Ärztepräsident im Interview "Mehr Geld für Gesundheit"

Düsseldorf (RP). Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe fordert im Interview mit unserer Redaktion, dass 18 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr ins Gesundheitssystem gesteckt werden. Andernfalls werde es zu Leistungseinschränkungen kommen.

 Die Ärztekammer trauert um ihren früheren Präsidenten, Jörg-Dietrich Hoppe.

Die Ärztekammer trauert um ihren früheren Präsidenten, Jörg-Dietrich Hoppe.

Foto: AP, AP

Können künftig noch alle Gesundheits-Risiken abgesichert werden?

Hoppe Über die gesetzliche Krankenversicherung geben wir nur rund 6,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Gesundheitsversorgung aus. Damit müssen wir rund 70 Millionen Menschen oder 92 Prozent der Bevölkerung versorgen. Wenn wir die Private Krankenversicherung hinzurechnen, kommen wir auf 7,3 Prozent. Das wird auf die Dauer nicht gutgehen.

Wie viel Geld muss in die Gesundheitsversorgung fließen?

Hoppe Langfristig müssen wir auf etwa acht Prozent des Bruttoinlandprodukts, also etwa 18 Milliarden Euro mehr, kommen, um unser derzeitiges Niveau der Gesundheitsversorgung zukünftig sichern zu können. Länder wie Holland, Schweden, Großbritannien oder Frankreich geben acht bis neun Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Versorgung von Kranken aus. Zugleich haben sie einen geringeren Leistungskatalog.

Welche Leistungen fehlen dort?

Hoppe Das gesamte Leistungspaket ist kleiner: Die Patienten werden seltener ins Krankenhaus aufgenommen. Viele Therapien sind weniger umfangreich. Die fachärztliche Betreuung ist geringer. Außerdem gibt es in den Niederlanden die Verpflichtung, erst den Hausarzt aufzusuchen, bevor man zum Spezialisten gehen darf.

Sollte die freie Arztwahl auch in Deutschland eingeschränkt werden?

Hoppe Langfristig sollte der Hausarzt stärker im Mittelpunkt stehen. Er kann besser entscheiden, welcher Facharzt der richtige ist. Manche Leute gehen wegen Rückenschmerzen zu drei oder vier verschiedenen Fachärzten. Das ist teurer, als wenn man zunächst seinen Hausarzt aufsucht, der die Grunddiagnose stellt.

Rechnen Sie künftig mit Leistungseinschränkungen für die Versicherten?

Hoppe Wenn sich an der derzeitigen Finanzierung des Systems nichts ändert, wird es zu Leistungseinschränkungen kommen. Denkbar ist, dass am Ende eine Grundsicherung steht, die einen Basisschutz anbietet. Für alles andere würden Zusatzversicherungen benötigt.

Was muss zur Grundsicherung dazugehören?

Hoppe Wir wollen nicht den Leistungskatalog beschneiden, sondern für die zur Verfügung stehenden Leistungen Rangfolgen erarbeiten. Dies nennt man Priorisierung. Wir schlagen einen Gesundheitsrat vor, in dem Ärzte, Epidemiologen, Ethiker, Juristen, Theologen und Patientenvertreter sitzen. Diese Fachleute sollen Vorschläge machen, welche Krankheiten grundsätzlich oder bevorzugt behandelt werden müssen. Was davon umgesetzt wird, muss die Politik entscheiden.

Sehen Sie in der Politik die Bereitschaft, das Thema anzugehen?

Hoppe Jeder seriöse Wissenschaftler weiß, dass die Leistungsinanspruchnahme steigt, die finanziellen Mittel aber begrenzt sind. Wenn das so bleibt, kann sich die Politik der Priorisierungs-Debatte einfach nicht entziehen. Zurzeit leiden wir ja schon unter einer sogenannten heimlichen Rationierung medizinischer Leistungen. Die Ärzte müssen doch im Augenblick ihren Patienten vermitteln, dass sie bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen können. Diese barmherzige Lüge wird zu einer großen Belastung des Arzt-Patienten-Verhältnisses. Das wollen wir nicht mehr, und das wollen auch die Patienten nicht.

Ärzte erbringen gerne die Leistungen, die sich gut abrechnen lassen. Müssen Sie Ihre eigene Zunft ermahnen?

Hoppe Im Vordergrund steht die gute Betreuung der Patienten. Selbstverständlich müssen die Ärzte zudem das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachten. Die große Mehrheit macht dies auch.

Neuerdings kann Akupunktur besser abgerechnet werden. Die Anwendungen haben drastisch zugenommen.

Hoppe Ich gehe davon aus, dass die Akupunktur statt anderer Therapien oder Arzneien angewendet wird. Dadurch wird an anderer Stelle Geld eingespart.

Jeder Bürger geht durchschnittlich 18mal pro Jahr zum Arzt. Zu oft?

Hoppe Arztbesuche sind in Deutschland Teil der Gesundheitskultur. Wenn man das international mit Kontakten von Menschen zu Gesundheitsberufen insgesamt vergleicht, liegen wir nicht mehr so weit über dem Durchschnitt. In Schweden beispielsweise übernehmen vielfach besonders qualifizierte Krankenschwestern Aufgaben, die bei uns nur Ärzte erfüllen.

(RP)
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