Interview mit dem Chef der IG BCE "Für Arbeitnehmer hat die AfD nichts zu bieten"

Düsseldorf · Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG BCE, über die Folgen der Wahl und die nächste Tarifrunde.

 Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG BCE.

Michael Vassiliadis, Chef der Gewerkschaft IG BCE.

Foto: Daniel Pilar/IG BCE

Hannover Am Sonntag beginnt der Kongress der IG BCE in Hannover. Michael Vassiliadis, der mächtige Chef der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, tritt wieder an.

Werden Sie dort wie Martin Schulz beim SPD-Parteitag mit 100 Prozent der Stimmen gewählt?

Vassiliadis (lacht) Das schafft nur die SPD...

...in der Sie selbst Mitglied sind. Wie haben Sie das Ergebnis der Bundestagswahl verkraftet?

Vassiliadis Die SPD ist ja aus den vergangenen Wahlen Kummer gewohnt, aber wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem die Handlungs- und Sprachfähigkeit der Partei ernsthaft infrage stehen. Das Ganze macht mich schon nachdenklich - aber nicht nur mit Blick auf die SPD, sondern auf das gesamte Parteiensystem.

Wie erklären Sie sich den Absturz?

Vassiliadis Die Linkspartei hat sich etabliert - auch wenn sie immer noch nicht mit ihrer kommunistischen Vergangenheit gebrochen hat. Immerhin sympathisieren dort einige mit dem System in Venezuela und relativieren den Krieg von Herrn Putin. Die Linke nagt von der einen Seite an der SPD. Und auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Protestwähler, die auch von der SPD zur AfD abgedriftet sind. Zugleich vermittelt die Union den Eindruck, eher linke Themen zu regeln.

Auffällig ist, dass überproportional viele Gewerkschafter AfD gewählt haben. Laut Forschungsgruppe Wahlen 15 Prozent. Woran liegt das?

Vassiliadis An klassischen Arbeitnehmerthemen kann es nicht liegen, denn da hat die AfD rein gar nichts zu bieten. Die Partei fällt bislang ja einzig dadurch auf, dass sie den Ausländern vieles missgönnt, was eigentlich alle erhalten. Wir haben unsere Mitglieder unlängst zu ihrem Wahlverhalten befragt. Ein Ergebnis: Je mehr Ordnung die Menschen in der Arbeit haben - Tarifverträge, Betriebsräte, vernünftige Löhne -, desto weniger empfänglich sind sie für Protestparteien. Aber es gibt auch politisch geschaffene Unsicherheit. Nehmen Sie die Braunkohlegebiete: Dort ist die Zukunft der Region unklar, dort bangen die Menschen um ihre Jobs und haben das Gefühl, niemand hört ihnen zu.

Ein Gefühl, das sich noch verstärken könnte. Schließlich wollen die Grünen einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle - und den könnten sie per Jamaika-Bündnis vorantreiben.

Vassiliadis Die Grünen haben sich in der Opposition radikalisiert und sind zu einer Ausstiegspartei geworden - nach Atomkraft wurde die Braunkohle zum Feind Nummer eins erklärt und neuerdings auch noch der Verbrennungsmotor. Ich hoffe, dass mit dem Kampagnen-Modus Schluss ist, wenn sie sich ernsthaft in eine Regierung einbringen.

Die Forderung der Grünen lautet, die dreckigsten 20 Kraftwerke sofort abzuschalten. Union und FDP könnten bei der ohnehin unpopulären Braunkohle Zugeständnisse machen, um etwa ein Entgegenkommen beim Diesel zu erreichen.

Vassiliadis Ich kann nur davor warnen, es zu solchen Deals kommen zu lassen. Ein derart profanes Geschachere wäre ein fatales Signal für die Jamaika-Konstellation. Würde man 20 Braunkohlekraftwerke auf einmal aus dem System nehmen, wären alle Gruben sofort unwirtschaftlich. Die wegfallenden Kapazitäten müsste man durch das Hochfahren deutlich teurerer Gaskraftwerke kompensieren. Für einige energieintensive Industrien wären diese höheren Kosten aber durchaus existenzbedrohend. Hinzu kommt, dass man größere Netzschwankungen in Kauf nehmen müsste.

Was würden Sie tun, wenn sich die Grünen durchsetzen könnten?

