW-Chef Martin Winterkorn oder Thyssenkrupp-Chef Ekkehard Schulz waren erst gefeiert worden - und stürzten dann nach Skandalen oder Misserfolgen ab. Es ist sehr einsam um sie geworden.

Anders als diese vier verbissenen Chefs haben sich Dekkers und Rorsted eine gewisse Leichtigkeit und Unabhängigkeit bewahrt - was die Belegschaften gleichwohl nicht vor harten Schnitten bewahrte. Dekkers baute kurz nach Amtsantritt 4500 Stellen ab. Auch Rorsted strich Stellen und schraubte die Gewinnziele immer höher. Beiden merkte man die langjährige Erfahrung in US-Konzernen (General Eletric beziehungsweise Hewlett-Packard) an.

Wirtschaftlich waren sie ungemein erfolgreich: Beide haben den Wert der ihnen anvertrauten Konzerne auf Rekordhöhe gesteigert. Rorsted hat den Börsenwert von Henkel um mehr als 300 Prozent erhöht und dafür gesorgt, dass stets üppige Dividenden an die Aktionäre und damit auch die große Henkel-Familie flossen. Dekkers hat den Wert mehr als verdoppelt: Zwischenzeitig war Bayer mit über 95 Milliarden Euro der wertvollste Konzern in Deutschland, hat diesen Titel mittlerweile aber an SAP abgegeben müssen. Auch die Bayer-Aktionäre konnten sich über eine stetig wachsende Dividende freuen.

Doch damit enden dann die Gemeinsamkeiten. Strategisch hat Dekkers deutlich mehr bewegt. Er hat Bayer radikal umgebaut, das Pharmageschäft durch Milliarden-Zukäufe (Merck, Steigerwald, Algeta) noch größer gemacht und die Kunststoffsparte abgespalten. Damit hat er die historischen Wurzeln des Chemieunternehmens gekappt, als das Bayer vor 153 Jahren begonnen hatte.

Rorsted trieb das organische Wachstum von Henkel voran, doch die große Übernahme gelang nicht - womöglich weil die Familie Vorsicht walten ließ. Henkel hatte versucht, den Kosmetik-Riesen Wella zu kaufen. Am Ende schnappte der US-Konzern Coty den Düsseldorfern den großen Fisch weg. Entsprechend dünnhäutig reagierte Rorsted gestern auf die Frage, ob Henkel nicht das geplante Umsatzziel von 20 Milliarden Euro für 2016 sicher verfehlen werde: Er habe schon mehrfach gesagt, dass dieses Umsatzziel keine Priorität habe.

Auch bei den persönlichen Gründen für den Weggang aus Nordrhein-Westfalen unterscheiden sich die beiden Top-Manager. Der 58-jährige Dekkers hatte seinen Vertrag zum Bedauern des Aufsichtsrates nicht über 2016 hinaus verlängern wollen, um mehr Zeit für seine Familie zu haben. Seine drei Töchter sind beziehungsweise wollen zum Studium zurück in die USA gehen, wo die Familie lange gelebt hat. "Ich werde Deutschland und Europa aber verbunden bleiben", sagte Dekkers gestern. So wird er schon bald Verwaltungsrats-Chef des britisch-niederländischen Konzerns Unilever ("Knorr-Suppen", "Magnum-Eis"). Verwaltungsrats-Chefs sind operativ mehr gefordert als deutsche Aufsichtsrats-Chefs, aber weniger als deutsche Vorstandschefs. So kann Dekkers beides haben: weiter Einfluss in einem Top-Konzern, aber mehr Zeit und Flexibilität für die Familie. Sein Haus in Düsseldorf-Kaiserswerth wird er ohnehin behalten. Und zur Frage, ob er denn nach der gesetzlich vorgeschriebenen Abkühlzeit von zwei Jahren als Aufsichtsratschef zu Bayer zurückkehren werde, sagte Dekkers gestern nur: "Die Frage stellt sich nicht, zumal Werner Wenning nicht amtsmüde ist."

Bei Rorsted, mit 54 Jahren in einer anderen Lebensphase als Dekkers, ist die Motivation für den Abschied gänzlich anders. Er wird im Herbst Vorstandschef des bayerischen Sportartikel-Hersteller Adidas. Damit rückt der Vater von vier Kindern räumlich auch näher an die Familie, die bei München lebt. Vor allem bedeutet der angeschlagene Sportkonzern noch einmal eine große Herausforderung für ihn. "Für mich war die Zeit einfach reif", erklärte der Däne unlängst im Interview. Er sei grundsätzlich der Ansicht, dass ein Vorstandsvorsitzender ein Unternehmen nicht zu lange führen sollte. Und zu Adidas gehe er, weil Sport seine Leidenschaft sei.

Geld haben Dekkers wie Rorsted genug verdient - Rorsted allein bei Henkel insgesamt mehr als 40 Millionen Euro. Doch Rorsted, Sohn eines Wirtschaftsprofessors, ist weiter hungrig nach Leistung und Anerkennung. Nach acht Jahren als Chef von Henkel brauchte er einfach eine ganz neue Herausforderung - fast schon egal, wo und wie.

Der Däne und der Niederländer haben Spuren in den Dax-Konzernen hinterlassen. Sie haben sie bunter und weiblicher gemacht. Dekkers hat die erste Frau in den Bayer-Vorstand geholt. Und beide wurden zunehmend unzufrieden mit der deutschen Wirtschafts- und Bildungspolitik. "Bayer arbeitet wie ein Leistungssportler täglich an seiner Fitness. Aber wir brauchen auch ein Umfeld, das uns unterstützt", sagte Dekkers gestern. Sätze, die Läufer und Handballer Rorsted glatt unterschreiben würde.

(RP)
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