Vassiliadis Es ist zu früh, darüber zu spekulieren. Die potenziellen Partner haben die Reise nach Jamaika ja noch nicht einmal angetreten. Wir werden das Ganze natürlich aufmerksam verfolgen und unsere guten Argumente, wenn es sein muss, auch lautstark einbringen. Auf Eines will ich aber schon mal hinweisen: Keines unserer Mitglieder darf durch politische Entscheidungen arbeitslos gemacht werden. Wer bestellt, muss auch bezahlen. Dafür muss der Staat dann Geld bereitstellen. Gleiches gilt für Investitionen in den betroffenen Regionen. In der Lausitz beispielsweise müssten massiv Autobahnen und Bahnlinien ausgebaut und im großen Stil Industrieflächen ausgewiesen werden. Mit noch mehr Nagelstudios werden wir jedenfalls keine Alternativen für die Bergleute schaffen.

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat eine Obergrenze für den Ausstoß an Treibhausgasen, den Kohlekraftwerke in Deutschland überhaupt noch produzieren dürfen, gefordert. Guter Plan?

Vassiliadis Nein, denn er folgt dem bekannten Muster deutscher Klimapolitik: haarklein vorgegebene Abschaltziele durchsetzen zu wollen. Wer weitere Kraftwerke vom Netz nehmen und Ausstoßobergrenzen festlegen will, der muss gleichzeitig Alternativen präsentieren, wenn das System nicht kollabieren soll. Und da höre ich seit Jahren herzlich wenig. Klar ist: Die Erneuerbaren werden uns noch über Jahrzehnte nicht allein versorgen können.

Kommen wir zur Tarifpolitik. Die IG Metall verlangt gerade eine Absenkung der Arbeitszeit auf 28 Stunden. Wäre das nicht was für Ihre nächste Tarifrunde?

Vassiliadis Wir haben ein vergleichbares Modell gerade für die Chemieindustrie in Ostdeutschland vereinbart - mit einer Arbeitszeit, die je nach Lebenssituation zwischen 32 und 40 Stunden schwanken kann. Es ist denkbar, dass wir das Thema im kommenden Sommer auch im Westen angehen. Es gibt aber noch ein weiteres Betätigungsfeld: Menschen, die zu Hause oder unterwegs arbeiten. Für die müssen wir auch tarifliche Rahmenbedingungen festlegen.

Die Arbeitgeber verlangen regelmäßig, dass das Arbeitszeitgesetz aufgeweicht wird - zum Beispiel bei den Ruhezeiten.

Vassiliadis Ich wundere mich, dass gleich zu Beginn der Debatte um eine neue Arbeitszeitpolitik das Aufweichen von Schutzrechten verlangt wird. Die Arbeitgeber sollen zunächst mal plausible Beispiele liefern, für welche Fälle konkret man eine Abweichung von der Ruhezeit benötigt. Ohne Notwendigkeit sollten wir das Gesetz so belassen, wie es ist. Es gibt wichtigere Baustellen.

Zum Beispiel die Tarifbindung. Die nimmt seit Jahren ab. Wie wollen Sie das ändern?

Vassiliadis Es stimmt. Es wird für uns immer schwieriger, die Menschen zu organisieren. Wir DGB-Gewerkschaften müssen die Gebietskämpfe untereinander aufgeben und uns wieder mehr den Beschäftigten widmen. Da gibt es viele Mitarbeiter, die zwar Tariferhöhungen mitnehmen, aber selbst nicht Gewerkschaftsmitglieder sind. Die müssen wir gezielter ansprechen. Zugleich müssen wir den Druck auf die Arbeitgeberverbände erhöhen, dass sie die unsägliche Praxis der OT-Mitgliedschaften beenden.

Sie sprechen hier von der Möglichkeit, als Unternehmen in einem Arbeitgeberverband Mitglied zu sein, ohne aber den Flächentarifvertrag zu zahlen.

Vassiliadis Genau. Da kopieren Manager ganz dreist unsere hart erstrittenen Tarifverträge aus dem Internet, ändern sie nach ihrem Gusto und wenden sie dann in abgespeckter Version in ihrem Unternehmen an. Für mich ist das vergleichbar mit einer Urheberrechtsverletzung. Jeder 15-Jährige, der ein Videospiel raubkopiert, wird hart bestraft, OT-Unternehmen kommen damit davon.

Sollte der Gesetzgeber OT-Mitgliedschaften verbieten?

Vassiliadis Nein, aber die Arbeitgeberverbände sind nicht einfach Vereine. Sie genießen das vom Grundgesetz verbriefte Schutzrecht der Koalitionsfreiheit. Wer dieses Recht genießen will, sollte nicht in seiner eigenen Satzung anbieten, dass man Tarifverträge gar nicht braucht. Was unterscheidet einen solchen Arbeitgeberverband ohne Tarifverträge von einer Anwaltskanzlei? Wir können doch nicht ernsthaft ein Interesse daran haben, dass wir hier französische Verhältnisse bekommen — also politische Streiks mit brennenden Autoreifen.

Maximilian Plück führte das Interview.

(RP)
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